Wie frei darf die freie Meinung sein?

Die China-Berichterstattung der Deutschen Welle als Lackmustest für die Meinungs- und Pressefreiheit

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Deutsche Welle gilt als mediale Visitenkarte Deutschlands in der Welt. Der Auslandssender der Bundesrepublik Deutschland wird mit Steuermitteln finanziert und sendet sein Programm weltweit und in verschiedenen Sprachen über Kurzwelle und betreibt ein Nachrichtenportal im Internet, das in 30 verschiedenen Sprachen lokalisiert wird. Für Aufsehen sorgte im letzten Jahr ein vermeintlicher Skandal um die China-Berichterstattung der Deutschen Welle.

Zhang Danhong bei Streit im Turm vom 16.05.2008.

Im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking wurde die stellvertretende Leiterin der China-Redaktion der Deutschen Welle, Zhang Danhong, in deutschen Talkshows als Expertin zu diesem Thema eingeladen. Zhang Danhong wollte allerdings nicht in den medialen Tenor vom bösen chinesischen System einstimmen, sondern äußerte sich kritisch zur – ihrer Meinung nach – einseitigen Berichterstattung in den deutschen Medien. Ihr differenzierter Blick auf China löste eine Protestwelle aus, die maßgeblich aus dem Umfeld der Falun Gong gegen Zhang Danhong und die Deutsche Welle instrumentalisiert wurde. Der Fall wurde ein Politikum und Zhang Danhong wurde zunächst suspendiert und dann degradiert. Untersuchungen des Rundfunkrates ergaben, dass sich die Vorwürfe nicht bestätigen ließen – was bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack. Presse- und Meinungsfreiheit scheinen nur dann wirklich „frei“ zu sein, wenn sie der herrschenden Meinung entsprechen – und die herrschende Meinung ist meist die Meinung der Herrschenden.

Eine chinesische Journalistin bemüht sich um Differenzierung

Zhang Danhong arbeitet seit den 1990ern für die Deutsche Welle. Im Jahre 2004 wurde sie zur stellvertretenden Leiterin der China-Redaktion ernannt. In dieser Position hat sie maßgeblichen Einfluss auf das chinesischsprachige Programm des deutschen Auslandssenders. Die Internetseiten der Deutschen Welle wurden mehrfach Opfer der chinesischen Zensur und landeten auf der Schwarzen Liste der „Great Firewall of China“ – womit das von Zhang betreute Programm wohl kaum als regimefreundlich gelten kann. Fremdsprachige Journalisten der Deutschen Welle sind in Deutschland selbst meist unbekannt – das änderte sich im Falle Zhang Danhong, als diese im Mai 2008 an einer Diskussion des Kölner Stadtanzeigers mit dem chinesischen Menschenrechtler Wu Man-Yan teilnahm.

Streit im Turm vom 16.05.2008. KStA-Mitarbeiterin Susanne Rohlfing im Gespräch mit der Journalistin Zhang Danhong und dem Menschenrechtler Wu Man-Yan.

Zhang bemühte sich, ein differenziertes Bild über China zu vermitteln, kritisierte dabei auch die Berichterstattung in den westlichen Medien und wünschte sich „mehr fundierte Hintergrundberichte“. Während des Interviews äußerte sich Zhang kritisch über den „harten Kern“ der chinesischen Sekte Falun Gong, die sich über ihr Leitmedium „Epoch Times“ einen Propagandakrieg mit der chinesischen Führung liefert. Damit hat sich Zhang auch in Deutschland viele Feinde gemacht – Falun Gong ist auch hierzulande populär und viele Exilchinesen stehen Falun Gong nahe.

Eine Lawine lösten Zhangs Äußerungen in einer Rundfunkdiskussion des Deutschlandfunks aus, die am 8. August – dem Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele – ausgestrahlt wurde. In der Sendung äußerte Zhang nicht nur Verständnis für die Sperrung der Internetseiten von „Free Tibet“ und „Falun Gong“, sie stellte auch die strittige Behauptung auf, dass die Überwindung der Armut für 400 Mio. Chinesen in den letzten 30 Jahren eine der größten Menschenrechtsverbesserungen der jüngeren Zeit sei. Beides sind strittige Punkte, über die man trefflich diskutieren kann – dies ist ja auch der eigentliche Sinn einer Rundfunkdiskussionssendung. Für Journalisten der Berliner Zeitung und des Focus und für den SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz war so viel „freie Meinung“ nicht zu ertragen.

Die Lawine kommt ins Rollen

Im August war das Thema „China“ in aller Munde – und jeder Hinterbänkler konnte sich einer Schlagzeile sicher sein, wenn er sich nur chinakritisch genug äußerte. Am 11. August titelte der Focus Expertin lobt Chinas KP und in der Berliner Zeitung legten die Journalisten Pamperrien und Hein wenige Tage später nach und warfen der Deutschen Welle vor, dass Zhangs Äußerungen sich nicht mit deren Grundsätzen vereinbaren ließen. Den „profunden Chinakenner“ Wiefelspütz ließ man ebenfalls zu Wort kommen. „Die Dame hat die Zensurversuche der chinesischen Regierung bereits im Kopf“, ihre Kommentare seien eine „einzige Katastrophe“, so Wiefelspütz.

