Goldgräberstimmung bei den Mikrobiologen

"Biodefense", eine neue Disziplin der US-Wissenschaftler, hat Hochkonjunktur und macht biologische Waffen zum Alltagsgeschäft.

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Beim diesjährigen ASM Biodefense Research Meeting der American Society for Microbiology herrscht dichtes Gedränge. Vier randvoll gefüllte Tage und nahezu 200 Abstracts geben einen Eindruck von der emsigen und erfolgreichen Arbeit im Kampf gegen die Bedrohung durch Terroristen.

Pockenvirus

"Rechtzeitig erkennen ist der beste Schutz", erklärt Mark Poritz von Idaho Technolog, der Firma, die bisher die Militärs mit dem Ruggedized Advanced Pathogen Identification Device (R.A.P.I.D.), einem portablen Messgerät ausgestattet hat. Mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) können biologische Stoffe zwar in angemessener Zeit nachgewiesen werden, aber 25 kg wollen getragen und an eine funktionierende elektrische Leitung oder einen Generator angeschlossen werden.

Heute nun der RazorTM, ein batteriebetriebenes Handgerät, das schneller noch als der Vorläufer, nämlich in 22 Minuten 12 Proben analysiert und weder zur Bedienung, noch für die Auswertung spezielle Fachkenntnisse voraussetzt. "Ein Messgerät für überall: für jede Stadt, für jedes Einkaufszentrum, in dem viele Menschen zusammenkommen," so nochmals Mark Poritz.

Der Innovationsschub begann nach 9/11, dem magischen Datum, das ein Füllhorn öffnete: bislang geheime Erkenntnisse aus der Militärforschung und die Bereitschaft, in eine Forschung zu investieren, die bis dahin müde dahin plätscherte und kaum Zuhörer fand. Tatsächlich begann so etwas wie eine Goldgräberstimmung. Die politisch gebahnte Motivation bringt nun Lösungen zu Tage, die sich niemand vorzustellen wagte. Zu fest waren die Wege eingefahren mit jenen alten Problemen, den Pocken oder Milzbrand und vielen anderen Schädlingen, die missbraucht werden können.

Pocken verlieren ihren Schrecken

"Pocken überlebt man, oder man stirbt daran", ist die Weisheit der medizinischen Lehrbücher. Nicht zu vergessen die Anmerkung: "Das war einmal so, bis die WHO die Pocken für ausgestorben erklärte." In Quarantäne nehmen und auf die Widerstandskraft hoffen? "Nein", sagt Ge Liu von Advanced Biosystems, Inc. und Leiter einer Studie am Southern Research Institute in Frederick, Maryland, und an der George Mason University:

Zahlreiche Zytokinine, speziell Interferone, sind für ihren antiviralen Effekt bekannt. Wir haben bei 95 von 100 Mäusen nach Infektion mit dem Vaccina Virus, einem nahen Verwandten des Pockenvirus, das Überleben gesichert. Interferon alpha oder Interferon gamma in die Nase gesprüht reicht aus.

Ein überzeugender Effekt, da die unbehandelten Kontrolltiere ausnahmslos verstarben.

Unsere Untersuchungen besagen: Interferone sind prophylaktisch wirksam gegen Orthopox-Viruserkrankungen. Die Interferone können synthetisch hergestellt werden; somit ist die Bekämpfung der Pockenepidemie nur noch ein logistisches Problem.

Mit diesen Worten charakterisiert Ge Liu eine Revolution: Pocken werden erstmals seit Menschengedenken zur behandlungsfähigen und damit zur beherrschbaren Erkrankung.

Sogar die prophylaktische Behandlung wird möglich. Earl R. Kern von der University of Alabama in Birmingham berichtet über die überzeugenden Erfolge mit einem virentötenden Arzneimittel, das als Tablette verabreicht wird.

"Unser Cidofovir-Produkt schützt bereits vor der Infektion, und wirkt auch noch, wenn es bis zu drei Tage nach Übertragung der Pocken eingenommen wird." Karl Hostetler vom US Army Medical Research Institute of Infectious Diseases sieht damit die Pockengefahr weit gehend gebannt:

Wer nicht geimpft werden kann, muss eben mehrmals monatlich die Schutzpille einnehmen bis die Gefahr vorüber ist. Und wenn der Arzt nicht sicher ist, ob eine Infektion stattgefunden hat, dann kann er prophylaktisch eine Pille geben und muss nicht erst weitere Tests abwarten.

