US-Präsident Bush zwischen den konservativen politischen Lagern

Interview mit Jim Lobe, Analyst von Foreign Policy in Focus (FPIF), zu den Differenzen zwischen "Realisten" und "Neo-Imperialisten" in der Bush-Regierung

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Während die "Neo-Imperialisten" um US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Vizepräsident Dick Cheney mit einer Invasion und der Besetzung Iraks den ganzen Mittleren Osten umgestalten wollen, bleiben die "Realisten" um Außenminister Colin Powell weiterhin skeptisch und würden am liebsten überhaupt nicht militärisch vorgehen, schon gar nicht unilateral. Das erklärt Jim Lobe, Analyst von Foreign Policy in Focus (FPIF, im Telepolis-Interview. FPIF ist ein Netzwerk von über 650 Wissenschaftlern, das sich kritisch mit der Außenpolitik der US-Regierung auseinandersetzt und als Denkfabrik für Bürgerbewegungen dient.

Die US-Armee bereitet auf Hochtouren eine militärische Intervention in Irak vor. Allerdings tauchen unter der Oberfläche einer aggressiven Rhetorik gegenüber dem Regime von Saddam Hussein immer wieder eine Reihe von Differenzen innerhalb der Administration von Präsident George W. Bush auf. Worin liegen die Unterschiede zwischen "Hardlinern" und "Realpolitikern", wie Sie die beiden Lager benennen?

Jim Lobe: Auf der einen Seite stehen die Falken oder "Neoimperialisten". Sie scharen sich um den Pentagonchef Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sowie den Vizepräsidenten Dick Cheney. Auf der anderen Seite befindet sich das Lager der "Realisten" um Außenminister Colin Powell. Er wird interessanterweise kritisch unterstützt von Topberatern Papa Bushs sowie von den europäischen Verbündeten und einigen wichtigen Senatoren der Republikaner und Demokraten. Die Differenzen zwischen beiden Lagern zeichnen sich in so gut wie alle bedeutenden außenpolitischen Fragen ab, nicht nur in bezug auf den Nahen Osten oder Irak. Sie haben grundsätzlich unterschiedliche Anschauungen von der Rolle der USA in der Welt.

Bezüglich Irak sind die Neoimperialisten entschlossen, Saddam Hussein zu stürzen und zwar unabhängig davon, ob er den UN-Waffeninspektionen nachkommt oder nicht, und auch unabhängig davon, ob der UN-Sicherheitsrat eine militärische Aktion autorisiert oder nicht. Die Realisten sind dagegen viel mehr darauf bedacht, dass die Inspektoren ihre Arbeit machen und wären zufrieden mit einer substanziellen Entwaffnung Iraks wie es die Resolutionen des Sicherheitsrates fordern.

Präsident Bush schwankt zwischen den Lagern

Wie wirken sich die Differenzen zwischen Neo-Imperialisten und Realisten in der militärischen Strategie gegenüber Irak aus?

Jim Lobe: Die Neo-Imperialisten und vor allem deren neo-konservativer Flügel sehen in der Invasion und Besetzung Iraks eine Möglichkeit, das Kräftegleichgewicht im Mittleren Osten zu verändern. Dies zielt unter anderem auf die Verbesserung der Sicherheitslage Israels. Diese Sichtweise betrachtet das Ende Saddams als einen entscheidenden Schlag gegen Israels arabische Gegner, vor allem Syrien, die Hisbollah in Libanon und die palästinensische Autonomiebehörde. Dabei soll eine neue Allianz entstehen, die aus Israel, der Türkei, Jordanien und einer "moderaten" irakischen Führung, am besten unter dem Irakischen National Kongress und ihrem Chefs Ahmed Chalabi, bestehen soll.

Die Neo-Konservativen zielen auf eine lang andauernde Besetzung Iraks und einen De-Baathifikationsprozess1, den sie mit dem De-Nazifizierungsprozess in Deutschland vergleichen. So soll eine Entwicklung zu einem modernen westlichen Staat statt finden. Die konservativeren Hardliner, wie Cheney und Rumsfeld, bevorzugen allerdings eine relativ kurze Besetzung und sind nicht so große Anhänger des "Nationbuilding". Sie präferieren das Post-Taliban-Afghanistan als Modell.

Viele Realisten sind aber noch immer gegen eine Invasion. Falls es doch dazu kommt, würden sie eine kurze Besetzung bevorzugen und die Verantwortung schnell an die UN und eine einheimische, US-freundliche Regierung übertragen. Die Realisten sehen in der Irak-Invasion keine Möglichkeit, die Region zu transformieren, sie fürchten viel mehr, dass eine Irak-Invasion die bestehenden anti-westlichen, anti-amerikanischen Gefühle in der Region weiter radikalisieren und größere Proteste hervorrufen könnte, die US-freundliche Regierungen wie in Jordanien, Saudi Arabien, Jemen und sogar Ägypten gefährlich werden könnten. Im Fall einer Invasion würden die Realisten unmittelbar Druck auf Israel ausüben, einem umfassenden Friedensplan zuzustimmen.

