Bargeld kontra Zeitgeist

Neues aus der Volkswirtschaft: Alles wird schneller, nur das Bargeld nicht

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Alles wird immer schneller: die Computer, das Internet und sogar die Computer-Magazine. So erreichen uns nicht nur regelmäßig Emails, die ­ glaubt man ihrem Datum - noch gar nicht geschrieben und erst recht noch nicht abgeschickt worden sind, sondern auch unser bevorzugtes Apple-Journal ist bereits Ende Dezember mit seiner Februarausgabe erschienen. Was wiederum zu einem komischen Knick in der Zeitachse führt: Da die angegebenen Preise in dem beigefügten Versandkatalog nur bis zum 31.1.03 gültig sind, haben sie nämlich bei dem eigentlichen Erscheinen des Heftes längst ihre Gültigkeit verloren.

Aber auch der Mensch selbst hat sich von diesem Irrsinn infizieren lassen und erhöht ständig sein Tempo. So bewegen sich Astronauten mit 102.000 Stundenkilometer durchs All, der Motorradfahrer Ron Cook hält mit 304 km/h den Spitzenrekord auf zwei Rädern und sogar unser Golf schafft locker 150 km/h. Dass man bei diesem Tempo mental aus der Bahn geworfen wird wie beispielsweise dieser Herr, das wundert kaum, dennoch gibt es auch im Zeitalter der Geschwindigkeit noch etwas, was sich dem zeitgeistigen Trend zum "Immer-Schneller-Werden" widersetzt: das Geld in seiner baren Form.

Ja, das Bargeld kriecht gleichsam wie eine Nacktschnecke über unsere Erde, durch die Fugen unserer Gesellschaft und erreicht nur äußerst mühsam unsere Brieftaschen. Wer es nicht glauben mag, der sollte mal ins eigene Portemonnaie schauen oder auf myeuro.info. Dort kann man ­ wie auf diversen anderen Seiten auch - verfolgen, wohin all die schönen, aber langsamen Scheine wandern. Zusätzlich erfährt man in einem Forum, dass zum Beispiel fünf Euro-Noten immer auf Druckplatten á 60 Scheine und zehn Euro-Noten auf Druckplatten á 54 Scheine hergestellt werden. Und man bekommt einen Tipp, wie man die Echtheit der aufgedruckten Seriennummern überprüfen kann:

Um zu prüfen, ob die Seriennummer bzw. der Schein echt ist, gibt es ein einfacheres Verfahren (am Beispiel der Seriennummer X06276057671):

1. Buchstaben durch die Position des Buchstaben im Alphabet ersetzen: A=1, B=2 ... X=24, Y=25, Z=26

Bsp.: X=24

2. Die Quersumme aus dem umcodierten Buchstaben, den zehn Ziffern der Seriennummer und der Prüfziffer bilden. Alle Zahlen addieren und wieder die Quersumme der Quersumme der ... bilden, bis die Zahl einstellig wird.

Bsp.: 24 + 0 + 6 + 2 + 7 + 6 + 0 + 5 + 7 + 6 + 7 + 1 = 71

7 + 1 = 8

3. Wenn als Ergebnis eine 8 heraus kommt ist der Schein echt!

Und wer sich und seine Scheine dort registriert und sehr viel Glück hat, der erfährt per Email, wann und wo diese Scheine wieder aufgetaucht sind. Ein Spielchen, an dem sich europaweit derzeit rund 2.560 Nutzer beteiligen, die über 123.000 Scheine im Wert von 3,3 Millionen Euro registriert haben.

Aber das ist noch längst nicht alles. Denn wer bisher angenommen hat, dass sein Geld sowieso immer viel zu schnell den Besitzer wechselt, der wird auf dieser Netzseite endlich eines Besseren belehrt. Der uns nach Weihnachten verbliebene 50 Euro-Schein hat nämlich exakt 8.616,05 Stunden benötigt, um die 317,7 Kilometer von der Druckerei bis in unsere Brieftasche zurückzulegen. Was wiederum einer Geschwindigkeit von exakt 0,0369 km/h entspricht. Und da auch andere Scheine nicht schneller gewesen sind, ist das der eindeutige Beweis, dass das Bargeld mit Tempo überhaupt nichts am Hut hat. Und dieses verdammt langweilige Schneckentempo erklärt dann eben, warum unsere Brieftaschen meist gähnend leer sind, warum der Einzelhandel unter Umsatzeinbrüchen leidet und warum unsere Wirtschaft nur langsam (!) wieder in Gang kommt.

Und zum Schreiben dieser volkswirtschaftlichen Betrachtung hat unsere Maus übrigens genau 281 Meter zurückgelegt. Was pro Zeichen exakt 0,07049674 Meter entspricht. Aber um den nahe liegenden Zusammenhang von Text und Entfernung, von Idee und Längenmaß, von Geist und Raum werden wir uns demnächst mal ganz ausführlich kümmern.