Post aus dem fernen China

Wie man über Nacht plötzlich zum Spammer wird

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Unglaublich, was für Geschäfte ich derzeit mache, mit was ich alles online Handel treibe, welche Firmen ich inzwischen gegründet habe, und unglaublich ist auch die Anzahl der Namen, die ich bei meinen internationalen Deals benutze. Da verkaufe ich beispielsweise als "T.J. Huntly" sensationelle Finanztipps, als "Jennifer Parker" bringe ich tolle Kredite an den Mann, als "Gina Hampton" und "Jenna Thompson" biete ich Firmen ein kostengünstiges Telefonkonferenzsystem an. Und wer eine Lebensversicherung benötigt, der ist bei mir beziehungsweise bei "Better Life" auch an der richtigen Adresse.

Da ich meine Kunden weltweit übers Internet und via Email anspreche, manche das aber eben nicht mögen und vielleicht sogar als Spam verurteilen, habe ich natürlich vorgesorgt und arbeite mit gleich zwei ausländischen Providern eng zusammen ­ zum einen mit der "Shanghai Cable Network Co., Ltd.", die ansässig ist in "9/F, Broadcasting & TV Building, No.651 Nanjing Rd. (W), Shanghai, China" und zum anderen mit der INTERMEDIA COMMUNICATIONS im rumänischen CLUJ-NAPOCA. Und gerade mit den Chinesen fühle ich mich inzwischen so verbunden, dass ich den dort verantwortlichen Herren Zheng Shen und Huang Haoran aus Dank schon jede Menge an Mails und gleich ein paar Mal auch ein richtig mächtiges Netzprogramm zum Ausprobieren geschickt habe.

Bedankt haben die zwei sich allerdings bisher nicht ­ das liegt vermutlich daran, dass ich sie in Wirklichkeit längst so verflucht und beschimpft habe, dass beide jetzt mindestens unter Rheuma leiden. Denn natürlich betreibe ich keinen regen Online-Handel, sondern ein Typ, den ich inzwischen vertraulich nur noch blöder Idiot (und schlimmer) nenne, hat eine meiner Mail-Adressen benutzt, um vermutlich millionenfach Werbebotschaften zu versenden. Und weil viele dieser Emails an ungültige Adressen gehen oder von Anti-Spam-Programmen abgewehrt werden, landen in meiner Mailbox seit zwei Wochen täglich Hunderte von unzustellbaren Mails aus der ganzen Welt. Das nervt gewaltig. Und macht aus einem eher friedlich eingestellten Zeitgenossen einen Chinesenhasser, für den jetzt klar ist, dass das Reich der Mitte mitten auf der Achse des Bösen liegt.

Auch die Beschwerdemails meines Providers, dem ich diesen Vorgang sofort mitgeteilt habe, haben die Herren aus Schanghai übrigens völlig ignoriert. Und mehr, meinte ein Hotliner des Providers, könne er leider nicht machen. Was allerdings helfen könnte, fügte er hinzu, sei das Ausschalten der so genannten "Catch-all"-Funktion. Wie ich das aber wiederum machen könnte, wüsste er nicht, dafür sei nämlich eine andere Hotline zuständig. Und der Rest, den der gute Mann dann noch erzählte, klang gefährlich nach Chinesisch, war also breites Fachchinesisch.

Und jetzt hat mein Postfach gerade wieder zwei Mails empfangen, die unzustellbar zurückgeschickt worden an "Sabrina Baretta", die über meinen Account und auf Kosten meiner Nerven wirbt für:

Long Distance Conference Calls
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Klingt doch günstig ­ oder? Das werde ich wohl gleich mal den Herren Zheng Shen und Huang Haoran schreiben, die sich bestimmt auch über das neue AOL-Programm für Mac OS X riesig freuen werden.