Freifahrt in den Krieg

Trotz Vormarsch alliierter Truppen kehren viele Exiliraker in ihr Heimatland zurück, einige wollen Widerstand gegen die alliierten Truppen leisten

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Dreimal tönt die grelle Hupe des Reisebusses über den verstaubten Vorplatz der Alia-Busstation am Rande der jordanischen Hauptstadt Amman. Nach dem Signal zur Abfahrt bricht unter den knapp achtzig Gästen hektisches Treiben aus. Koffer werden über die Köpfe zum Bus gehoben, Verwandte und Freunde verabschieden sich eilig. Es ist der zweite Bus, der an diesem Tag aus der jordanischen Hauptstadt Amman nach Bagdad aufbricht - in eine Stadt, die seit Wochen von britischen und US-amerikanischen Bomben bedeckt wird. Trotzdem ist auch dieser Bus bis auf den letzten Platz ausgebucht.

Kaveh S. steht mit zwei seiner Brüder abseits der Menschentraube. Während der Wartezeit hatten sie Witze gemacht, über belanglose Dinge geredet. Nun ist das Lachen aus ihren Gesichtern verschwunden. Als sich die jungen Männer zum Abschied umarmen, versucht Kaveh seine jüngeren Brüder zu beruhigen. "Wir sehen uns bald", sagt er. "Inschallah", so Gott will. Als er in den Bus steigt, wischt er sich die Tränen aus den Augen.

Während die anglo-amerikanischen Truppen auf die irakische Hauptstadt vorrücken, reisen täglich hunderte Exil-Iraker in ihre Heimat zurück, und mit ihnen kommen Syrer, Ägypter, Jordanier oder Palästinenser. Der Widerstand im Irak wird in der arabischen Welt zunehmend als gemeinsame Sache gesehen, Saddam Hussein mehr und mehr zum Idol stilisiert. Vor allem in Amman und Damaskus sammeln sich die Freiwilligen zur Reise in den Krieg. Für exilierte Iraker ist die Fahrt kostenlos. "Seit dieser Woche übernimmt die irakische Botschaft die Reisekosten", erklärt Noumeira, die an der Alia-Busstation Tickets verkauft.

Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen sind viele Iraker in den vergangenen Jahren ins Ausland emigriert. "Wegen des Embargos konnte ich in Bagdad kaum Arbeit finden", erklärt Kaveh aus dem Busfenster. Aus Amman schickten er und seine Brüder Geld an ihre Familie, die in einem Vorort der irakischen Hauptstadt wohnt. Natürlich brauche die auch weiterhin das Geld aus Jordanien, "aber jetzt geht es um die Verteidigung meines Landes". Als sein Bruder Tareq ihm eine Wasserflasche reicht, lächelt er wieder und reckt seine Finger trotzig zum Victory-Zeichen.

Die genaue Zahl derer, die bisher in den Irak gereist sind, um sich gegen die Alliierten zu stellen, lässt sich nur schwer schätzen. Die irakische Regierung sprach in der ersten Kriegswoche von "6000 mutigen Kämpfern", laut der jordanischen Regierung haben bislang weit mehr Iraker allein dieses Land gen Irak verlassen. Während die erwarteten Flüchtlinge noch ausbleiben, hat seit Beginn des Krieges ein wahrer Exodus aus den Anrainerstaaten eingesetzt.

Doch nicht alle der an diesem Nachmittag Reisenden wollen zur Waffe greifen. Viele Gastarbeiter kehren aus Sorge um ihre Familien zurück, weil sie im arabischen Satellitenfernsehen täglich die Bilder toter Zivilisten sehen. Diejenigen, die Widerstand leisten wollen, haben indes unterschiedliche Motive. "Wir sind Iraker und wollen über unsere Zukunft selber entscheiden", sagt Shanwa Kathem Om Ali einer französischen Journalistin. Wenn sie könne, würde sie auch kämpfen, so die 74-jährige Irakerin, "wie meine drei Söhne". Ihr Mann Jasim zieht die Journalistin heran. "Ich bin Iraker und Saddam Hussein ist mein Präsident", sagt der alte Mann. US-Kräfte würden im Irak niemals akzeptiert werden.

Nicht nur aus Nationalstolz strömen Freiwillige in den Irak. Am Freitag, dem heiligen Tag der Muslime, riefen überall in der arabischen Welt Prediger zum Dschihad, zum "heiligen Krieg gegen die Invasoren" auf. In der jordanischen Hauptstadt Amman zogen nach den Freitagsgebeten tausende Menschen durch die Straßen vor die UN-Vertretung. Dass im militärischen Widerstand gegen die ausländischen Truppen bereits mehrfach Selbstmordanschläge stattfanden, weist auf die zunehmend religiöse Motivation der Kriegsvoluntäre hin.

Der Krieg hat die arabische Welt polarisiert. Nicht nur irakische Bürger, die bisher wenig mit Hussein und der Ba'ath-Partei gemein hatten, stellen sich nun hinter den umstrittenen Staatschef, der Hass gegen die USA eint sie. Wie sieht die Perspektive im Irak-Krieg aber aus, wenn tausende Zivilisten mehr oder weniger bewaffneten Widerstand gegen die ausländischen Truppen leisten? US-Verteidigungsminister Colin Powell hatte in den vergangenen Tagen mehrfach erklärt, dass irakische Soldaten in Zivilkleidung US-Truppen angegriffen hätten. Er legte keine Belege dafür vor, dass es sich tatsächlich um Mitglieder der irakischen Streitkräfte handelte.

Nachdem der Reisebus das Terminal der Alia-Station an diesem Nachmittag verlassen hat, zerstreuen sich die Freunde und Angehörigen. Als sich die Staubwolke legt, sammeln sich vor dem Kartenschalter wieder Menschen. Neben dem Eingang und über dem Schalter hängen Poster Saddam Husseins.

Harald Neuber, Amman