Schutzsichere Westen zu vergeben

Ein Gespräch mit Séverine Cazes von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" über die Kriegsberichterstatung im Irak

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Krieg im Irak hat unmittelbare Auswirkungen auf die Berichterstattung gehabt, wie kein Konflikt zuvor. Stand zu Beginn vor allem das Konzept der "eingebetteten Berichterstatter" im Zentrum des medialen (Selbst-) Interesses, so wurde schnell deutlich, dass der Krieg gerade unter den Journalisten besonders viele Opfer forderte. Ein weiteres Novum ereignete sich am 14. April in der Nähe von Tikkrit, bei dem ein von einer CNN-Crew angeheuerter Bodyguard das Feuer erwiderte, als die Autokolonne des Teams beschossen wurde. Über die dramatischen Entwicklungen und ihre möglichen Auswirkungen sprach Telepolis mit Séverine Cazes, in der Pariser Zentrale der Menschenrechtsorganisation Reporters sans frontières (Reporter ohne Grenzen) zuständig für den Bereich Mittlerer Osten.

Letztes Jahr im September, auf der Photokina in Köln, erhielt "Reporter ohne Grenzen" den "Dr. Erich Salomon Preis" der "Deutschen Gesellschaft für Photographie" (DGPh). Bei dieser Gelegenheit hatte ich gelernt, dass die ursprüngliche Motivation zur Gründung von RSF im Jahre 1985 die war, Reportagen aus entlegenen Gegenden zu fördern, die normalerweise nicht von den "Mainstream"-Medien beachtet werden. Wie entwickelte sich RSF zu einer Menschenrechtsorganisation?

Ich besitze keine persönlichen Erfahrungen aus der Anfangsphase von RSF, aber es bestand die Idee, die Aufmerksamkeit auf Themen zu lenken, die sozusagen nicht "in Mode" waren und die nicht an der Spitze der Themenliste der Medien standen. Es stellte sich heraus, dass es schwer war, die Gesetzmäßigkeiten der Medien zu ändern. Aber es wurde auch deutlich, dass Arbeiten von Journalisten aus entlegenen Ländern im Westen häufig deshalb nicht erschienen, weil die Journalisten unterdrückt wurden, nicht wegen mangelnden Interesses. Diese Erkenntnis verursachte die Wandlung der Ziele von RSF hin zur Verteidigung der Pressefreiheit.

Innerhalb von drei Wochen sind im Irak zwölf Journalisten getötet worden oder gelten als vermisst - das sind etwa ein Prozent der im Irak arbeitenden internationalen Korrespondenten. Während eines Zeitraums von acht Jahren wurden dagegen im ehemaligen Yugoslawien "nur" 56 Reporter getötet. Warum sind die gegenwärtigen Zahlen Ihrer Ansicht nach so hoch? Liegt es einfach daran, dass so viele Journalisten an der Front sind?

Séverin Cazes: Das ist sicherlich ein Grund. Es gibt keinen Präzedenzfall für eine solche Mobilisierung der Medien. Zudem gab es viele verschiedene Fronten, im Süden, im Norden und an verschiedenen anderen Orten. Durch die Politik der "embedded correspondends" existierte eine große Nähe zwischen Soldaten und Journalisten. Und es gab einen wahnsinnigen Druck auf nicht-eingebettete Journalisten und Medien, die sich dafür entschieden hatten, nicht aus dem Innern des Systems der "embedded correspondends" der Koalition zu berichten.

Wer verursachte den Druck? Die Medien, das Militär?

Séverin Cazes: Er kam von allen Seiten. Von den Medien, weil die Konkurrenz viel größer war als 1991. Vor allem wegen der arabischen Fernsehsender, die 1991 noch gar nicht existiert hatten. Als Kuwait besetzt wurde, war die öffentliche Meinung auch nicht so gespalten, wie es heute der Fall ist. Das trägt zur öffentlichen Erwartungshaltung und zum Druck auf Journalisten bei. Schon ein paar Tage nach dem Ausbruch des Krieges wurde klar, dass es eine Art von Feindschaft und manchmal sogar Verachtung auf Seiten der Koalitionsstreitkräfte gegenüber den nicht eingebetteten Journalisten bestand.

Denken Sie, beispielsweise, an den Israeli Dan Scamama, der zusammen mit zwei Kollegen als "non-embed" in den Irak ging? Sie wurden mit Gewalt von US-Marienes angehalten und festgenommen, seine Kollegen wurden sogar geschlagen, bis sie schließlich vom US-Militär nach Kuwait zurückgebracht wurden.

Séverin Cazes: Ja, das ist ein Beispiel. Es gab mehrere Vorfälle, bei denen Journalisten beschossen wurden, beispielsweise ein Team von al-Dschasira in Basra durch britische Truppen. Einige "non-embeds" wurden beim Versuch, die Grenze von Kuwait in den Irak zu überschreiten, behindert und schlecht behandelt. Wir haben auch festgestellt, dass die Anzahl der getöteten Journalisten ungefähr so hoch ist, wie die der verwundeten. Das belegt in gewisser Weise wie "effizient" moderne Kriegführung sein kann. Normalerweise ist die Anzahl der Verwundeten viel höher, als die der Getöteten. Aber das ist in diesem Krieg nicht zu beobachten.

