"Unabhängige Berichterstattung? Dass ich nicht lache"

Ein Gespräch mit dem Journalisten John R. MacArthur über die amerikanischen Medien, die Kriegsberichterstattung und den möglichen Irak-Krieg

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John MacArthur (1956) ist Autor des auch auf Deutsch erschienenen Buches "Second Front: Censorship and Propaganda in the Gulf War" (Schlacht der Lügen) über Medienzensur und Propaganda während des Golfkriegs 1991. Er ist Herausgeber der mehr als 150 Jahre alten Zeitschrift Harper's Magazine mit einer Auflage von 220.000 Exemplaren, Tendenz steigend.

In der europäischen Presse heißt es als Erklärung für die amerikanische Kriegstreiberei oft, eine kleine Clique von "Hardlinern" habe die US-Regierung okkupiert und vernünftigere Kräfte wie die CIA seien aus gutem Grund gegen einen Krieg. Wie sehen Sie das?

John R. MacArthur: Ein solche Sichtweise ist absurd. Die CIA macht, was ihr von der Regierung aufgetragen wird. Sie hat kein politisches Mandat. Wenn die CIA den Wind aus einer Richtung wehen sieht, dann tut sie alles, um die Informationen zu liefern, die genau die gewünschte Sichtweise stützt. Das hat die CIA immer getan. In Vietnam gingen die CIA-Chefs mit den Kriegspolitikern durch dick und dünn.

Zur Zeit gibt es angeblich eine Meinungsverschiedenheit zwischen CIA und Pentagon über die Legitimität des "Iraqi National Congress". Die CIA wolle sich vom INC distanzieren, das Pentagon nicht, heißt es. Aber statt einer Meinungsverschiedenheit handelt es sich um Bürokratengerangel. Das hat nichts mit einem Ringen um gute oder schlechte Politik zu tun.

Niemand will letztendlich regierungsintern für einen Fehler verantwortlich gemacht werden können, darum geht es. Die Herren fürchten keinesfalls den Krieg selbst. Denn sie gehen, meiner Ansicht nach richtigerweise, davon aus, dass Saddam Hussein schnell fallen, und dass es in der ersten Kriegswoche relativ wenige Tote geben wird. Sie fürchten vielmehr das Danach: einen Schiiten-Aufstand, einen Bürgerkrieg, Angriffe auf amerikanische Militäreinrichtungen wie im Libanon Anfang der 80er Jahre. Niemand in der Regierungsbürokratie will die Prügel für eine fehlgeschlagene Politik einstecken müssen, und sie fühlen allesamt schon mal vor, woher der Wind weht.

Vor kurzem schwappten Berichte in die Medien, dass das Pentagon amerikanischen Journalisten nun doch erlauben will, mit aufs Schlachtfeld im Irak zu gehen. Ist das das Ende der Militärzensur?

John R. MacArthur: Hut ab vor der Presseabteilung des Pentagon! Die Burschen sind wirklich brillant, ich sage das mit dem Zusatz "leider". Die amerikanischen Medien - und ein Teil der ausländischen Presse, die einfach von ihr abkupfert - haben sich täuschen lassen. Die Journalisten denken wirklich, dass sie Kriegsberichterstattung machen werden. Sie durften sogar durch Trainingslager gehen, in denen Kampfeinsätze geübt werden. Der kurzfristige Effekt war, dass über die PR-Politik des Pentagon positiv berichtet wurde. Der aufstrebende Journalist sagt jetzt mit Gänsehaut: Schau mich an, ich spiele Soldat, ich werde Kriegskorrespondent. Niemand schießt auf mich, es ist sicher, man schützt mich.

In Wirklichkeit aber werden die Militärs Reporter mit allen Mitteln davon abzuhalten versuchen, Zeugen einer echten Schlacht zu werden. Kein Journalist wird einen amerikanischen Soldaten im Kampfeinsatz interviewen können, ohne dass ein Aufpasser dabei ist. Unabhängige Berichterstattung? Dass ich nicht lache.

Der Grund, weshalb das Pentagon diese Schiene fährt, ist, dass dies in der Vergangenheit so gut funktioniert hat. Indem man die Reporter faktisch ausschaltet, bleibt das Pentagon der Hauptlieferant von Nachrichten. Es kontrolliert, welche Nachrichten zu welchem Zeitpunkt herausgegeben werden. Gute Frontnachrichten wird man von einem General hören, schlechte wahrscheinlich überhaupt nicht.

