Big Brother sieht und zeigt alles

Auch die Paarungsbereitschaft geschlechtsreifer Männchen beim Kampf um ein hübsches Weibchen

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Was ist bloß mit unseren Medien- und Sittenwächtern los? Noch vor gut drei Jahren regte sich eine Koalition aus ganz unterschiedlichen Moralaposteln, die von Otto Schily über Roland Koch bis zur katholischen Kirche reichte, über die erste BigBrother-Staffel auf. Und die Landesmedienanstalten prüften sogar, ob ein Verbot dieser Container-TV-Show Sinn machen würde.

Nun läuft die vierte Staffel. Und keiner empört sich mehr. Dabei geht es diesmal rund um die Sendung so eindeutig zweideutig zur Sache, dass bild.de mit den Schlagzeilen kaum noch nachkommt: Da lässt BigBrother-Kandidat Ulf also "seinen kleinen 'Meister Proper' blitzen", danach küsst "Meister Proper Nackt-Nadja den Hintern" oder es findet gar ein "Wett-Balzen um Nackt-Nadja" statt. Und in den dazugehörigen Texten werden die Kandidaten gern in paarungsbereite Tiere verwandelt:
- "Zwei geschlechtsreife Männchen im Kampf um ein hübsches Weibchen.."
- "Dann wäre endlich Paarungszeit im Big-Brother-Nest..."
- "Sava ist Fußball-Trainer in Ludwigshafen, gut gebaut und mega-sportlich. Ein Mann im besten Paarungsalter, 1,90 Meter groß, 83 Kilo schwer."

Ob, wie bild.de sich selbst fragt, "in einer der nächsten Folgen auch Ulfs kleiner Meister Proper zum Einsatz" kommt, der übrigens, wie bild.de schon nachgemessen hat, nicht sehr beeindruckend sein soll, das alles wissen wir nicht. Dennoch: Sex sells ­ und darauf setzen auch die Macher von BigBrother, die im so genannten Nachrichtenbereich ihrer Online-Seiten täglich über den Stand der Paarungsbereitschaft berichten, zwei neue Kandidaten als "Frischfleisch im Haus" bezeichnen und beim Penislängemessen genauso gut sind wie die schwanzfixierten Experten von bild.de:

Kai fällt in letzter Zeit immer mehr auf. Ob positiv oder negativ musst Du selbst entscheiden. Heute morgen ist er nach dem Aufstehen mit einer riesigen Morgenlatte in das Wohnzimmer marschiert. An sich ja nichts Schlimmes, aber das gesamte Verliererteam war schon am Tisch versammelt ...

Bisher jedenfalls geht diese Verkaufstrategie auf: Täglich schalten etwa 14 Prozent aus der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ein, wenn um 19 Uhr RTL 2 eine Tageszusammenfassung vom Container-Leben ausstrahlt. Eine erstaunlich gute Quote, weil die eigentliche Sendung in den Medien mit Ausnahme einiger Boulevardblätter kaum vorkommt, also ihren Nachrichtenwert seit der Aufregung um die ersten beiden Staffeln längst verloren hat.

Aber auch die Welt im Container hat sich inzwischen geändert. Sie ist jetzt zeitgemäß in Arm und Reich geteilt, die eine Hälfte der Kandidaten lebt also in Saus und Braus, während die andere unter Campingbedingungen der frühen 50er Jahre haust. Zwischen den beiden Parteien werden dann regelmäßig lustig gemeinte Wettkämpfe ausgetragen, die darüber entscheiden, wer anschließend reich oder arm ist. Das klingt zwar irgendwie nach gutem altem Klassenkampf, ist aber die TV-Realität des Jahres 2003. Und die kommt natürlich nicht ohne englische Floskeln aus.

So heißt "der Entscheidungswettkampf" bei BigBrother jetzt "die Entscheidungsbattle", was besonders gruselig klingt, wenn die Moderatorin-Kleindarstellerin durchs TV-Studio hüpft und dabei fröhlich quakt: So, jetzt kommt eine Entscheidungsbattle. Auch nicht besonders zuschauerfreundlich ist die Abzocke rund um diese TV-Show. Wer nämlich das Leben im Container via Livestream im Internet verfolgen möchte, der wird im Unterschied zu früher jetzt dafür zur Kasse gebeten. Und wer unbedingt am Telefon die Gespräche der Insassen belauschen möchte, der muss eine teure 0190-Nummer wählen. Was zumindest als Strafe für ein solch unsinniges Begehren durchaus gerecht erscheint.