USA vs. Demokratie "Arab Style"

In den arabischen und muslimischen Ländern hat sich eine neue öffentliche Sphäre formiert; die US-Administration hat ihre Probleme damit

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Ein Amerikaner tritt in einer politischen Talkshow eines arabischen Fernsehsenders auf. Es geht um die Frage, ob Amerika eine imperialistische Macht sei. Am Ende beantworten 96 % Prozent der Zuschauer die Frage mit "ja". Obwohl man eine Milliarde Dollar pro Jahr dafür ausgebe, das Image der Vereinigten Staaten in der Welt aufzupolieren, zeigten Umfragen, dass der Antiamerikanismus in den muslimischen und arabischen Ländern stetig zunehme, resümiert ein Kongreßbericht, der letzte Woche veröffentlicht wurde.

Im Juni diesen Jahres erschien die Länder übergreifende Pew Global Attitudes-Umfrage, wonach die USA gegenüber den hohen Sympathie-Werten nach dem 11.September 2001 in muslimischen und arabischen Ländern nur mehr bei einer kleinen Minderheit Wohlgefallen findet. In Indonesien, Jordanien und Marokko war sogar eine Mehrheit davon überzeugt, dass Osama Bin Laden das "Richtige" tue, im Gegensatz zu George W.Bush.

Der Misserfolg der bisherigen "Public Diplomacy"

Der politischen Öffentlichkeitsarbeit, "public diplomacy", galt nach dem 11.September höchste Priorität. Das Budget hierfür wurde um 9% erhöht, in den Ländern des Mittleren Ostens und Südasiens um mehr als die Hälfte. Mit wenig Erfolg, wie der Bericht des Kongreßbüros für "General Accounting" moniert.

Die Aktivitäten des Außenministeriums seien zu unkoordiniert, die Mitarbeiter hätten zuviel Papierkram zu erledigen, zu wenige würden die Fremdsprache beherrschen und man habe kein wissenschaftliches Instrumentarium, das die Effizienz der Öffentlichkeitsarbeit bewerten könne. Stattdessen gebe es nur Anekdoten von Emissären, die von deren Erfolg bei Reden vor geneigtem Publikum erzählten.

Das Unbehagen des Kongresses an der mageren Ausbeute resultierte schließlich in der Gründung einer neuen Kommission (Advisory Group on Public Diplomacy for the Arab und Muslim World), unter Leitung von Edward Djerejian, die Empfehlungen darüber aussprechen sollte, wie die Öffentlichkeit in der muslimischen Welt besser zu erreichen sei. Anfang Oktober wird der erste Bericht dieser Kommission erwartet.

Irrige Annahmen

Arabisch buchstabiert man Demokratie "W-ü-r-d-e". Man kann keine Würde in Isolation habe, wie ein Cowboy der stark, stolz und alleine herum geht und träumend in einer Freiheit von allen Verpflichtungen schwelgt. Würde - "Karameh" auf Arabisch - impliziert die Existenz von anderen, weil es um klare und aufrichtige Beziehungen zu ihnen geht

Laurie King-Irani in The Daily Star

"Nur in paar wenige Personen in der amerikanischen Administration erkennen das eigentliche Problem", diagnostiziert demgegenüber der Politikprofessor Marc Lynch in einem beachtenswerten Essay, erschienen in der neuen Ausgabe der Foreign Affairs.

Selbst wenn man gelegentlich ein paar Leute in die arabischen Sender schickt, es via eigenem Radioprogramm mit populärer Musik (Radio Sawa) versucht, mit dem richtigen "Spin" in den TV-Auftritten, der jedoch von der Zielgruppe nur zu gut als Propaganda-Make-up entlarvt wird, mit dem geplanten neuen arabischen Fernsehkanal, gesponsort mit amerikanischen Geldern (der Kongreß hat 30 Millionen Dollar bewilligt), der allerdings große Schwierigkeiten haben wird, einen Platz im mittlerweile vollen Markt zu finden - solange all dies auf dem überkommenen Ansatz der Bush-Administration fußt, prognostiziert Lynch, werde sich an der schlechten Verständigung zwischen Amerikanern, Muslimen und Arabern nichts wesentliches ändern: Die neue Kommission werde eine große Gelegenheit verschwenden, wenn sie nur mehr Mittel oder eine bessere Umsetzung traditioneller Ansätze fordere.

