Das letzte Tabu?

Englischer TV-Sender zeigt schwerverdauliche Kunst aus China

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Dass ausgerechnet ein Dokumentarfilm über chinesische Underground-Künstler schon vor der Ausstrahlung am Donnerstag in England einen Skandal verursacht und damit für hohe Einschaltquoten sorgen wird, klingt unglaublich, ist aber wahr. Was der Sender Channel 4 nämlich um 23.05 Uhr ausstrahlen wird, ist vermutlich eines der größten Tabu-Verletzungen der letzten Jahre.

23:05 Beijing Swings
China Season
Waldemar Januszczak explores Beijing's underground art scene to find out why China is currently producing the most outrageous and explicit modern art in the world.

Gezeigt wird eine Aktion des Künstlers Zhu Yu mit dem Titel "Man-eater", die er im Jahre 2000 auf einer Kunstausstellung in Schanghai zum ersten Mal präsentiert hat. Dabei sieht der Zuschauer wie Zhu Yu vor laufender Kamera ein angeblich echtes Baby verzehrt, das kurz zuvor als Frühgeburt tot zur Welt gekommen sein soll. Die Totgeburt hat der Künstler nach eigenen Angaben aus einer chinesischen Medizin-Schule gestohlen. Gegenüber den britischen Medien hat Zhu Yu jetzt ausdrücklich betont, dass er selbst Christ sei, dass keine Religion den Kannibalismus untersage und es auch kein Gesetz gebe, welches das Essen menschlicher Leichenteile verbiete.

Gegen die Ausstrahlung dieser Dokumentation haben in England inzwischen nicht nur konservative Politiker protestiert, sondern auch der chinesische Botschafter, der offenbar eine Image-Schädigung seines Landes befürchtet. Verteidigt wird die Sendung dagegen von dem Kritiker der "Sunday Times" Waldemar Januszczak, der die Bilder im Fernsehen auch kommentieren wird. Zwar wolle er Yus Praktiken nicht verteidigen, sagte er der BBC. Aber es sei wichtig, darüber nachzudenken, warum ausgerechnet in China die extremste und dunkelste Kunst in der Welt produziert werde.

Ob die Zuschauer durch das Betrachten dieser Bilder angeregt werden, über chinesische Kunst nachzudenken, scheint wohl eher zweifelhaft. Dagegen darf sich der Privatsender "Channel 4" schon jetzt auf eine hohe Einschaltquote freuen. Ob sie ähnlich hoch sein wird wie im November bei der Übertragung der öffentlichen Sektion einer Leiche in London durch Gunther von Hagens, bleibt abzuwarten (Der Leichen-Event des Jahres). Ein Spektakel, das damals um Mitternacht von insgesamt 1,4 Millionen Zuschauer auf "Channel 4" verfolgt worden ist. Und damit ein Erfolg, der bestätigt, dass TV-Sender bei der Einschaltquote notfalls eben sogar über Leichen gehen.

Aber auch im Internet haben Bilder aus Zhu Yus Aktion auf eher seltsame Weise schon für Aufregung gesorgt. Anfang 2001 kursierten im Netz nämlich Kettenbriefe, die behaupteten, dass in Taiwan Krankenhäuser für 50 bis 70 Dollar Totgeburten an Restaurants verkaufen würden. Dort würden sie dann, hieß es in der Mail, als Spezialität angeboten. Und als Beweis wurden damals Bilder angehängt, die während der Aktion von Zhu Yu entstanden sind.

Ein Fall nicht nur für Rotten.com, wo die Fotos sofort veröffentlich wurden, sondern auch für eine malaysische Zeitung, die die Geschichte ungeprüft übernahm. Was dann wiederum zu Protesten der Regierung Taiwans führte, die - ähnlich wie jetzt in London die dortigen Vertreter der Volksrepublik - eine Image-Schädigung ihres Landes befürchteten.