Ein Krieg in Bildern: auch eine Frage der ärztlichen Ethik

Die Kriegsberichterstattung geht mit den Menschenrechten nicht zimperlich um. Propaganda und Effekthascherei sind ebenso unmenschlich wie der Krieg, meinen Ärzte und Bioethiker im British Medical Journal

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Am 28. März gehen Bilder um die Welt wie diese: Ein junges Mädchen, aus dessen Bauch Eingeweide hervorquellen, wird in einen Operationssaal geschoben. Eine junge Frau schreit in Agonie, während ihr die Kleider vom blutgetränkten Leib gezogen werden. Beide Gesichter zusätzlich in bildfüllender Einstellung. Grauenhaft, weil es geschehen ist, und grauenhaft, weil es gefilmt wird. Das stellt nicht nur die Frage nach der Ethik der Medien, sondern ebenso nach der ärztlichen Ethik.

Tania L DePellegrin

Mit diesen Beispielen bringt Tania L DePellegrin vom Joint Centre for Bioethics an der University of Toronto im British Medical Journal die Diskussion um die Leidtragenden der Kriegshandlungen in Gang.

In Kanada könnte kein Fernsehteam in ein Krankenhaus ziehen, Schwerverletzte von Verkehrs- oder Berufsunfällen filmen, selbst wenn der Premierminister dazu auffordert. Im Islam ist die ärztliche Schweigepflicht ebenso heilig wie in der westlichen Welt,

betont Frau DePellegrin, die in Kanada durch ihre Kommentare in The Globe and Mail sowie der National Post bekannt ist. Tania L DePellegrin ist, wie weitere Stellungnahmen aus Großbritannien bezeugen, nicht allein mit ihrer Meinung.

Das kontroverse Bild (Credit: BMJ)

Richard Smith, der Herausgeber vom BMJ:

Einige argumentieren, jeder soll das Grauen des Krieges miterleben. Der Guardian hat nach intensiver interner Debatte auf der Titelseite das Bild eines vom Bomben getöteten Babys gezeigt, während sich die New York Times gegen den Abdruck dieses Bildes entschied.

Naomi Marks beschreibt im BMJ den Entscheidungsprozeß für Alan Rusbridger, den Herausgeber des Guardian:

Es war ein eindrucksvolles Bild. Es geht unter die Haut, weil es keinen Zweifel an den Opfern des Krieges lässt. Wie aber wird es auf Kinder wirken, die auf ihrem Weg zur Schule am Zeitungskiosk ihre Süßigkeiten kaufen und dann mit diesem Bild auf der Frontseite konfrontiert werden? Zu guter Letzt wird ein Kompromiss gefunden: ein kleines Bild unterhalb der Faltstelle, so dass es im Zeitungsständer verborgen bleibt.

Die Titelseite vom "The Guardian", bei dem das Bild unter den mittleren Falz gesetzt ist, damit es im Zeitungsständer nicht sofort in die Augen fällt (Credit BMJ)

Viele Bilder und Bildsequenzen hätte es gar nicht geben dürfen. Bilder oder Fernsehsendungen von Kriegsgefangenen sind nach der Genfer Konvention illegal. Der Irakkrieg zeigt, dass schonungslos gegen dieses Prinzip verstoßen wurde: Vom irakischen Machthaber, um die Pein der Gefangenen triumphierend vorzuführen, von den friedensliebenden europäischen Medien, um die nackte Angst der Amerikaner "live" auf die Bildschirme zu bringen. Nicht weniger schlimm ist die Zur-Schau-Stellung der Kriegsopfer. Deshalb fordert Tania L DePellegrin, dass ebenso das Schutzbedürfnis der Kranken in die Genfer Konvention aufgenommen wird.

Die amerikanischen GIs, von denen einige gerettet sind, können wenigstens Schadenersatzklagen einbringen. Dieses Recht muss auch den unfreiwillig ins Rampenlicht gezogenen Kranken zugestanden werden.

Deutsche Fernsehsender zeigen aus dem Irakkrieg Ereignisse, auch wenn die Veröffentlichung den in der BRD geltenden Gesetzen zuwiderläuft.

Es ist Berichterstattung für Voyeure, vermutet die Medizinerin DePellegrin. Wen kümmert es, dass die Momentaufnahme, die da über die Bildschirme flimmert, für die Betroffenen zum lebenslangen Trauma wird. Sie, ihre Angehörigen, Freunde, Nachbarn und auch noch spätere Bekannte erleben das Ereignis nicht anonym, sondern ganz persönlich mit dauerhaften Auswirkungen auf das Zusammenleben. Wird jene dunkelhäutige Soldatin, deren quälende Präsentation im Fernsehen gustiert wurde, nach ihrer Rückkehr in ihrer Heimat Sympathie, Ablehnung oder gar Spott erfahren? Wird es ihr gelingen, die erniedrigenden Szenen zu akzeptieren und später ihren Kindern zu offenbaren? Darf ein Journalist ohne Rücksprache mit der Betroffenen bestimmen, dass er gerade sie zum erzieherischen Beispiel gegen den Krieg erwählt?

Diese Fragen sind nicht weniger evident, wenn es um die Kriegsopfer geht. Nach deutschem Recht genießt jeder uneingeschränkten Schutz der gesundheitlichen Vorgeschichte. So kann der Hausarzt nicht einmal dem Ehemann einer Patientin ohne deren ausdrückliches Einverständnis Auskunft über den Gesundheitszustand geben. Ein Arzt, der sich über dieses Rechtsgut hinwegsetzt, begeht Rechtsbruch. Die Forderung von Frau DePellegrin ist trotz der offenkundigen Verstöße nicht wirklichkeitsfremd, sondern nüchtern kalkuliert.

Man muss den Ärzten den Rücken stärken. Kein Regime darf die Ärzte zu willfährigen Kumpanen der Propagandamaschinerie machen. Nazideutschland, Südafrika zur Zeit der Apartheid und Chile sind nur drei Beispiele, in denen die Ärzte vom Regime geknebelt wurden.