Die Araber fühlen sich behandelt wie Kinder. Sie wollen Gesprächspartner sein, statt Objekte von Manipulation.

Der herkömmliche Ansatz der "Puplic diplomacy" sei nämlich voller irriger Annahmen, behauptet Lynch. Schon im Zentrum der Politik gegenüber Araber stehe ein fatal falsches Axiom, dass die Araber nämlich autoritätsgläubig seien und ihnen entsprechend nur mit einer Politik der Stärke begegnet werden kann. Lynch listet in seinem Essay folgende Falschannahmen des gängigen Ansatzes auf:

  1. Die öffentliche Meinung der Araber ist nicht wirklich wichtig, weil die autoritären Regimes die Unzufriedenheit entweder kontrollieren können oder ignorieren.
  2. Die Wut auf die Vereinigten Staaten kann und sollte nicht weiter beachtet werden, weil sie der islamischen bzw. der arabischen Kultur immanent sei, und den Neid der Schwachen und Gescheiterten auf die Erfolgreichen repräsentiere oder von unpopulären Führern hoch gekocht werde, um von eigenem Versagen abzulenken.
  3. Ein Gedanke, der mehr und mehr zum bestimmenden Allgemeingut (in der US-Administration) wird, ist, dass der Antiamerikanismus aus schlichtem Unverständnis der amerikanischen Politik resultiere.

Kein Wunder, meint Lynch, dass dieser Ansatz, genau die Menschen vor den Kopf stoße und der US-Politik entfremde, deren Unterstützung für den Erfolg der USA so nötig wären. Vor allem, wenn man sich die Nichtbeachtung der örtlichen Opposition durch die Amerikaner vor Augen halte, wenn es um militärische Interventionen gehe. Dies sei durch gönnerhafte Versuche, die amerikanische Botschaft 'rüber zu bringen, nicht wett zu machen.

Stattdessen fordert der Experte für Öffentlichkeit in der arabischen Region, dass die USA eine fundamental neue "public diplomacy" in den muslimischen Ländern entwickeln müssten. Man sollte sich dem direkten Dialog mit meinungsbildenden Kräften einer neuen öffentlichen Sphäre aussetzen.

Strukturwandel der arabischen Öffentlichkeit

Die arabische öffentliche Meinung sei nämlich weitaus komplexer als das verbreitete Klischee einer zynischen Elite, die der arabischen Straße, geprägt von Leidenschaften und Nationalismus, gegenüber steht. In diesem überkommenen Fixierbild fehlt die neue öffentliche Sphäre, die Lynch in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens ausmacht. Sie hat sich in den letzten Jahren durch reichhaltige Medienangebote von internationalen Zeitungen und überstaatlichen Fernsehsendern, prominent: Al-Jazeera, entwickeln können. Diese Öffentlichkeit bestimme mehr und mehr die Debatten auf den Strassen, aber auch in den Palästen. Genau in dieser neuen Sphäre würden der Streit um die Ideen zu inneren Reformen und den Beziehungen zu den Vereinigten Staaten ausgefochten.

Da gibt es einerseits die großen arabischen Blätter, die in London herausgegeben werden, Al-Hayat z.B., sich somit dem direkten Einfluss von Regierungen entzogen haben und große Zugkraft auf ambitionierte Journalisten und Intellektuelle in der ganzen arabischen Welt ausüben. Und zum anderen das dicht gedrängte Angebot von Fernsehsendern mit einer umfassenden, internationalen Nachrichtenberichterstattung wie Al-Jazeera, Al Arabyia oder Abu Dhabi TV, das sich im Irakkrieg durch seine sensationsferne Berichterstattung einen guten Namen erworben hätte und viele andere, die den konservativen nationalen Sendern den Rang abgelaufen hätten. Als Beispiel für die Zugkraft etwa von Al-Jazeera zitiert Lynch den jemenitischen Präsidenten Ali Abdallah Salih, der regelmäßig Al-Jazeera dem eigenen nationalen TV-Sender vorziehe.