Welches Lager hat momentan den größeren Einfluss auf Präsident Bush?

Jim Lobe: Das weiß niemand genau. Die verbreitete Meinung ist, dass Bushs "Herz" für die Falken schlägt, aber sein "Kopf" mehr den Beratern seines Vaters und Powell zuneigt. Obwohl seine Rhetorik, zumindest wenn er frei spricht, eher dazu tendiert, die Sichtweise der Neo-Imperialisten zu transportieren, haben seine Handlungen, wenigsten in den vergangenen Monaten, eher Powells Linie entsprochen. So ist er im September zu den Vereinten Nationen gegangen, um eine Sicherheitsratsresolution zu bekommen. Außerdem hat er die Position zu Nordkorea verändert. Ich denke, dass es sehr schwer ist vorauszusagen, bei welcher Position Bush landen wird.

Der Anti-Europäismus hat eine sehr lange Geschichte in den USA

In den vergangenen Wochen wächst weltweit, aber auch in den USA selbst, der Widerstand gegen eine Invasion Iraks. Welchen Druck übt die Friedensbewegung in den USA aus?

Jim Lobe: Ich denke, dass in den vergangenen Wochen die Zustimmung zu einem Krieg gesunken ist. Das hat hauptsächlich mit dem Auftauchen Nordkoreas als einer wesentlich gefährlicheren Krise zu tun. Gleichzeitig aber auch, weil die Öffentlichkeit beginnt zu verstehen, was die Implikationen der neo-imperialen Ambitionen der Falken sind. Die Sorge um die wirtschaftliche Entwicklung entzieht dem Krieg ebenfalls Unterstützung.

Es ist in jedem Fall wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass die Unterstützung für einen Krieg gegen den Irak - jedenfalls für einen unilateralen Krieg - sehr niedrig ist und die ganze Zeit über sehr niedrig war. Die Zustimmung dafür liegt bei nicht mehr als einem Drittel der Bevölkerung, vielleicht sogar nur 20 bis 25 Prozent. Die Meinungsumfragen waren ziemlich gleichbleibend in dieser Frage im vergangenen Jahr. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung würde eine Invasion begrüßen, wenn sie vom UN-Sicherheitsrat oder den größeren NATO-Alliierten unterstützt würde.

Etwa zwei Drittel der Bevölkerung haben aber auch über die vergangenen Jahre - schon vor dem Ende des Kalten Krieges - konstant erklärt, dass sie nicht wünschten, dass die USA die Rolle des "Weltpolizisten" einnehmen solle. Sie bevorzugen dagegen ein Vorgehen der USA im Rahmen der UN oder zumindest mit ihren größeren Verbündeten. Das Problem ist, dass diese Mehrheitsauffassung nicht mit derselben Intensität vertreten wird wie die Sicht des neo-imperialen Bündnisses aus der harten Rechten, der Neo-Konservativen und der christlichen Rechten. Diese ist in den Massenmedien in den USA wesentlich präsenter und sie ist auch besser organisiert.

Die deutsche Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder hat ihre Ablehnung eines unilateralen militärischen Vorgehens der USA gegen Irak deutlich gemacht. Auch andere europäische Regierungen und vor allem die europäische Öffentlichkeit sind skeptisch. Wie tief wird der Riss zwischen den USA und Europa sein, falls es zum Krieg kommt. Steht die NATO vor der Zerreißprobe?

Jim Lobe: Ich denke, das hängt alles von den Umständen ab, in denen ein Krieg stattfindet. Falls er mit der Beteiligung von Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien und einer Anzahl der neuen NATO-Mitglieder stattfindet, sehe ich keine größeren Auswirkungen. Falls aber die USA alleine, oder nur mit der Unterstützung nur Großbritanniens vorgeht, dann wird das natürlich weit reichende Auswirkungen haben.

Dabei muss betrachtet werden, dass es über die Kontroverse um Irak und den Mittleren Osten hinaus viele andere Fragen gibt, welche die Beziehungen zwischen den USA und Europa belasten. Die Bush-Administration schließt Elemente ein, vor allem die neo-konservative und christliche Rechte, die grundsätzlich anti-europäisch denken. Der Anti-Europäismus hat eine sehr lange Geschichte in den USA. Das ist etwas, über das Analysten oft hinwegsehen.