Zählen, Identifizieren und Aussondern mit dem Hollerith-Computer

Eine Zigeuner-Organisation verklagt IBM auf Schadenersatz wegen Automatisierung des Holocaust

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Ein Genfer Gericht hat jetzt Grünes Licht für die Anklageerhebung der Gypsy International Recognition and Compensation Action (GIRCA) gegeben, einer Vereinigung von über 600 Zigeuner-Organisationen. Die GIRCA will den Computerriesen auf 12 Milliarden US-Dollar verklagen. Die Lochkarten-Rechenmaschine Hollerith von IBM soll dabei dem Naziregime geholfen haben, die Bevölkerung der besetzten Länder zu analysieren und so die Hinrichtung von Zigeunern, Juden, Homosexuellen und anderen Gruppen zu automatisieren und so zum Tode von schätzungsweise 600.000 bis 1,5 Millionen Roma-Zigeunern während des Zweiten Weltkrieges beigetragen zu haben. Die GRICA-Anwälte fordern 10.000 US-Dollar für jede überlebende Roma. Allerdings muss nach Schweizer Recht jede einzelne Person ihre eigene Klage einreichen.

Ausgangspunkt der Klage war das vor zwei Jahren erschienene Buch "IBM and the Holocaust" von Erwin Black, der die Rolle von IBM als stärker als bislang angenommen darstellte (Dämonisierung und Fakten). Demnach sei die Belieferung der Nationalsozialisten mit diesen Geräten vom europäischen Hauptquartier "International Business Machines Corp. New York, European Headquarters" von IBM erfolgt, das 1935 in der Mont-Blanc-Street 14 in Genf seinen Sitz hatte. 1941 distanzierte sich die US-Mutterfirma von der deutschen Niederlassung, lieferte aber weiterhin anscheinend Lochkarten über neutrale Staaten wie eben die Schweiz.

Hollerith-Maschine Dehomag D11, die 1933 in Deutschland zur Volkszählung eingesetzt wurde

Eingereicht wurde die Klage bereits am 31. Januar 2002, die erste Anhörung wird jetzt am 20. März 2003 stattfinden. Nach eigenen Angaben will die GIRCA "den schweizerischen Richtern vor Auge führen, welche Mitschuld IBM bei der Gewalt gegen die Menschlichkeit zwischen 1933 und 1945 zukommt". Sollte die Klage erfolgreich sein, dann werden die wenigen noch lebenden Opfer des Holocaust einen Ausgleich erhalten und Gesundheits- und Ausbildungsprojekte für verarmte Zigeuner in Europa gestartet.

Die Zigeuner sind bei vorangegangenen Klagen gegen Deutsche und Schweizer Firmen, denen eine Beteiligung am Holocaust vorgeworfen wurde, stets ausgeschlossen oder mit einem ungerechtfertigt niedrigen Prozentsatz abgespeist wurden, obwohl sie die ärmste ethnische Gruppe seien, die unter der Nazi-Herrschaft gelitten hätten. Es sei das erste mal, dass Zigeuner geschlossen vor ein Gericht treten, um eine Entschädigung zu erkämpfen.

Direkt nach der Veröffentlichung von Blacks Buch klagten fünf Roma-Überlebende IBM in den USA an, scheiterten aber, weil die US-Regierung versprach, sich direkt mit IBM um eine einvernehmliche Lösung zu kümmern. Anwälte der Zigeuner-Organisation Henri-Phillippe Sambuc warfen IBM schon damals vor, eng mit den Nazis zusammen gearbeitet zu haben, um die genauen Erfordernisse ihres "Kunden" an die Maschine zu besprechen und wussten demnach genau um die Aufgabe ihrer Produkte.