Viele "intellektuelle Leuchten" der arabischen Welt, so Lynch, ebenso wie einflussreiche politische Persönlichkeiten würden regelmäßig in diesen Fernsehstationen erscheinen oder viel gelesene Essays in der Presse schreiben und damit neue Argumente in die Debatte bringen.

Ein anderer sehr wichtiger Aspekt: die Programme werden oft in der Gemeinschaft gesehen, in öffentlichen Cafés, die so zu politischen Salons werden, vor allem in Krisenzeiten, oft werde dann zwischen Programmen hin-und hergezappt wird und die Berichterstattung heiß diskutiert.

Die Annahme, dass die Fernsehsender nur papageienhaft wiedergäben, was ihnen die offizielle Linie vorgibt, stimme nicht mehr. Kommentatoren würden regelmäßig die bestehenden arabischen Regime als unbrauchbar, schwach und korrupt bezeichnen. In einer kürzlich gesendeten Talkshow auf Al-Jazeera wurde die Frage gestellt, ob die bestehenden arabischen Regime schlimmer seien als die Kolonisation. 76% der Zuseher einschließlich des Moderatoren stimmten dem zu.

Gängige Nichtbeachtung der arabischen Öffentlichkeit

Nach dem 11.September 2001 habe die Bush-Administration die Notwendigkeit erkannt und zahlreiche Repräsentanten zu Al-Jazeera-Sendungen geschickt, aber der frische Enthusiasmus sei schnell Frust und Zorn gewichen, weil der Sender zu sympathisch über Al-Qaida berichtet habe und zu feindselig über die amerikanische Politik gegenüber Afghanistan und dem Irak. Der Druck, den die amerikanische Administration auf den Sender ausgeübt habe, um Bänder von Bin Laden zu zensieren, habe die amerikanische Rhetorik von freier Meinungsäußerung in den Augen der Araber zum Gespött gemacht.

Lynch kritisiert, dass man durch die ignorante und gönnerhafte Attitude gegenüber arabischen Empfindlichkeiten, die ihren Ausdruck in der neuen öffentlichen Sphäre finden, nicht nur anfängliche Sympathie und Mitgefühl nach dem 11.09. verspielt habe, sondern es auch ignoranterweise versäumt habe, den ganz anderen Blick der arabischen Welt auf den Irakkrieg zur Kenntnis zu nehmen.

Die arabische Meinung vor dem Krieg war nicht vorher bestimmt.

Während viele zu Beginn des Krieges durchaus Sympathien für die Absetzung Saddam Husseins gehabt hätten, wandelte sich das von den Neocons lancierte Image der "Befreier" im Laufe des Konflikts zum schlechten Image der "Besatzer". In der Berichterstattung der arabischen Fernsehsender habe es so ausgesehen, als ob Amerikaner und Briten, isoliert von der restlichen Welt, gegen einen unerschütterlichen irakischen Widerstand ankämpften. Im Gegensatz zu den westlichen TV-Anstalten wurden Bilder von zivilen Toten und den Schäden gezeigt, die der Krieg im Lande anrichtete. Der zentrale, ikonische Moment des Sieges der Amerikaner, der Fall der Saddam-Statue in Baghdad, sei vom arabischen Publikum als weitaus weniger bedeutend wahrgenommen worden: als Bühnenshow mit einer Handvoll echter Iraker

Den Schaden, der den USA durch die Ignoranz der neuen arabischen Öffentlichkeit entstanden sei, habe die gegenwärtige Administration noch gar nicht erkannt. Wichtiger als arabische Führer anzusprechen oder übergroße Kategorien, wie " die Jugend", wäre es jetzt, so Lynch, sich an diese Öffentlichkeit zu wenden, an die Intellektuellen und Journalisten, die zentral sind für die Meinungsbildung und statt unbeirrt an zementierten Überzeugungen zu hängen sei es erforderlich, den Stil der Debatte zu verändern und das ganze Spektrum der Meinungen zuzulassen, wie eben in den amerikanischen Debatten auch. Man müsse wie dort ernsthaft mit Gegnern diskutieren.