Nachdem in der letzten Woche Christian Liebig vom Focus getötet worden war, wurde über ihn gesagt, er habe sich immer sehr vorsichtig verhalten. An dem Tag seines Todes lehnte er es aus Sicherheitsgründen ab, nach Bagdad hinein zu fahren. Zynisch gefragt: Sollten sich Journalisten aggressiver verhalten, um zu überleben?

Séverin Cazes: Wir glauben, dass die Methode von CNN, private bewaffnete Bodyguards zu mieten, problematisch ist und alle anderen Journalisten gefährden könnte. Schon das System der eingebetteten Korrespondenten verwischt die Linie zwischen Kämpfern und Journalisten. Das Engagieren von Bodyguards erhöht die Verwirrung. Für uns ist es sehr wichtig, das Journalisten unbewaffnet bleiben, damit sie den Schutz der Genfer Konvention genießen. Es ist zwar klar, dass der CNN-Reporter selbst keine Waffe trug, aber sein Bodyguard. Das ist eine Entwicklung, die man nicht unterstützen sollte. Wir wissen zwar, dass Ähnliches schon in der Vergangenheit passierte, in Somalia und Afghanistan. Aber diesmal war es etwas völlig anderes, weil im Irak ein Krieg geführt wird, es herrscht nicht nur Unsicherheit als Folge von Gesetzlosigkeit. Das Problem in Somalia war die öffentliche Ordnung, es waren Überfälle und ein Mangel an Sicherheit. Es war kein regulärer Krieg, wie es im Irak einer ist. Die Schutzmaßnahmen, die CNN gewählt hat, stellen einen potenziell gefährlichen Ansatz dar, weil es in Zukunft schwierig sein könnte, die Argumentation aufrecht zu halten, Journalisten seien unbewaffnete Zivilisten.

Von dem Vorfall, dass ein CNN-Team beschossen worden war, hatte ich aus deutschen TV-Nachrichten erfahren. Aber es wurde dort nicht erwähnt, dass ein privat engagierter Bodyguard zurückgeschossen hatte.

Séverin Cazes: Die Presseagenturen meldeten es. Ich glaube, auch CNN selbst hatte es erwähnt. Natürlich verstehen wir die Sorge um den Schutz der eigenen Mitarbeiter, wir sind uns dieser Thematik wirklich bewusst. Wir haben immer schon eine Menge hierzu unternommen. Beispielsweise verleihen wir schusssichere Westen an Freelancer. Sie brauchen nur in unser Pariser Büro zu kommen und können sich eine Weste kostenlos ausleihen. Das zeigt, wie besorgt wir um die Sicherheit von Journalisten sind. Aber wir glauben, dass in einem Land im Kriegszustand eine Vorgehensweise, bei dem in einem Fahrzeug sowohl ein Journalist, als auch ein Bewaffneter ist, welcher zurückschießen kann - natürlich greift er niemanden an -, auch wenn also alles nur zur Verteidigung dient, so wird es die Grenze zwischen Kämpfer und Journalist verwischen. Es kann zu sehr negativen Konsequenzen für alle anderen Reporter führen. Wir wollen uns nicht mit CNN streiten, wir sind besorgt über die Zukunft von Journalisten in Kriegsgebieten.

Mehrmals konnte man den Kriegsfotografen James Nachtwey in Fernsehberichten beobachten (Anm.: Beispielsweise fotografierte er, wie der Kopf der ursprünglich gegenüber dem Palestine Hotel stehenden Saddam-Statue an Seilen über den Boden geschleift wurde). Er ist dafür bekannt, dass er immer im Mittelpunkt des Geschehens unter den Menschen seine Bilder aufnimmt, nicht aus der Distanz heraus. Wie immer trug er nur ein weißes Hemd. Keine schusssichere Weste, kein Helm. Was macht er anders als andere?

Séverin Cazes: Er hat sein eigenes Sicherheitskonzept. Er ist sehr erfahren. Ich denke, er hat sich seine eigene Schutzmethode entwickelt. Wir schätzen es, dass jeder Journalist sein eigenes System hat, um denselben Zweck zu erfüllen - Sicherheit. Jeder ist betroffen von dem hohen Tribut, den Journalisten im Irak gezahlt haben. Wir glauben, dass die von CNN eingesetzten Methoden zukünftig negative Folgen haben könnten.

Einen Tag vor dem Fall von Bagdad wurden drei Journalisten durch US-Militäraktionen getötet. Das Büro von al-Dschasira wurde von einem Kampfflugzeug bombardiert und ein Kameramann von AFN filmte den auf das Palestine-Hotel feuernden US-Panzer. Ist RSF an irgendwelchen Initiativen zur Aufklärung der Vorfälle beteiligt?

Séverin Cazes: Wir haben an die International Humanitarian Fact Finding Commission geschrieben, um eine Untersuchung zu erbitten, die wir uns international und unabhängig vorstellen. Die Kommission ist ansässig in Bern und wurde 1991 gegründet. Ihre Aufgabe ist die Untersuchung von möglichen Verletzungen der Genfer Konvention. Da wir ernstzunehmende Vorwürfe haben, dass die Bombardierung des al-Dschasira Büros und des Palestine-Hotels möglicherweise Kriegsverbrechen sind, möchten wir, dass die Kommission eine Untersuchung durchführt zur Ermittlung der Wahrheit der Vorfälle. Und falls es wirklich ein Kriegsverbrechen war, sollten angemessene Maßnahmen ergriffen werden, um Sanktionen oder Gerichtsverfahren in die Wege zu leiten.