Respektlosigkeit als Normalzustand

Politik und Strafverfolgung tun sich immer öfter durch Verunglimpfung ihrer Kritiker hervor. Jüngstes Beispiel: Die Deutsche Polizeigewerkschaft

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Als ich einst bei einem bekannten Schnellimbiss arbeitete, sah sich meine Chefin befleißigt, mich vor etlichen Kunden als „dämliche Kuh“ zu titulieren. Beim späteren Gespräch über diese Behandlung kamen wir auf das Thema Respekt zu sprechen. Ihr Kommentar war: Ich muss keinerlei Respekt zeigen, ich bin „oben“. Die Art, wie Politiker und Strafverfolger zunehmend mit ihren Kritikern umgehen, erinnert mich an jene Episode. Auch hier scheint man der Ansicht zu sein, man sei „oben“ und könne von dieser höherrangigen Stellung aus auf diejenigen herabschauen, denen man doch eigentlich dienen beziehungsweise die man vertreten sollte.

Schon der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, als Choleriker bekannt, begegnete der Kritik an den Hausdurchsuchungen in der Cicero-Redaktion mit Verachtung. "Es sind doch nur ein paar Hanseln, die mich kritisieren, mit diesen Worten kanzelte Schily nicht nur Bürgerrechtler, sondern auch Politiker ab, die ihm einen Angriff auf die Pressefreiheit vorwarfen. Ob Monika Griefahn, Claudia Roth oder Dieter Wiefelspütz – für Otto Schily lediglich ein „paar Hanseln“, deren Kritik seiner Meinung nach „an Albernheit nicht zu übertreffen war“.

Als es um Kritik an der Einführung der biometrischen Pässe ging, schlug Schily in die gleiche Kerbe – diesmal war es der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dem er nicht mit Argumenten sondern dem Vorwurf der Kompetenzüberschreitung antwortete. Schaar, so Schily, habe kein politisches Mandat und habe sich somit bei Sicherheitsfragen rauszuhalten.

Von größten Feldherren und größten Verfassungsbeschwerden

Auch sein Nachfolger, Wolfgang Schäuble, zeigt sich selten wirklich argumentierfreudig. Man mag den Ausspruch: „Wir hatten den größten Feldherrn aller Zeiten, jetzt haben wir die größte Verfassungsbeschwerde aller Zeiten“ nicht als Hitlervergleich, sondern als Zeichen für Humor deuten, fest steht, dass sich Schäubles Rhetorik der Argumentation entzieht und stattdessen auf Verachtung gegenüber den Kritisierenden zielt. Wie diese Rhetorik funktioniert, hat Michael Lohmann bereits ausführlich erläutert. Interessant sind aber auch die Adjektive, mit denen er seine Kritiker überzieht: naiv oder hysterisch beispielsweise. Er spricht all jenen, die seine Maßnahmen nicht billigen, also per se ab, rational zu handeln.

Sieht er eine der von ihm präferierten Maßnahmen in Gefahr, wie jüngst das BKA-Gesetz, gibt es für ihn nicht etwa Grund zur Besinnung, vielmehr überlegt er sich Umgehungsmaßnahmen wie z.B. eine Neuregelung der Abstimmungsregeln im Bundesrat. Statt ein Stoppschild zu beachten, denkt er darüber nach, das Schild zu entfernen, ohne seine Berechtigung dazu in die eigene Betrachtungsweise mit einzubeziehen.

Karlsruhe-Touristen

Eine neue Qualität der Verunglimpfung hat der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft im dbb, Rainer Wendt, gefunden. Es sei zu befürchten, so Wendt, dass auch bei einer Verabschiedung eines modifizierten BKA-Gesetzes die Karlsruhe-Touristen wieder aktiv werden würden. Hiermit sprach er explizit die ehemaligen Minister Gerhard Baum und Burkhard Hirsch an, die in den letzten Jahren einige Male das Bundesverfassungsgericht anriefen. Baum, der gemeinsam mit Hirsch und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gegen den Großen Lauschangriff klagte (und obsiegte), legte erfolgreich Verfassungsbeschwerden gegen das Luftsicherheitsgesetz ein, ferner gegen die Onlinedurchsuchung (legitimiert durch das NRW-Verfassungsschutzgesetz), eine Beschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung ist anhängig.

Auch Burkhard Hirsch ist seit der Verfassungsbeschwerde gegen den Großen Lauschangriff nicht untätig gewesen: Klagen gegen das Luftsicherheitsgesetz sowie gegen die Vorratsdatenspeicherung wurden von ihm eingereicht – und im Falle des Luftsicherheitsgesetzes erfolgreich beschieden.

Wenn nun also aktive und überzeugte Bürgerrechtler wie Baum und Hirsch als „Karlsruhe-Touristen“ bezeichnet werden, so ist dies nicht nur verächtlich, es lässt auch die Realität außen vor. Hier handelt es sich nicht um medienbegeisterte Leute auf dem Egotrip, die sich mal als „Retter“ feiern lassen wollen, hier sind zwei sehr ruhige und besonnene Menschen dabei, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Diese Rechte ermöglichen es, gegen ein Gesetz, das ihrem fachmännischen Urteil nach nicht verfassungskonform ist, Beschwerde einzulegen – ein elementares Recht des Einzelnen gegenüber der Staatsgewalt.

Zusätzlich muss festgestellt werden, dass die vermehrte Anrufung des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich der „Sicherheitsgesetze“ kein Spaß ist – missbräuchliche Anrufungen des BVerfG können sogar geahndet werden. Eine Verfassungsbeschwerde benötigt Zeit und nicht selten auch Geld (auch wenn sie offiziell kostenfrei ist). Viele Verfassungsbeschwerden sind eher ein Indikator dafür, dass zunehmend die grundrechtlichen Belange bei den Sicherheitsmaßnahmen keine Rolle spielen, so dass Karlsruhe immer öfter als Korrektiv einschreiten muss. Meistens nur, damit das nächste Gesetz, ein klein wenig abgeändert, dem monierten Gesetz folgt. Dass sich dadurch für diejenigen, die nicht verstehen können oder wollen, dass dies nicht der Grund, sondern die Folge ist, ein „Karlsruhe-Tourismus“ ergibt, ist bedauerlich. Dass sich die Kritisierten nicht mehr anders helfen können, als auf Häme und Verachtung auszuweichen, ist ebenso bedauerlich. Es ist jedoch auch entlarvend.