Aber die Pressemeute will gefüttert werden, sonst wird sie unruhig...

John R. MacArthur: Richtig, aber das Szenario, das ich eben ausbreitete, würde zumindest den Eindruck einer Zusammenarbeit erwecken. Pentagonchef Rumsfeld tritt seit seinem Amtsantritt als Verteidigungsminister gegenüber der Presse feindselig auf. Er macht sich offen über sie lustig - und die Journalisten lachen dazu, weil sie das irgendwie für verwegen, lustig und vielleicht sogar sexy halten. 90 Prozent der westlichen Presseleute, die sich in Bagdad aufhalten werden, wünschen sich die exakt selbe Atmosphäre wie in Washington. Wenn es eine Irak-Invasion gibt, dann wird man die schnelle Verwandlung irgendeines Ortes in der irakischen Hauptstadt in einen Briefing Room erleben, in dem sich die meisten Reporter mit Presserklärungen des Pentagon füttern lassen. Genau darin wird die sogenannte Kriegsberichterstattung bestehen, die zuhause über die Bildschirme flimmern und auf den Titelseiten zu lesen sein wird.

Aber da gibt es immer noch den arabischen Fernsehsender "Al Dschasira", der während des Afghanistan-Feldzugs unabhängige Berichte zu produzieren imstande war...

John R. MacArthur: "Al Dschasira" wird mit Sicherheit Berichte zu produzieren versuchen und die entsprechenden Bilder an CNN verkaufen. Aber im Afghanistankrieg haben die USA das Hauptquartier von "Al Dschasira" dann einfach weggebombt. Und damit war Schluss. Dasselbe wird vermutlich auch in Bagdad passieren. Ich vermute, dass wir ein paar Tage lang "Al Dschasira"-Bilder auf CNN sehen werden, und dann nur noch Offizielles aus dem Briefing Room in Bagdad.

Die sogenannte Heimatfront in den USA ist wider Erwarten relativ friedfertig geblieben. Ein Beispiel: die Produktion massenhafter Kriegsfilme, die Sie vor einem Jahr prophezeit haben, ist ausgeblieben. Wie erklären Sie das?

John R. MacArthur: Das ist richtig. Die groß angekündigte 13-teilige TV-Serie, die von dem "Pearl-Harbour"-Regisseur Jerry Bruckheimer produziert werden sollte, ist nie herausgekommen. Es hätte ein Doku-Drama in Koproduktion zwischen ABC und Pentagon über die Kämpfe in Afghanistan werden sollen. Und Bruckheimer soll - im Gegensatz zu den Journalisten - Zugang zu den Schlachtfelder bekommen haben. Ich vermute, dass das Weiße Haus die Produktionsfirmen in Hollywood dazu aufgefordert hat, zumindest vor dem Irakkrieg allzu reißerische antiarabische Bilder nicht in die Kinos zu bringen, weil dies die Saudis beleidigen könnte. Amerikanischer Journalismus und Hollywood folgen dem Pentagon und dem Weißen Haus treudoof nach, mit gewissem Abstand natürlich. Die enge Verbindung zwischen Saudi-Arabien und den USA ist übrigens hoch explosiv, nicht nur wegen der Herkunft der Flugzeugattentäter...

Und die wäre...

John R. MacArthur: Es ist immer wieder lachhaft, wenn über die Macht der Israellobby in Washington geplappert wird. Denn die weitaus mächtigere Lobby ist die der Saudis. Das Land hat erst vor kurzem wieder einen Rekord gebrochen. Für Lobbyarbeit innerhalb der letzten sechs Monate hat es in den USA 14,6 Millionen Dollar ausgegeben. Nur für die Eigenwerbung! Das bricht den Rekord, den Kuwait 1991 aufgestellt hatte.

Zurück zum Mediengeschäft. Nicht zu verstehen ist, weshalb junge amerikanische Journalisten auf der Suche nach der Story ihres Lebens und in Aussicht einer hoch dotierten Karriere kein Risiko eingehen, sich nicht aus dem Zangengriff der Militärs befreien und eigene Wege gehen, etwa, um amerikanische Kriegsverbrechen im Irak aufzudecken...

