Opportuner Umgang mit Menschenrechtsverletzungen

Das britische Dossier über Folter und Hinrichtungen im Irak verärgert Menschenrechtsorganisationen und Kriegsgegner

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In dem 23-seitigen Dossier, das vor zwei Tagen veröffentlicht wurde, werden fürchterliche Folterpraktiken im Irak angeprangert: Augenausreißen, Vergewaltigungen, vorgetäuschte (und echte) Hinrichtungen, entsetzliche Haftbedingungen - ein Dokument des Grauens, dessen Publikation, so der britische Außenminister Jack Straw, wichtig sei, damit die Öffentlichkeit das "umfassende Böse" in der Person von Saddam Hussein begreife.

Dass jetzt ein Geheimdienstbericht vom britischen Außenministerium veröffentlicht wurde, der das Böse in der Person und allernächsten Umgebung des Tyrannen markiert - zu einem Zeitpunkt, wo das Einlenken des Iraks in der Frage der Massenvernichtungswaffen die Legitimation eines Angriff auf das Land erschwert, erzeugt beträchtlichen Argwohn auf Seiten derjenigen, die einem Krieg gegen den Irak nach wie vor skeptisch gegenüberstehen. Der politische Zweck des Papiers sei offensichtlich: Die USA und ihr engster Verbündeter England wollten auf jeden Fall Krieg gegen Saddam Hussein führen, selbst wenn die Waffeninspektion nicht die gewünschten Gründe dafür liefert.

Neu sind die geheimdienstlichen Erkenntnisse über massive Menschenrechtsverletzungen im Irak nur im Detail, aber nicht, was die grundsätzlich brutale Realität im Umgang mit Regimegegnern betrifft. Amnesty International weist seit Jahren darauf hin. Politisch ernstgenommen wurden diese Berichte jedoch nicht. Solange der Westen Saddam in seinem Kampf gegen den anderen Schurkenstaat, den Iran, Unterstützung bot, behandelte man die Opfer des diktatorischen Regimes politisch als "quantité négligable", nicht weiter wichtig, wie z.B. Saddam in den frühen achtziger Jahren mit den Kurden verfuhr. Jetzt sollen die Regimeopfer das Pfand sein, für das es zu kämpfen gilt. Krieg im Namen der Menschenrechte! Was, wie der bekannte britische Journalist John Pilger in einem harschen Kommentar monierte, auch bedeuten müsste, dass man aufgrund der Berichte über Menschenrechtsverletzungen bald auch Länder wie China, Russland und schließlich die Vereinigten Staaten selbst angreifen müsste.

Genau gegen diesen opportunen Missbrauch der Menschenrechtsverletzungen im Irak verwehrte sich Amnesty in einer ersten Stellungsnahme. "Kalte und kalkulierte Manipulation der Situation, was die Menschenrechte betrifft, um sich Gründe für einen militärischen Angriff zu verschaffen", lautet der Vorwurf der Organisation auf die Veröffentlichung des Dossiers. Internationale Menschenrechtsgruppen und britische Parlamentarier schlossen sich dieser Kritik an. Ein hochrangiger Abgeordneter des britischen Unterhauses meinte, dass die Publikation des Dokuments äußerst ungewöhnlich sei, ein einmaliger Vorgang, ohne Vorläufer, dazu da, sich für den Krieg moralisch aufzurüsten.