Die Grundsätze der Deutschen Welle besagen unter anderem:

Wir vermitteln die Werte freiheitlicher Demokratie und setzen uns für die Menschenrechte ein.

Die Äußerungen Zhangs widersprechen demnach wohl der in Deutschland verbreiteten Vorstellung von der Universalität der aktuellen westlichen Sichtweise der Menschenrechte. In diesem Punkt wird man Pamperrien, Hein und auch Wiefelspütz schwerlich widersprechen können. Zhangs Argumentation, die Befreiung von 400 Mio. Chinesen aus der Armut – ein Fakt, der von niemand bezweifelt wird – sei eine große Menschenrechtsverbesserung, ist freilich ebenfalls nicht falsch. Nur legt Zhang den Fokus auf die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte, die der „zweiten Generation“ der Menschenrechte zugerechnet und die in Deutschland wenig diskutiert werden. Das wundert kaum, die Meinung und die Presse sind in Deutschland zweifelsohne frei, um die soziale und die wirtschaftliche Freiheit steht es hierzulande aber nicht so gut. Ein Diskurs über die Menschenrechtsdefinition würde den Grundsatz der Deutschen Welle über pluralistische und umfassende Diskussion allerdings durchaus unterstreichen.

- Wir berichten unabhängig, umfassend, wahrheitsgetreu und pluralistisch.

- Wir liefern umfassende und unzensierte Informationen für Länder ohne Medienfreiheit […]

Kritiker von Zhang stören sich offensichtlich an der „Unabhängigkeit“ der chinesischen Journalistin. Wenn die Deutsche Welle aber ihren Grundsätzen gemäß kein Lautsprecher der Bundesregierung ist, muss natürlich auch ein offener Diskurs gestattet sein. Zhangs Äußerungen – so strittig sie sein mögen – stellen einen solchen Diskurs in bester deutscher Medientradition dar.

Vom Agenda-Setting zum Politikum

Anfang September legte Pamperrien nach. Die Journalistin, die mittlerweile über das Thema ein Buch schreibt, berichtete Anfang September in der Berliner Zeitung, und wenige Tage später zusammen mit dem Kollegen Hein auf Spiegel-Online, über die Reaktionen auf die „Affäre“ und drehte damit munter an der Eskalationsschraube. So wurden Berichte der „Epoch Times“ über vermeintliche Beispiele für „chinesische Propaganda“ im Programm der Deutschen Welle vollkommen wertneutral angeführt – „Epoch Times“ ist als Sprachrohr der Falun Gong bekannt und es ist ebenfalls bekannt, dass sich die chinesischen Staatsmedien und die „Epoch Times“ einen munteren Propaganda-Gegenpropaganda-Krieg liefern. Berichte der „Epoch Times“ sind daher a priori mit der gleichen Skepsis zu betrachten wie Berichte der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua. Die Artikel der Berliner Zeitung und von Spiegel-Online stellten die „Epoch Times“ allerdings sogar als „regimekritisches deutsches Medium“ dar, das als Korrektiv zur Deutschen Welle zitiert wird – da wurde der Bock zum Gärtner gemacht.

Am 13. September wurde die Eskalationsschraube ein Stück weiter gedreht. Eine Gruppe chinesischer Dissidenten, die Aktivisten der religiös-politischen Sekte Falun Gong sind oder mit dieser in Verbindung stehen, schrieben einen Offenen Brief an den Bundestag, in dem sie eine „Neuorganisation“ der China-Redaktion der Deutschen Welle forderten. 10 Tage später legte der „Autorenkreis der Bundesrepublik“ nach und schrieb ebenfalls einen Offenen Brief an den Bundestag, in dem sich die Unterzeichner massiv über die China-Berichterstattung beschwerten. Zu den Unterzeichnern gehören so schillernde Personen wie der Historiker Arnulf Baring, Mitglied der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und der Friedrich Naumann-Stiftung, die als Förderin der Exiltibeter bekannt ist, und der umstrittene Publizist und Islamkritiker Henryk M. Broder. Der Autorenkreis fordert von der Deutschen Welle einen Gesinnungscheck für ihre Mitarbeiter, um einen „diktaturimmunen“ und „werteorientierten“ Journalismus zu gewährleisten – „Um die Glaubwürdigkeit des Senders wiederherzustellen, müsste zusätzlich bei seinen deutschen Mitarbeitern eine nochmalige Stasiüberprüfung anberaumt werden.“ Damit meinen die Unterzeichner allerdings nicht ihren Gesinnungscheck, obgleich dies ebenfalls eine plausible Lesart wäre.

