So weiß, wie kein anderes Weiß

GM-Food oder Pestizide? Die Gretchenfrage in der Entwicklungshilfe wird unser Selbstverständnis erschüttern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Können sich die Europäer gegen den Rest der Welt abschotten? Wenn es um GM-Nahrungsmittel geht, verbreiten viele europäische Regierungschefs uneingeschränkten Optimismus: "Nicht bei uns," tönt es, "wir machen die Grenzen dicht." Der europäischen Landwirtschaft kann es recht sein: schließlich wird die bisherige Unterstützung noch fester gezurrt, damit Europa autark bleibt. Unsere heile Welt ist dennoch nicht von Dauer, weil die Gefährdung zur Hintertür herein kommt.

GM-Mais gehört zur Gruppe der Nahrungsmittel, deren biotechnische Raffinesse die Welternährung sicherstellen soll. (Bild: Monsanto)

Matin Qaim vom Zentrum für Entwicklungshilfe an der Universität Bonn und David Zilberman von der University of California in Berkeley machen in Science eine Berechnung auf, die sich auf die Erfahrungen mit Bacillus thuringiensis (Bt) modifizierten Baumwollpflanzen stützt. Bt-Baumwolle enthält das Gen für Cry1Ac und schützt damit gegen verschiedene Arthropoden, vornehmlich den Baumwollkapselwurm, die Raupe des Schmetterlings Helicoverpa armigera. Da dieser und weitere Schädlinge die Hälfte der "natürlichen" Baumwollernte vernichten, versprühen die Bauern üblicherweise große Mengen an Insektiziden. Erleichterung brachte die von der US Firma Monsanto entwickelte Bt-Pflanze, die seit fünf Jahren in den USA und in China angebaut wird. Das Lockangebot, um nun in Indien Fuß zu fassen, war der von Monsanto gesponserte Vergleich des Bt-Hybrids gegen die Bt-freie Pflanze sowie die in der Region bisher gebräuchliche Baumwollpflanze. Das Ergebnis ist "so weiß, wie kein anderes Weiß", und wird die Bauern nach der Bt-Pflanze greifen lassen. Mussten sie auf den Bt-Feldern wegen der anderen Erreger etwa 1,74 Kilogramm pro Hektar an hochgiftigen Insektiziden versprühen, benötigten sie für die natürlichen Baumwollpflanzen durchschnittlich drei Begehungen und das Dreifache. Mehr als doppelt soviel Ausbeute mit deutlich weniger gesundheitlichen Schäden sind zweifellos überzeugende Argumente für die Biotechnologie.

Qaim und Zilberman sehen dennoch keine weltweite Verbreitung. Nicht überall ist das Schädlingsspektrum gleich: je geringer der Anteil an Bt-empfindlichen Störenfrieden, um so weniger notwendig ist der Ersatz mit Bt-Pflanzen. Hinzu kommt ein ökonomischer Aspekt: billige Insektizide konkurrieren gegen die teure Bt-Saat. Aus dieser Sicht sehen die Wissenschaftler das Einsatzgebiet vornehmlich in Süd- und Südostasien sowie in Afrika. "Insektenresistente GM-Pflanzen sind vom Bauern leicht zu handhaben und bieten gute Ausbeute," schreiben sie.

Das Plädoyer könnte allerdings trügerisch, weil von kurzer Dauer sein. In China, wo die US Firma Monsanto die Baumwollbauern seit 1997 ins Boot gezogen hat, erfolgt inzwischen nahezu die Hälfte des Anbaus mit Bt-Hybriden aus amerikanischer oder chinesischer Produktion. Nach nunmehr 5 Jahren häufen sich die Beobachtungen, wonach der Baumwollkapselwurm zurückschlägt, indem er gegen das von den Bt-Pflanzen produzierte Protein widerstandsfähig wird. Damit könnte eine Entwicklung beginnen, für die es in der Medizin eine traurige Parallele gibt, nämlich das Heranwachsen von Superbugs, die gegen jedes Antibiotikum resistent sind.