John R. MacArthur: Der Grund ist, dass man mit so etwas heutzutage im amerikanischen Journalismus keine Karriere mehr machen kann. Der brave Kriegskorrespondent brachte früher die guten oder schlechten Nachrichten von der Front mit nach Hause und erwarb sich so einen guten Ruf. In Vietnam haben sich dadurch Scharen von jungen Reportern, Fotographen, Fernseh- und Printleuten ihre spätere Karriere zusammengeschmiedet. Heute kommt aber der weiter, der die offiziellen "leaks" am schnellsten und effizientesten schluckt, Informationen also, die "durchsickern". Dann wird der entsprechende Journalist nämlich von oben mit noch mehr "leaks" gefüttert und belohnt. Auf diese Weise arbeitet er sich langsam nach oben.

Wenn man über etwas Gegensätzliches zur Regierungslinie oder zu dem, was die anderen Massenmedien berichten, schreibt, filmt oder fotografiert, dann gilt man als Quertreiber. Die Karriereleiter wäre damit zu Ende. Die gesamte amerikanische Medienlandschaft ist von liberal nach rechts gerückt. Journalisten sind freundlicher zu den Behörden. Sie zeigen mehr Bereitschaft, sich mit läppischen Auskünften zufriedenzugeben. Es gibt mehr Glamour, weniger Eigentümer und weniger Vielfalt. Einzelne Medienkonzerne kontrollieren mehr Marktanteile, einschließlich der Aktien. Und die Vorstände denken konservativ-vorsichtig, im Hinterkopf immer die Aktionäre. In den USA funktioniert das nicht mehr so, wie es in Deutschland unter dem Spiegel-Herausgeber Augstein funktionierte. Der machte, was er wollte, egal, ob ihn das Geld kostete oder nicht.

War nicht Ted Turner, der CNN-Eigentümer, so einer wie Augstein?

John R. MacArthur: Turner hat sicherlich ein großes Ego. Damals sagte er: ich behalte meine Reporter in Bagdad, mir gehört schließlich CNN, ich mache, was mir gefällt. Eine recht sympathische Haltung, wenn man sich das graue Gegenstück ansieht, den vorsichtigen Bürokraten, der Schiss davor hat, dass jemand wütend auf ihn wird und dass die Aktionäre giftige Briefe schreiben. Er will keine hohen Wellen schlagen. Darin besteht übrigens ein großer Unterschied zwischen dem letzten Golfkrieg und dem zu befürchtenden. Ted Turner besitzt nicht mehr CNN, er ist aus dem Spiel.

Bedeutet die wirtschaftliche und ideologische Monopolisierung der amerikanischen Mainstream-Medien nicht gleichzeitig einen Aufschwung für eine Zeitschrift wie die, die Sie herausgeben?

John R. MacArthur: Die Vorsicht und der Konservatismus der Mainstream-Medien hat - ja - dem "Harper's Magazine" wirtschaftlich gut getan. Übrigens ebenso der nichtamerikanischen englischsprachigen Presse, die über das Internet zu erhalten ist. "Harper's Magazine" war nie links, eher liberal und literarisch. Es wird inzwischen von Linken gelesen, die einfach nur etwas Intellektuelles und Oppositionelles lesen wollen. Wir sind, und das ist ja nicht schwer, klar gegen die Bush-Regierung, klar gegen die Kriegspolitik. Wir schreiben gegen den neuen Imperialismus, den die USA in Szene zu setzen versuchen, gegen den Unilateralismus und die Arroganz amerikanischer Macht, überhaupt gegen das propagandistische Wesen des politischen Diskurses. Wenn ich auf Veranstaltungen in den USA von Zuhörern gefragt werde, was man denn so lesen könnte, dann sage ich, die britischen Zeitungen "Guardian" und "Independent" sowie die französische "Le Monde".

Und wenn Sie "New York Times" und "Washington Post" vergleichen?

John R. MacArthur: Wenn man Nachrichten bekommen will, dann muss man sich heute als Amerikaner in Übersee auf die Suche begeben. "New York Times", "Washington Post", "Los Angeles Times" und amerikanisches Fernsehen liefern das nicht . Die "Washington Post" ist, das muss ich dazusagen, weitaus besser als die "New York Times", auf jeden Fall, was Stories über Interna der Bush-Regierung angeht. Das Editorial der "Washington Post" ist zwar verheerend, aber so manche Berichte können sich sehen lassen.