Chávez wieder an der Macht

Nach gewalttätigen Protesten tritt die Putsch-Regierung in Venezuela zurück, Chávez-Anhänger und rebellierende Militärs holten den abgesetzten und eingesperrten Präsidenten zurück

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Nach dem Staatsstreich vom Donnerstag zwangen aufgebrachte Demonstranten und rebellierende Militärs am Samstag die Übergangsregierung nach nur einem Tag zum Rücktritt. Hatte die protestierende Oberschicht den linkspopulistischen Präsidenten Hugo Chávez mit Hilfe der oppositionellen Medien zunächst aus dem Amt gefegt, folgte am Wochenende der Gegenschlag aus den armen Bevölkerungsschichten.

Sonnabend früh rebellierte eine Fliegerstaffeleinheit unter dem General Raul Baduel gegen die Übergangsregierung von Interimspräsident Pedro Carmona. Mehrere Militärs in der zentralvenezolanischen Stadt Maracay, wo F-16 Kampfjäger stationiert sind, lehnten die neue Regierung ab.

Zeitgleich entwickelten sich Proteste von Chávez-Anhängern in der Stadt, welche die Freilassung des festgenommenen linkspopulistischen Präsidenten forderten. Dieser wurde am Freitag zunächst ins Hochsicherheitsgefängnis Tiuna in Caracas gebracht, später soll er in eine Militärbasis auf die Insel Orchila verlegt worden sein. Auch in der Hauptstadt protestierten Tausende Menschen gegen die Festnahme von Chávez, die am Sonnabend Nachmittag in gewalttätige Auseinandersetzungen mündeten. Bewohner armer Bevölkerungsschichten bahnten sich den Weg bis zum Präsidentenpalast, besetzten Radio- und Fernsehsender und forderten die Rückkehr von Chávez. Dabei sollen mindestens 10 Menschen getötet worden sein.

In der Nacht zu Freitag verkündete das venezolanische Militär zunächst, Präsident Chávez habe formell seinen Rücktritt eingereicht, nachdem es Stunden zuvor zu Schießereien auf oppositionelle Demonstranten gekommen war, bei denen mindestens elf Menschen starben. Anwesende Minister sagten jedoch später übereinstimmend aus, dass Chávez von der Armee zum Rücktritt gezwungen und umgehend abgeführt worden ist.

Die Übergangsregierung unter Pedro Carmona, vorheriger Präsident des Industriellenverbandes Fedecámaras und stärkster Widersacher von Chávez, hatte am Freitag das Parlament auflösen und Gesetze sofort rückgängig machen lassen. Darunter ein unter Chávez erlassenes Landgesetz, dass den Großgrundbesitz beschränken sollte sowie Reformen im Erdölsektor. Zudem ordnete er Verhaftungen gegen Parlamentarier und "Chavisten" an. Präsidenten mehrerer Institution wie dem Strafgerichtshof und der Volksvertretungsbehörde wurden von ihren Posten entfernt und die Nationalversammlung aufgelöst, was das Fass zum Überlaufen brachte.

In Vororten von Caracas kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Bewohnern armer Viertel, unter denen Chávez hohe Popularität besitzt. Sie berichteten, die Polizei hätte bereits am Freitag mit äußerster Härte versucht, Demonstrationen zu verhindern. "Wenn diese Revolution der Mehrheit der Bevölkerung nicht auf dem friedlichen Weg durchführbar ist, sind wir bereit, ihn bewaffnet zu führen", sagte ein Jugendlicher gegenüber Reuters in dem Ort Guarenas, 30 Kilometer östlich von Caracas, wo Demonstranten brennende Barrikaden errichtet hatten.

Nur wenige Stunden später stürmten die Demonstranten das Zentrum von Caracas und zwangen den Interimspräsidenten Carmona nach nur einem Tag zum Rücktritt. Nach ersten Meldungen wurde er umgehend festgenommen. Die Anhänger von Hugo Chávez besetzten mehrere Radio- und Fernsehsender, so dass innerhalb des Landes kaum Nachrichten ausgestrahlt werden konnten. Rebellierende Militärs kündigten die Kontrolle mehrerer Stützpunkte in der Stadt an, darunter das Gefängnis Tiuna, in dem sich Chávez befand. Im Präsidentenpalast Miraflores wurde in der Nacht zum Sonntag der Vizepräsident unter der Regierung Chávez, Diosdado Caballo, zum neuen Übergangspräsidenten vereidigt. Inzwischen ist Präsident Chávez am Sonntag in den Präsidentenpalast Miraflores zurückgekehrt, wo er von Tausenden von Menschen begrüßt wurde. Eine Million Menschen soll die Befreiung von Chávez aus den Händen der Militärs und seine Wiedereinsetzung als Präsident in den Straßen von Caracas gefeiert haben.

Mehrere lateinamerikanische Staatschefs forderten bereits am Freitag auf dem Gipfel der Rio-Gruppe in Costa Rica eine umgehende Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung und verurteilten die Entmachtung von Präsident Chávez als "Staatsstreich". Mexiko, Brasilien und Argentinien lehnten eine Anerkennung der Übergangsregierung ab. Auf Kuba demonstrierten rund 30.000 Menschen und Fidel Castro für eine Freilassung von Hugo Chávez, dessen Leben laut Beobachtern in Gefahr sei. Der peruanische Staatschef Alejandro Toledo rief die Organisation Amerikanischer Staaten auf, Sanktionen gegen Venezuela zu verhängen, sollte das Land nicht umgehend die demokratische Ordnung achten. Die USA hatte die für 48 Stunden durch den Staatsstreich wie zu früheren Zeiten an die Macht gekommene Regierung unterstützt. Versprach Hugo Chávez seinen Landsleuten seit drei Jahren eine Bolivarianische Revolution, ohne sie tatsächlich zu realisieren, haben sie ihm nun gezeigt, wie man sie macht.

Tommy Ramm, Bogotá