Nicht jeder freiwillige Kämpfer ist in Bagdad erwünscht

Das Handelszentrum in Damaskus hat sich zum Rekrutierungsbüro für immer mehr Menschen verwandelt, die dem Irak im Kampf gegen die Invasoren helfen wollen

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Sie kommen allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen - ununterbrochen. Ungewöhnlich viele Besucher strömen dieser Tage in das irakische Handelszentrum in Damaskus. Doch diese Besucher sind keine normalen Besucher, und das Handelszentrum ist kein normales Handelszentrum. Hierher kommen nur Freiwillige, die sich für den Kampf gegen die westlichen Invasoren im Irak melden wollen.

Das Handelszentrum - oder besser Rekrutierungsbüro - befindet sich in einer unscheinbaren Halle auf dem weitläufigen Messegelände. Ende April soll hier die Informationstechnologie-Messe beginnen, aber noch wirkt das Gelände recht verlassen. Ein idealer Ort also für die Anwerbung der Freiwilligen, die kein Aufsehen erregen soll.

Weit besser geeignet jedenfalls als die irakische Botschaft, die direkt gegenüber der amerikanischen Vertretung liegt. In der irakischen Botschaft ist nichts über die Aktivitäten auf dem Messegelände zu erfahren. "Wir sind im Krieg. Wir geben dazu keine Auskünfte", heißt es nur. Im Rekrutierungsbüro hält man sich ebenfalls bedeckt, ein Aufpasser versucht gar zu verhindern, dass sich die potenziellen Kämpfer mit dem westlichen Journalisten unterhalten. Dennoch verspüren einige den Drang, sich der Welt mitzuteilen, bevor sie in den Kampf ziehen und womöglich ihr Leben lassen.

Ein Syrer, der auf dem Messegelände arbeitet, schätzt, dass sich in den vergangenen Tagen rund hundert Freiwillige gemeldet haben - täglich. Allein an diesem Vormittag wollen sich an die vierzig Männer rekrutieren lassen. Die Ältesten um die 45 Jahre und Familienväter, die Jüngsten noch so milchgesichtig, dass sie deren Söhne sein könnten. Viele tragen Gepäck mit sich und sehen reisefertig aus.

So auch Ahmed, Anwalt aus Ägypten, der ein kleines Köfferchen hinter sich herzieht und damit eher aussieht wie ein Geschäftsreisender denn ein Krieger. Aber er ist bereit zu kämpfen und ja, Inschallah - so Gott will - werde er sogar sein Leben für einen Selbstmordanschlag opfern. Dass seine Frau dabei zur Witwe und sein sieben Monate alter Sohn zum Halbwaisen würde, nimmt der 32-Jährige in Kauf. Ach seine Frau, nein, die wisse gar nichts von seinen Plänen, aber "ich werde sie heute Abend anrufen, bevor ich mit dem Bus nach Bagdad fahre", verspricht Ahmed.

Den Umgang mit Waffen scheinen die meisten, wenn nicht alle Freiwilligen zu beherrschen, entweder weil sie Wehrdienst geleistet haben, wie viele sagen, oder weil sie als Studenten an der Universität eine militärische Grundausbildung erhalten haben. Ein Palästinenser brüstet sich damit, dass er schon Kampferfahrung mit der PLO im Libanon gesammelt habe. Aus Palästina stammt ein Großteil der Freiwilligen - Palästinenser, deren Familien 1948 oder 1967 nach Syrien geflohen sind. Vom syrischen Staat nur wie Bürger zweiter Klasse behandelt und durch die blutige Intifada in ihrer Heimat zusätzlich verzweifelt, scheint bei vielen von ihnen die Schwelle niedrig zu sein, ihr Leben zu riskieren.

Andere machen sich die Entscheidung dagegen ziemlich schwer. Issa (Name geändert) zum Beispiel zerbricht sich seit Tagen den Kopf. Unter seinen Freunden, mit denen er einmal die Woche Fußball spielt, ist der 30-jährige Sudanese als knochenharter Verteidiger gefürchtet. Nun überlegt er, ob er den Irak verteidigen soll. "Für Gott und das irakische Volk, aber nicht für das irakische Regime", betont der gläubige Muslim. Das Problem: Noch ist ihm nicht klar, ob ein solcher Einsatz einen rechtmäßigen Dschihad nach den Vorschriften des Islam darstellt.

Das Wort Dschihad, abgeleitet von dem arabischen Verb für "sich bemühen", bezeichnet ein vielschichtiges Konzept, das sich mit "Heiliger Krieg" nur sehr unzureichend wiedergeben lässt. "Dschihad führen" könne auch heißen, Geld für das irakische Volk zu spenden, erklärt Issa. Da selbst mittellos, sei ihm diese Möglichkeit jedoch verwehrt. Was ihm bleibt, ist den Dschihad mit der Waffe zu führen.

Einige der islamischen Gelehrten, mit denen er sich dieser Tage beraten hat, betrachteten dies jedoch nicht als rechtmäßigen Dschihad, da er damit auch das verbrecherische Regime von Saddam Hussein unterstützen würde. Issa liest deshalb intensiv im Koran und studiert die Hadithe, die Sammlung der Worte und Taten des Propheten Mohammed, um die richtige Entscheidung zu finden. "

Wenn man sein Leben aufs Spiel setzt, will man doch ganz sicher sein, dass man es für die richtige Sache tut.

Issa

Seit Kriegsbeginn sprechen viele Syrer darüber, an der Seite ihrer "irakischen Brüder" zu kämpfen. Große Sympathie wird den Freiwilligen entgegengebracht, die bereits im Irak sind - nach unbestätigten irakischen Angaben mehr als 4.000 Menschen aus allen arabischen Ländern. Offizielle Zahlen gibt es nicht, es kursieren nur Gerüchte. Das jüngste besagt, dass sich allein aus Der az-Zor, einer Stadt nahe der irakischen Grenze 400 der 200.000 Einwohner auf den Weg in den Irak gemacht haben. Fast jeder Syrer weiß jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der sich freiwillig gemeldet hat.

Aber nicht jeder, der sich meldet, zieht auch tatsächlich in den Kampf, denn offenbar nehmen die Iraker nicht jeden - und sie suchen nicht nur Kämpfer "Sie wollen vor allem Spezialisten: Ärzte, Krankenpfleger, Elektriker oder Feuerwehrmänner", sagt Mudschab as-Samra der noch unmittelbar vor Kriegsbeginn im Irak war, mit einer Delegation der syrischen "Vereinigung für den Widerstand gegen den Zionismus und den Beistand für Palästina".

Zudem macht manch Freiwilliger doch noch einen Rückzieher, bevor es ernst wird. Das zeigt das Beispiel des 24-jährigen Raschid (Name geändert). Der Elektrotechnik-Student hatte noch vor Kriegsbeginn die irakische Botschaft aufgesucht, um sich anwerben zu lassen, wie er sagt. Seiner Familie hatte der introvertierte junge Mann nichts davon erzählt. "Ich dachte, ich gehe einfach und lasse nur einen Abschiedsbrief da." Doch Raschid, der sich selbst als schweigsam bezeichnet, verspürte plötzlich das Bedürfnis, sich seiner Familie zu offenbaren. Seine Mutter und seine Schwester wirkten daraufhin so lange auf ihn, bis er seinen Plan aufgab. Sein Vater, da zeigt sich Rashid sicher, sei aber stolz auf seinen Sohn, der so viel Mut bewiesen hat.

Stephan Lanzinger, Damaskus