Eine Begegnung der dritten Art?

Technische Zeichnungen für Blinde

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"Highlight. Now in junction one. One neighbour. Transistor. Collector pin." Leicht glucksend und irgendwie abgehackt klingt die Männerstimme, mit der sich die Sprachausgabe des TeDUB-Prototyps durch einen einfachen Schaltplan bewegt, der aus einigen Widerständen, einem Transistor und zwei Kondensatoren besteht. Blinde Computerbenutzer bewegen sich mit einem Joystick durch die Diagramme und sollen mit TeDUB künftig elektrische Schaltbilder, aber auch Bauzeichnungen und sogar UML-Diagramme aus der Softwaretechnik lesen und verstehen können. TeDUB heißt "Technical drawings Understanding for the Blind" - wie Blinde technische Zeichnungen verstehen können

Für sehende Menschen gibt es eine ganze Reihe von Softwaresystemen, die Baupläne, elektronische Schaltpläne oder Flussdiagramme darstellen können. Diese Zeichnungen lassen sich in der Regel editieren und auch präsentieren. Blinde Menschen haben mit den existierenden Systemen bislang überhaupt keinen Zugriff auf digitalisierte technische Zeichnungen. Deshalb koordiniert das Technologiezentrum Informatik der Universität Bremen nun die Entwicklung von speziellen Präsentationstools, die technische Zeichnungen nicht nur verstehen, sondern Blinden gegenüber auch in geeigneter Form darstellen. Mit von der Partie sind neben einigen Firmen die City University London, das Department of Computation der University of Manchester und das National Council for the Blind of Ireland, das sich an der Validierung der Systeme beteiligt.

"Die Analysesoftware fängt an, geometrische Eigenschaften der Bilder zu ermitteln," beschreibt TeDUB-Entwickler Mirko Horstmann das neue System. "Es beginnt mit ganz einfachen Sachen, Linien und Bögen." Aus diesen grafischen Primitiven schließt die Software auf komplexe Gebilde, zwischen denen auch Zusammenhänge wie zum Beispiel über Verbindungslinien erkannt werden. Das alles wird dem Blinden über eine Sprachausgabe zugänglich gemacht. Dieses Konzept funktioniert gut, solange sich die Menge der in der Zeichnung vorkommenden Symbole in Grenzen halten. Schaltpläne mit Tausenden von Bauteilen überfordern den derzeitigen TeDUB-Prototypen noch. Projektleiter George Ioannidis geht deshalb davon aus, dass sich Schaltbilder hierarchisch ordnen lassen, vergleichbar mit der Modularität elektronischer Geräte. Auf der obersten Ebene gibt es das Gerät, dieses besteht aus Baugruppen, die natürlich aus Schaltungen, und die Schaltungen setzen sich schließlich aus Bauteilen zusammen. Ein blinder Benutzer navigiert zunächst also durch Blockschaltbilder und landet erst am Ende bei Schaltungsteilen, die das System als "Widerstand" oder "Transistor" erkennt.

Der Core des TeDUB-Systems besteht aus vier Schritten. "Preprocessing" soll gescanntes Bildmaterial so weit aufbessern, dass es für eine Bilderkennung tauglich wird. Dieser erste Schritt ist zur Zeit noch nicht implementiert. Deshalb kann der jetzige TeDUB-Prototyp nur mit digitalen Bildern gefüttert werden, die praktisch störungsfrei sind. Das Submodul für die Segmentierung unterteilt die Bilder in verschiedene Bereiche, die entweder homogen oder diskontinuierlich sind. Das wären zum Beispiel Bereiche gleicher Farbe oder Textur; ebenso sind Ecken und Linien möglich, die als Objekt aus dem Bild herausgelöst werden. Die hier segmentierten Bildbestandteile dienen der "Symbol/Feature Extraction" zur Eingabe. Einfache Eigenschaften wie Linien, Kreisbögen oder Beschreibungen von Oberflächen werden zu komplexeren Strukturen wie dem Schaltzeichen für einen Transistor zusammengefasst und in Form eines Baumes übergeben, dessen Blätter grafische Primitive wie Balken, Pfeile und Kreise enthalten. Der vierte Schritt wird schließlich vom Submodul "Recognition" übernommen, das aufgrund einer Wissensbasis die extrahierten grafischen Bestandteile als Symbole deutet, in der Elektronik beispielsweise als Schaltzeichen. Die Symbole stehen als Text in Form eines XML-Dokuments zur Verfügung. Dieser Text ist mit dem Joystick navigierbar und steuert eine Sprachausgabe, die dem Blinden schließlich sagt, welche Informationen die ihm vorliegende Zeichnung enthält.

Besonderen Wert legt das TeDUB-Team auf die Entwicklung eines geeigneten User-Interfaces. Dazu gehören die Ausgabe ertastbarer Informationen über ein entsprechend geeignetes Keyboard. Die Sprachausgabe wird um Stereoeffekte und um Räumlichkeit ergänzt, damit der blinde Benutzer einen Eindruck davon bekommt, welche Stelle des Diagramms von ihm gerade betrachtet wird. Mit einem Force-Feedback-Joystick, sonst nur für Computerspieler interessant, lassen sich schließlich Richtungen anzeigen, die bedeuten: Der Transistor liegt links im Schaltplan oder die Eingangstür ist schräg oben in der Bauzeichnung.

Das fertig implementierte TeDUB-System wird schließlich in einen Screen Reader eingefügt. Darunter versteht man ein System, das die Kommunikation zwischen dem blinden Benutzer und seinem Computer herstellt, ähnlich dem Desktop für sehende Anwender.

Noch steht das ganze Projekt am Anfang seiner Arbeit. Es existiert bereits ein lauffähiger TeDUB-Prototyp, aber der ist nicht sonderlich stabil und auch nicht sonderlich schnell. Erkannt werden also nur Diagramme mit wenig Informationen: Ein Transistorverstärker mit zwei Kondensatoren und drei Widerständen etwa. Diese Diagramme müssen zur Zeit noch aus digitalen Quellen kommen, weil Scannerbilder durchaus auch Fehler enthalten können, die den empfindlichen TeDUB-Prototypen zu falschen Schlüssen verleiten. Der zur Zeit in Arbeit befindliche zweite Prototyp geht das Problem bereits an. Stabilität und Zuverlässigkeit stehen auf der To-Do-Liste. "Natürlich untersuchen wir auch komplexere Diagramme in Kooperation mit Blindenverbänden in Europa," gibt sich TeDUB-Leiter George Ioannidis optimistisch.