Röntgenatlas des Grauens

ESA-Satellit XMM-Newton katalogisiert unzählige Röntgenquellen, hinter denen sich viele unheimliche, gefräßige, riesige Schwarze Löcher verstecken

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Nach einer zweijährigen Beobachtungsphase mit dem ESA-Röntgensatelliten XMM-Newton liegt seit kurzem die erste Ausgabe des künftigen umfangreichsten kosmischen Röntgenquellen-Katalogs vor. Dokumentiert sind in ihm bis dato etwa 30.000 Sterne und Galaxien sowie weitere Quellen, von denen viele erstmals im Röntgenlicht beobachtet wurden. Bei vielen von ihnen handelt es sich um weit entfernte Galaxien, in deren Zentren massereiche Schwarze Löcher hausen. Es ist ein gruseliges Bild aus der Vergangenheit, sind doch etliche der emittierten und via XMM-Newton aufgeschnappten energiereichen X-Rays quasi Todesschreie "sterbender" Sterne.

"Röntgenausschnitt des Grauens" - Gesamtbelichtungszeit für dieses Foto: etwa eine Million Sekunden (Bild: Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik/Hasinger)

Eins muss man den Astronomen lassen. Geht es darum, den zahlreichen Sternen und Sternbildern am Nachthimmel, den Kratern auf La Luna, den Planeten und deren Monden, den Galaxien und unbekannten kosmischen Phänomenen und all den anderen obskuren Materie- respektive Energieformen einen ausgefallenen oder mythischen, mitunter gar schaurigen Namen zu verleihen, waren sie um ungewöhnliche Ideen selten verlegen. Dabei scheint eine ihrer Spezialitäten darin zu bestehen, insbesondere astralen Objekten und Phänomenen teils märchenhafte, teils gruselige Namen zu geben. Mal reden sie von Gelben, Blauen und Roten Riesen, Braunen oder Weißen Zwergen, ein anderes Mal über Dunkle Energie oder Dunkle Materie sowie Wurmlöcher und Schwarze Löcher. Und trotzdem weiß gegenwärtig eigentlich keiner von ihnen so genau, was sich hinter diesen Objekten bzw. Phänomenen en détail verbirgt. Deren wahre Natur liegt nach wie vor im Dunkeln.

Etliche "Rülpser" dokumentiert

Dies gilt um so mehr für die obskuren Schwarzen Löcher (vgl. Ein Stern kreist um das Schwarze Loch in der Mitte unserer Galaxis), die derzeit en vogue sind wie selten zuvor - und die nach Ansicht der Astrophysiker im All keine Seltenheit sind.

Um dies zu untermauern, gereichte das X-Ray-Weltraumteleskop XMM-Newton der Europäischen Raumfahrtagentur ESA seinem Namen zur Ehre und nahm einen Großteil der Röntgenquellen 24 Monate lang ins Visier. Während der zweijährigen Observationsphase konnte XMM-Newton dabei nicht nur etliche "Rülpser" von Schwarzen Löchern registrieren und lokalisieren, sondern darüber hinaus den ersten umfassenden Katalog, der bislang etwa 30.000 Sterne und Galaxien sowie weitere Quellen im Röntgenlicht umfasst, zusammenstellen.

Zwar sucht in der unendlichen Endlichkeit des Weltalls der Heißhunger, den diese kosmischen Allesfresser im Verlaufe ihres poststellaren Daseins entwickeln, ihresgleichen. Dennoch kommen bei Schwarzen Löchern auch die Wissenschaftler auf ihre Kosten. Denn obwohl diese gefräßigen Monster, die aus massereichen sterbenden Sternen geboren werden und während ihrer "Schaffenszeit" jegliche Form von Materie und Energie aufsaugen, im optischen Licht unsichtbar sind, vermögen leistungsstarke Observatorien sie indirekt via Röntgenstrahlung, manchmal aber auch Gammastrahlen sowie Infrarotlicht (oder aufgrund ihrer starken Gravitation) nachzuweisen. Verspeist ein Schwarzes Loch beispielsweise einen Stern, zeigt sich sein ungehemmter Appetit am stärksten in Form von Röntgenstrahlung. Diese kann mitunter so intensiv sein, dass selbst die galaktischen Schwarzen Löcher, die in der Regel hinter Gas- und Staubwolken verborgen sind, sich zu erkennen geben.