100 Prozent Erfolg gegen Anthrax

Spinat ist nicht jedermanns Sache. Wissenschaftler der Thomas Jefferson University kennen kaum Besseres, um einen Impfstoff gegen Anthrax herzustellen. Das Wichtigste ist die Bekämpfung der Toxine, nachdem sich die Sporen im Körper festgesetzt haben.

Das Protective Antigen (PA) von Bacillus anthracis ist eines von drei Anthrax-Toxinen. Der gegenwärtig empfohlene Impfstoff besitzt zahlreiche Nebenwirkungen und ist nicht einmal ausreichend wirksam, weil er von einem apathogenen Stamm gewonnen wird,

erklärt Alexander Karasev, der Studienleiter. Sein Team geht einen anderen Weg: ein genetisch erzeugtes Tabakmosaik-Virus wird auf die Spinatpflanze übertragen und sorgt dort für die Produktion von PA-Fragmenten.

Die Pflanzen sind hervorragende Produktionsstätten, weil sie reichlich produzieren, und danach keine aufwendigen Reinigungsschritte notwendig sind.

Das ist das Geheimnis für die erfolgreiche Behandlung der Anthrax-Infektion: eine Kombination nämlich von Antibiotika und Antikörpern gegen das Protective Antigen (PA). Vladimir Karginov von derselben Arbeitsgruppe berichtet:

Die Todesfälle sind Folge der zu späten ärztlichen Diagnose, weil Antibiotika nur die frühe Infektion in den Griff bekommen. Unsere Therapie reicht bis zur Toxinbildung, die von den Antikörpern abgefangen werden. In unseren tierexperimentellen Untersuchungen ist die Kombination von Ciprofloxacin und Antikörpern gegen PA ein sicherer Schutz. Von den Kontrolltieren versterben 80 Prozent ohne Behandlung.

Was tun, sobald sich Anthraxsporen im Gebäude festgesetzt haben? Vaporized Hydrogen Peroxide (VHP) von STERIS Corporation ist das Mittel der Wahl. 4-12 Stunden dauert die Behandlung, und Sauerstoff und Wasserdampf sind die Endprodukte. Die hinterlassen keine unerwünschten Nebeneffekte an den Wänden, beim Mobiliar, in und an Computern und auch nicht bei Bildern.

Gendiagnostik zur Frühdiagnose

Die zu spät erkannte Verseuchung des Menschen war bisher ebenfalls ein ungelöstes Problem. Marti Jett vom Walter Reed Army Institute of Research vertieft sich in die Zellen der Soldaten:

Wir haben eine ganze Bibliothek von zellulären Antworten zusammengetragen, weil jeder Schädigungstyp zu einer spezifischen Genveränderung führt. Die wiederum ist abhängig vom Zeitpunkt der Exposition und der Dauer der Einwirkung.

Nachdem Genprofile als Nebeneffekt der Genforschung weit gehend automatisch innerhalb weniger Stunden erstellt werden können, sind die Wissenschaftler davon überzeugt, dass sie den Zustand bereits einordnen können, bevor die Erkrankung ärztlicherseits überhaupt ausgemacht wird. "Je früher erkannt, um so wirksamer ist die Therapie," bleibt die Losung der Mediziner.

Keine Angstgefühle mehr

Angst vor biologischen Waffen? Seit dem "war against terrorism" sind die Mikrobiologen nicht mehr nur Beobachter, sondern Strategen, die ihre Erreger unter dem Gesichtspunkt einer Waffe betrachten und dagegen ein Antidot entwickeln oder die Gegenwehr aufbauen. Viele Arbeitsgruppen, so scheint es, haben ihre früher völlig andersartig motivierte Forschungsrichtung darauf abgeklopft, ob sie ihren Teil zur Biodefense beitragen können.

Auf dem Kongress in Baltimore überwiegen Positivismus und Aufbruchsstimmung. 42.000 Mitglieder hat die American Society for Microbiology, viele Ansprechpartner also für die Homeland Security und die wirtschaftliche Entwicklung der neuen Art. Allerdings bleibt abzuwarten, wer von den Entwicklungen profitiert. In der Zeit des Kalten Krieges verboten US-Regierungen die Weitergabe "sensibler" Informationen und machten den Export mancher Geräte von der ausdrücklichen Einwilligung abhängig. Billig wird die Bekämpfung der Angst für die Europäer nicht werden.