Es rappelt im Emperium

Nach Judo-Art: Michael Hardt und Antonio Negri rufen dazu auf, die Kräfte der Globalisierung umzuleiten, statt gegen sie anzukämpfen

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"Das Empire materialisiert sich unmittelbar vor unseren Augen." So fängt es an. "Sieht ja super aus", dachte sich Tobias Rapp von der seit ihrem Auftritt in den Berliner Seiten der FAZ stadtbekannten Lektüregruppe. "Mit diesem weinroten Titel und der Erdkugel. Dann haben wir angefangen, Leute zusammen zu suchen ..." Das mag zwei Jahre her gewesen sein. Jetzt endlich erscheint "Empire" auch auf Deutsch. Aber von wegen weinrot: blass-blau und grün ist das Cover, und anstelle des dynamischen Wolkenwirbels, der doch allerhand Turbulenzen erahnen ließ, ziert ein Globus-Skelett das Cover. Nur notdürftig bedeckt es seine durchscheinende Blöße mit lappenartig übergehängten Kontinenten. Sieht so die "Die neue Weltordnung" aus, von der der Untertitel kündet?

"Hunderte und aberhunderte" (BerlinerZeitung), "Körper an Körper gequetscht" (Süddeutsche Zeitung), hatten sich zur Buchpremiere in der vergangenen Woche in der Berliner Volksbühne zusammengefunden und die Veranstaltung ebenso kollektiv fluchtartig wieder verlassen - vorzeitig.

Ähnlich wankelmütig zeigen sich die Kritiker. Pries Jan Engelmann in Literaturen das Buch noch "als ein probates Mittel", das "gegen die neoliberale Depression sofort verschreibungspflichtig gemacht werden" solle (Empire-Klappentext), so gesteht derselbe Autor, der es sich nicht hat nehmen lassen, das Buch auch noch einmal für die "taz" zu besprechen, heute ein, dass die Erstrezeption vor zwei Jahren einen Ton angeschlagen hätte, "der etwas erwarten ließ, was dieses Buch nicht sein will, nicht sein kann".

In der Tat: Als ein neues "Kommunistisches Manifest" hatte man den Theorie-Wälzer des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Michael Hardt und des italienischen Philosophen Antonio Negris gefeiert, der als mutmaßlicher Kopf hinter den Anschlägen der Roten Brigaden in seiner Heimatjahrelang inhaftiert gewesen war und heute, mit Meldeauflagen aus der Haft entlassen, nach Jahren des französischen Asyls in Rom lebt.

Marx' Erzählung der Weltgeschichte fortzusetzen, sei Hardt und Negri so gut gelungen, befand letztes Jahr selbst die FAZ, "dass es auch einen überzeugten Nichtmarxisten erfreut". Diesem Urteil schließt sich, noch einmal in derselben Zeitung, auch Herr Sundermeier von der Berliner Lektüregruppe an: "Jetzt gibt es plötzlich dieses Buch, das sagt: Super, die Globalisierung hat uns total geholfen... Da ist man zum ersten Mal wieder mit etwas anderem beschäftigt, als seine Lebensumstände zu kritisieren..."

Worum es geht, bei "Empire"? Darüber kann man nur spekulieren - auch nach der Lektüre. "Empire" ist ein Buch, einerseits. Und ein Ding, anderseits - oder doch so etwas ähnliches wie ein Ding. Dieses Ding, so sagen Hardt/Negri, ist etwas vollkommen anderes als der "Imperialismus". Denn: "Es ist dezentriert und deterritorialisierend." Es ist "eine Ordnung, die Geschichte vollständig suspendiert und dadurch die bestehende Lage der Dinge für die Ewigkeit festschreibt." Trotzdem, und das ist das Schöne, ist das Empire nicht ohne Alternativen - auch wenn eine solche "niemals aus theoretischen Ausführungen wie den unseren entstehen" wird, wie Hardt und Negri einräumen.

Aber einen Vorgeschmack davon, wie es einmal sein könnte, geben die Autoren schon. "Der Wille, dagegen zu sein", schreiben sie, "bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich einer Befehlsgewalt zu unterwerfen, eines Körpers, der unfähig ist, sich an familiäres Leben anzupassen, an Fabrikdisziplin, an die Regulierungen des Sexuallebens usw." Ärger als in den Fantasien des Cyberpunk, meinen sie, müssten die Mutationen ausfallen... um, ja wozu? Um "ein künstliches Werden zu entwickeln" - in dem Sinne, wie Spinoza von einem mächtigen Körper sprach, "geschaffen vom höchsten Bewusstsein, das von Liebe durchströmt ist."

Natürlich ist es leicht, über "Empire" zu spotten. Aber gerade weil das Anliegen so skurril ist, wird, wer immer die Hoffnung nicht aufgeben hat, dass Theorie und Politik doch wieder in einer großen Erzählung zusammenfinden könnten, sich diesem Meisterstück an Überbietungsrhetorik nicht vollends verschließen können.

Jetzt, wo das "Empire" da ist, will es auch gelesen werden. Denn eines ist klar: "Um auf die andere Seite zu gelangen", müssen wir hindurch, durch das Empire. Und durch "Empire" vielleicht auch. Aber wer jene Zeilen liest, der ist schon mitten drin. Nur noch zweihundert Seiten trennen ihn von der anderen Seite.

Michael Hardt/Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Campus: Frankfurt/New York, 2002. 461 Seiten, 34,90 Euro