Die Deutsche Welle kapituliert

Am 22. September erklärte die Deutsche Welle, man werde die Vorwürfe gegen Zhang überprüfen. Bis dies geschehen sei, werde sie keine Sendungen mehr moderieren. Drei Tage später fand man einen Kompromiss - Zhang wurde degradiert und darf fortan nur noch als einfache Redakteurin für die Deutsche Welle arbeiten. Pamperrien und Hein karteten daraufhin auf Spiegel-Online und in der FAZ nach. Zhang sei keine „Einzeltäterin“ – es gehe auch um die „ideologisch penetranten wie selektiven Beiträge der Online-Redaktion“. Genüsslich wird in den Artikeln aus dem Brief des Autorenkreises zitiert. Da mag die Frage gestattet sein, wo Pamperrien, Hein und die Unterzeichner des Autorenkreises die detaillierten Informationen herhaben? Broder ist zwar ein Hans Dampf in allen Gassen, aber des Chinesischen ist er nachweislich nicht mächtig. Anfang Oktober nimmt die Exilchinesin und Falun Gong-Anhängerin Xu Pei den Ball auf – im China Observer warnte sie vor einer „roten Infiltration Deutschlands“. Es sei nicht nur Zhang Danhong, die als „Sprachrohr der KP“ bei der Deutschen Welle auffalle.

Das Pendel schwingt zurück

Angestoßen durch Xu Peis Artikel holte Frank Sieren, Chinakorrespondent der ZEIT zum Rundumschlag aus. Er warf Pamperrien und Hein vor, sich hätten sich von Xu Pei für eine Kampagne einspannen lassen. Xu hätte sich zuvor für die Stelle des Vorgesetzten von Zhang beworben und sei nicht einmal in die engere Auswahl gekommen. Inhaltlich konnte er der Kritik ebenfalls nicht folgen. Für Sieren ist die Deutsche Welle zweifelsohne „regimekritisch“. Sierens Kritik wurde wenige Tage später von Pamperrien und Hein auf Henryk M. Broders Plattform „Achse des Guten“ als „ehrabschneidender Vorwurf“ kritisiert.

Am 13. Oktober wandten sich diesmal 65 namhafte Chinawissenschaftler, Publizisten und Politiker in einem Offenen Brief an den Bundestag – darunter Günter Grass und China-Korrespondenten der FAZ, der ZEIT und der taz. In aller Deutlichkeit kritisierten sie nicht nur die Personalentscheidung der Deutschen Welle, sondern auch die Forderungen des „Autorenkreises“ – die geforderte Überprüfung der Mitarbeiter grenze für sie an Zensur. „Das angestrebte Ziel ist offenkundig die Unterbindung jeder um Differenzierung bemühten öffentlichen Kommunikation über die Entwicklung Chinas“ – so die Unterzeichner. Auch der in Shanghai lebende ehemalige Kulturkorrespondent der FAZ Zhou Derong ergriff im Oktober Partei für Zhang Danhong () – sie als „extrem regimefreundlich“ zu bezeichnen, sei für ihn „glatter Unsinn."

Das Nachspiel

Angestoßen durch die Kritik aus den Medien und der Politik überprüfte die Deutsche Welle ihr Programm. Dafür mussten 10.000 Online- und Hörfunkbeiträge ins Deutsche zurückübersetzt werden – was dies den Steuerzahler kostet, darüber schweigen die Beteiligten. Das Ergebnis wird noch auf sich warten lassen müssen – ein Zwischenergebnis ergab jedoch, dass sich die Vorwürfe des „Autorenkreises“, der „chinesischen Dissidenten“ und der Journalisten Pamperrien und Hein nicht bestätigen lassen, wie DW-Intendant Bettermann feststellen konnte. Die Vorwürfe seien im Wesentlichen aus dem Zusammenhang gerissen und falsch zitiert worden.

So lautete beispielsweise ein Vorwurf der „Epoch Times“: In der chinesischsprachigen Version der Deutschen Welle hätte man während der Unruhen in Tibet aus der deutschsprachigen Version „tibetanische Proteste“ in der Übersetzung „gewalttätige Krawalle“ gemacht. In diesem Vorwurf steckt ein Funken Wahrheit und sehr viel Lüge. Eine Überprüfung ergab, dass die Formulierung „gewalttätige Krawalle“ in der Tat über den Äther ging – allerdings im Rahmen einer Presseschau als Zitat aus einer Hong-Konger Zeitung und auch die hatte die Formulierung als Original-Zitat des nepalesischen Ministerpräsidenten bei einem Peking-Besuch verwandt. Das Zitat fiel übrigens auf Chinesisch, so dass jeder Übersetzungsfehler auszuschließen ist.

Die mediale Posse hinterlässt ein flaues Gefühl im Magen. All zu leicht lassen sich Journalisten und Politiker von interessengetriebenen Exilanten für ihre Ziele einspannen – vor allem dann, wenn diese Ziele weitgehend deckungsgleich mit ihren eigenen Zielen sind. Der Deutschen Welle ist vor allem vorzuwerfen, dass sie sich nicht offensiv vor ihre Mitarbeiterin gestellt und deren Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt hat. Die Meinung ist frei – aber nur dann, wenn sie die richtige ist.