Schon wieder schlechte Noten!

Eine UNICEF-Erhebung kritisiert die mangelnde Chancengleichheit des deutschen Bildungssystems

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Dass Deutschland bei der aktuellen UNICEF-Studie Educational Disadvantage in Rich Nations nicht mit positiven Ergebnissen rechnen konnte, war von vorneherein klar. Denn die vergleichende Untersuchung der Bildungssysteme, mit denen sich die 24 reichsten Länder der Welt für die Zukunft rüsten wollen, basierte auf den Ergebnissen unterschiedlicher Testverfahren, darunter auch PISA und die Naturwissenschaftserhebung TIMSS, und deren unerfreuliche Befunde waren schließlich hinreichend bekannt.

Insofern konnte es niemanden überraschen, dass Deutschland erneut im letzten Drittel landen würde, während sich Südkorea, Finnland oder Kanada um den Platz an der Bildungssonne streiten. Trotzdem förderte die UNICEF-Studie einige erstaunliche Erkenntnisse zutage, denn das hiesige Bildungssystem hat offenbar nicht nur Probleme mit seiner allgemeinen Leistungsfähigkeit, sondern auch erhebliche Defizite in puncto Chancengleichheit. Der Geschäftsführer von UNICEF-Deutschland, Dietrich Garlichs, musste bei der Präsentation der Untersuchung deshalb lapidar feststellen:

"In Deutschland werden schwache Schüler einfach abgehängt."

In der Tat scheint der Bildungsstand der Eltern nebst dem kulturellen Umfeld und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland einen sehr viel größeren Einfluss auf die Schulkarriere und den Bildungsweg der Kinder zu haben als in den meisten anderen OECD-Ländern. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kinder, die aus Familien mit einem niedrigen Bildungsniveau stammen, nur mangelhaft Lesen und Schreiben lernen, ist dreimal höher als bei ihren Altersgenossen, die in der Hinsicht optimalere häusliche Voraussetzungen haben. Das sieht in Finnland, Irland und Polen, die in dieser Untersuchungskategorie weltweit führend sind, ganz anders aus. Denn in den genannten Ländern liegt die Wahrscheinlichkeit mangelhafter Lese- und Schreibleistungen bei benachteiligten Kindern nur 1,4 mal höher als bei ihren Schulkameraden.

Insgesamt liegt die Gefahr, dass ein 15 Jahre altes Kind nicht richtig lesen kann, in Finnland oder Südkorea bei unter 7%, in der Schweiz, Griechenland, Portugal, Ungarn oder eben Deutschland dagegen bei über 20%.

Die Schullaufbahn spielt bei diesen Ergebnissen eine wichtige Rolle, und auch hier zeigt sich, dass in Deutschland leistungsgleiche Schüler ganz unterschiedliche Chancen haben, ein Gymnasium zu besuchen. Wer aus einer "privilegierten" Familie stammt, ist in dieser Hinsicht ebenfalls klar im Vorteil. Dabei entspricht die Wahl der Schulform keineswegs immer dem tatsächlichen Leistungsvermögen. Untersuchungen haben ergeben, das 40% der Realschüler und 6% der Hauptschüler in der achten Klasse bessere Mathematikleistungen erbringen als das schlechteste Viertel der Gymnasiasten.

Doch das Problem ist grundsätzlicherer Natur, denn Deutschland hat sich in eine Situation hineinmanövriert, in der die Kluft zwischen guten und schlechten Schülern im Laufe der Jahre kaum mehr zu schließen ist. Im Gegenteil. Leistungsschwache Achtklässler haben schon in Finnland unglaubliche dreieinhalb Jahre Rückstand auf ihre Altergenossen, hierzulande sind es aber ganze fünf Jahre!

Garlichs sieht in diesen Unterschieden und der mangelnden Fähigkeit oder Bereitschaft, gute und schlechte Schüler gleichermaßen zu fördern, die entscheidende Erklärung für das schlechte deutsche Abschneiden.

"Es ist menschlich inakzeptabel und wirtschaftlich unsinnig, dass bis heute der Status der Eltern den Schulerfolg der Kinder bestimmt."

Diese Sicht der Dinge stimmt mit den Ergebnissen der Studie überein, die beispielsweise keinen Zusammenhang zwischen den nationalen Bildungsausgaben und der Effizienz des jeweiligen Bildungssystems feststellen konnte. Auch die Anzahl der Lehrer spielt unter halbwegs normalen Rahmenbedingungen wohl kaum eine entscheidende Rolle.

Nach Einschätzung der UNICEF wird sich an der Gesamtsituation aber ohnehin erst dann etwas ändern, wenn die Tatsache, dass Bildung ein lebenslanger Prozess ist, der mit der Geburt beginnt, noch sehr viel tiefer in das öffentliche Bewusstsein dringt. Und natürlich sind auch die politischen Entscheidungsträger gefordert - nicht mit wahllosen Finanzspritzen (woher sollten die auch kommen?), sondern als Initiatoren und Unterstützer aller Aktionen, die der Herstellung einer wirklichen Chancengleichheit dienen können.