Belichtungszeit: Eine Million Sekunden

Dass es dem XMM-Newton-Satelliten gelang, einen wichtigen Beitrag zum Verständnis massereicher Schwarzer Löcher zu leisten, die ja ihrerseits eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des Universums spielen, ist den mit drei parallel angeordneten baugleichen Röntgenteleskopen zu verdanken, in deren Brennpunkten sich CCD-Kameras (3 EPIC-Kameras) oder Reflexionsgitter-Spektrometer (2 RGS-Geräte) befinden und die jeweils dasselbe - etwa dem Vollmond entsprechende - Himmelsareal erfassen.

Jede Aufnahme zeigt einige Dutzend bis einige Hundert Röntgenquellen. Neben deren Position, ihrer Helligkeit und ihrer "Röntgenfarbe" liefert der Katalog eine Vielzahl ergänzender Informationen aus bereits vorliegenden astronomischen Verzeichnissen in anderen Spektralbereichen. Spätere Versionen des Katalogs, die im Zuge der weiteren, auf insgesamt zehn Jahre veranschlagten XMM-Newton-Mission erarbeitet werden, sollen mehr als 100.000 Röntgenquellen beschreiben.

Zusammen mit dem optischen Teleskop von 30 Zentimeter Durchmesser, das zeitgleich optische sowie UV-Beobachtungen ermöglicht und damit Sichtvergleiche zum Röntgenbereich erlaubt, gelang dem Teleskopen-Quartett aber bereits jetzt schon eine spektakuläre Aufnahme. Spektakulär deshalb, weil mit einer Gesamt-Belichtungszeit etwa eine Million Sekunden die bisher längste mit XMM-Newton durchgeführte Aufnahme glückte. Auf ihr zeichnen sich mehrere Hundert Röntgenquellen ab (siehe Bild). Hierunter sind hauptsächlich Milliarden von Lichtjahren entfernte Galaxien zu sehen, in deren Zentren massereiche Schwarze Löcher energiereiche Röntgenstrahlen erzeugen.

Dr. Fred Jansen, der auf Seiten der ESA für das Projekt XMM-Newton zuständig ist, zeigt sich über die erste Ausgabe des Katalogs hochzufrieden: "Er liefert die Standard-Referenz für die nächsten Jahrzehnte - mit reichen Informationen über eine gewaltige Zahl neuer Objekte am Röntgenhimmel."

Größter Wissenschaftssatellit Europas

Mit einer Länge von 10,75 Meter ist XMM Newton nicht nur der größte Wissenschaftssatellit Europas, sondern auch das leistungsfähigste Röntgenteleskop, das bisher im All positioniert worden ist.

Bild: ESA

Die XMM-Erfolgsstory begann am 10. Dezember 1999, als Europas leistungsstärkste Trägerrakete - die Ariane 5 - das X-Ray-Multi-Mirror-Weltraumteleskop von Europas Raumflughafen in Kourou (Französisch-Guayana) in den Orbit brachte. Der ESA-Röntgensatellit XMM-Newton, der mit Spiegelverbundoptik ausgerüstet ist, versteht sich als direkter Nachfolger des deutschen Röntgensatelliten ROSAT. Viele der mit ROSAT gewonnenen Erfahrungen in der Detektor- und Software-Technik gingen in den neuen Satelliten ein.

Das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) in Garching bei München war maßgeblich an der Entwicklung der Teleskopspiegel und der Röntgendetektoren von XMM-Newton beteiligt, wobei der neue Röntgenkatalog im Namen der ESA durch das XMM-Newton Survey Science Centre erstellt wurde. Unter der Leitung von Dr. Mike Watson von der Universität Leicester (UK) sind hieran neben dem MPE und dem Astrophysikalischen Institut Potsdam sieben weitere europäische Institute beteiligt.

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