Noch ist die Baumwollpflanze das Vorzeigeobjekt für die Freunde der GM-Vegetation: Nicht wirklich gefährlich, weil bloß eine Nutzpflanze und kein Nahrungsmittel. Veredelt mit Bacillus thuringiensis, dem Wirkmechanismus, der seit 100 Jahren in Gebrauch ist und zuvor als Lösung und Spray benutzt und erst seit 1987 als übertragbares Gen erkannt wurde. In ihrem Bericht "100 Years of Bacillus thuringiensis: A Critical Scientific Assessment" stellte die American Academy of Microbiology im vergangenen Jahr dar, dass weltweit jährlich 12 Millionen Hektar mit Bt-modifizierten Pflanzen angebaut werden - mit unaufhaltsam steigender Tendenz. Die 25 Autoren des Berichts applaudieren dem günstigen Effekt, obwohl aus wissenschaftlicher Sicht doch noch manches fehlt.

Dazu, so ihre Forderung, gehören Untersuchungen zu langfristigen Auswirkungen, die Erprobung von Strategien, um der Resistenzbildung Herr zu werden, sowie Studien über den Genfluss von der Zielpflanze auf die Umgebung. Wie schwierig es ist, die Kräfte richtig einzuordnen, haben kürzlich Gould und Mitarbeiter von der North Carolina State University in PNAS (Proc. Natl. Acad. Sci. USA, Vol. 99, Issue 26, 16581-16586, December 24, 2002) demonstriert: Der Schädling Helicoverpa zea, eines der Zielobjekte der Bt-Baumwollpflanzen, wächst und gedeiht auf Maispflanzen und startet von dort seine Angriffe auf die Baumwollplantagen. Andererseits berichten Yves Carriere und Kollegen von der University of Arizona in PNAS über die Ergebnisse von 5 Jahren "refuge" Strategie, bei der in Arizona simultan Bt-Hybride und Bt-freien Pflanzen angebaut werden. Die Zahl der Schädlinge Pectinophora gossypiella nimmt danach kontinuierlich ab. Ein augenscheinlich günstiger Effekt, der für eine Halbierung des Bt-Bestandes spricht. Die GM-Gegner werden daraus ihr altes Argument erneuern, wonach Bt-Pflanzen ihre Wirkung nach allen Seiten hin übertragen.

Somit bleibt es ein mühsames Geschäft, den Nutzen und die Risiken objektiv gegeneinander abzuwägen. Selbst innerhalb der EU sind die Meinungen geteilt wie die Zulassung von GM-Mais in Frankreich und das Verbot derselben Maislinie von Monsanto Europe SA in Österreich beweisen. Solche Widersprüche werden zukünftig die EFSA, die European Food Safety Agency, beschäftigen. Nach langen Geburtswehen hat der erste Leiter, der Brite Geoffrey Podger, gerade sein Amt angetreten. Da die Behörde erst kürzlich die Mitarbeit von Wissenschaftlern ausschrieb, kann es noch Jahre dauern bis der Widerstreit zwischen dem GM-feindlichen Europa und den GM-freundlichen Mächten USA und China ausgetragen ist.

Muss die Entwicklungshilfe bis dahin eingefroren werden? Wenn es nach den Empfehlungen von Qaim und Zilberman geht, sollte in den Entwicklungsländern der Einkauf von GM-Baumwolle gefördert, sprich finanziert werden. Das allerdings schafft eine pikante Situation, solange die Einfuhr desselben Produkts in Deutschland verboten ist. Rasch geht es einen Schritt weiter: Können wir uns dem Enthusiasmus von Alessandro Pellegrineschi verwehren, der für das International Maize and Wheat Improvement Center spricht und erklärt, dass inzwischen GM-Nahrungsmittelpflanzen entwickelt wurden, die nicht nur schädlingsresistent sind, sondern zusätzlich dürre-unempfindlich? Beim Ja steht unsere Gesundheit gegen das von uns geduldete Risiko für die Armen in den Entwicklungsländern. Sollten die Entwicklungsländer gar erfolgreich sein und am Überschuss verdienen wollen, scheitern sie mit ihren GM-Produkten an der Europäischen Grenze.

Wir haben schlechte Karten, wenn wir emotional Nein sagen, uns missbilligend zurücklehnen und auf die Untersuchungsergebnisse der GM-Befürworter warten, um daraus unsere Perspektiven abzuleiten.