"Wir sind die Befreier - das darf man nicht vergessen!"

Léon Gautier nahm als einer von 177 französischen Soldaten am D-Day teil

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Als am 6. Juni 1944 mit der Aktion "Overlord" das Ende des deutschen Terrorregimes über Europa eingeleitet wurde, waren auch französische Soldaten mit von der Partie. Léon Gautier ist einer von ihnen. Mit dem so genannten "Kommando Kieffer" - benannt nach seinem französischen Kommandanten Philippe Kieffer - beteiligte er sich an der Landung in der Normandie. Heute lebt der 81-Jährige in der Küstenstadt Ouistreham, also in jenem Ort, den er damals befreien half. Geboren wurde er jedoch in der Bretagne.

Meine Geschichte ist sehr einfach erzählt. Als der Krieg anfing, habe ich mich bei der Marine gemeldet. Ich war damals 17 Jahre alt. Von Februar bis Juni 1940 habe ich auf einem schottischen Schiff an der Küste der Normandie gekämpft. Wir haben die vorrückenden deutschen Panzerkolonnen beschossen. Danach sind wir nach England und ich wurde gefragt, ob ich mich nicht der britischen Armee anschließen wolle. Das habe ich jedoch abgelehnt.

Léon Gautier

Denn Léon Gautier hat mittlerweile in einem Militärlager von der Existenz einer unabhängigen französischen Armee unter General Charles de Gaulle erfahren - den Forces Françaises libres (FFl).

Ich habe mich also der France libre angeschlossen und zunächst auf einem Handelsschiff als Kanonier gekämpft, dann in einem U-Boot. Danach haben wir in Afrika, im Libanon und in Syrien gekämpft.

Léon Gautier am Strand von Ouistreham (Bild: Thorsten Fuchshuber)

1943 kehrt er nach England zurück, um sich einer Spezialeinheit des 10. Inter-Alliierten Kommandos anzuschließen. "Das waren Belgier, Holländer, Polen, Jugoslawen, Norweger. Auch Deutsche waren dabei, die sogenannte Truppe X, die ebenfalls gegen Hitler kämpfen wollte."

Von nun an trainiert er nur noch für jenen Tag, der als D-Day in die Geschichte einging. "Das war ziemlich hart", erinnert sich Gautier an seine Ausbildung im schottischen Achnacarry. "Wir mussten beispielsweise sieben Meilen in einer Stunde laufen. Wer das auch beim zweiten Versuch nicht schaffte, musste die Einheit verlassen. RTU hieß das dann - return to unit - dann war's vorbei."

Von den 300 Franzosen, die mit der Spezialausbildung begonnen hatten, blieben 177 übrig, um als "Commando No. 4" der britischen "First Special Service Brigade" am "débarquement" teilzunehmen.

Im Frühsommer des Jahres 1944 zeichnete sich schließlich ab, das der Zeitpunkt, dem alle entgegenfieberten und auf den sie sich so lange vorbereitet hatten, gekommen war:

"Im Mai wurden wir im Trainingscamp in Gruppen aufgeteilt. Ab Ende Mai wurden wir unter Geheimhaltung gesetzt und wir durften das Camp nicht mehr verlassen. Die Wachposten hatten das Recht, zu schießen, falls jemand doch versuchte, rauszugehen. Anhand von Modellen hatte man uns die Landungspläne erläutert. Anfang Juni machten wir uns auf den Weg zur Insel White, die den Codenamen Picadilly Circus trug und um die herum sich die Armada versammelte."

In der Nacht vom 5. auf den 6. Juni ging es dann los. "Die Überfahrt dauerte die ganze Nacht. Morgens kamen wir bei Sword Beach - so der alliierte Codename für den östlichsten Küstenabschnitt, der in die Landung einbezogen wurde - an. Wir Franzosen waren am äußersten Ostrand der Landungsboote - unsere Mission war es, die deutschen Stellungen und den Kommandobunker in Ouistreham einzunehmen. Die britischen Truppen des Commando No. 4 hatten den Auftrag, die Schleusen und den Hafen einzunehmen. Um sieben Uhr morgens sind wir gelandet, um 11.30 Uhr hat sich Ouistreham ergeben." Bis zum Abend desselben Tages hatte Gautiers Einheit zehn Todesopfer zu beklagen, zahlreiche weitere wurden verwundet.

Léon Gautier gehörte zur ersten Welle derer, die in Ouistreham an Land gingen. Das war jedoch kein Zufall. "Wir Franzosen waren dazu auserwählt worden. Ungefähr hundert Meter vor der Landungsstelle sagte der britische Colonel Robert Dawson, der das Kommando hatte, 'Messieurs les Francais - Rentrez en premiers! - Meine Herren Franzosen - gehen Sie als erste rein!' Dies war für uns eine Ehre und ein Privileg zugleich."

Gautier bleibt noch bis zum Ende der Schlacht um die Normandie im Einsatz. Dann kehrt er nach England zurück. Im Oktober 1944 heiratet er seine Frau Dorothy, eine Britin, die er im Hauptquartier der FFl kennengelernt hat. In Frankreich findet er zunächst keine Perspektive.

"Wir waren ein wenig verloren. Man hat uns gesagt: 'Merci, Messieurs, c'est fini, kehren Sie heim!' Man hat sich jedoch nicht um mich gekümmert. Ich bin dann wieder nach England."

Überhaupt seien er und seine Kampfgenossen nach dem Krieg zunächst mit gemischten Gefühlen in Frankreich aufgenommen worden. "So manche Franzosen hatten ja während des Krieges ihren Patriotismus etwas vergessen. Man hat uns ganz gut empfangen, doch diese Menschen trugen etwas mit sich herum. Sie haben sich das zwar nicht anmerken lassen. Aber wir trugen das Croix de Lorraine, man nannte uns die Percoirs - man war ein wenig eifersüchtig auf uns, die wir im Krieg gegen die Nazis gekämpft hatten." So seien ihre Leistungen nicht sofort entsprechend gewürdigt worden. "Zum einen liegt das daran, dass wir nur wenige waren. Wir waren 177 Franzosen. Politisch gesehen stellten wir nichts Großes dar. Die Normannen haben uns jedoch immer gut empfangen, der Rest der Franzosen hat dazu etwas länger gebraucht."

Erst 1954 zieht er nach Frankreich zurück, seit zwölf Jahren lebt er in Ouistreham - unweit von der Stelle, an der er damals an Land ging, um die nationalsozialistische Armee besiegen zu helfen. Der Umzug sei jedoch eher pragmatischen als nostalgischen Gründen geschuldet: "Jedes Jahr finden in Ouistreham Gedenkfeiern statt, und als Verantwortlicher der Veteranen-Vereinigung werde ich auch zu vielen anderen Veranstaltungen eingeladen. Meine Frau hatte ganz einfach genug davon, immer wieder die Reise nach Ouistreham auf sich zu nehmen, also sind wir hier hergezogen - so einfach ist das", sagt er lachend.

Die Gedenkveranstaltungen zum 6. Juni haben für Léon Gautier zwei Bedeutungen.

"Zum einen möchte ich diejenigen wiedersehen, die noch leben. Zum anderen geht es mir auch um die, die hier gefallen sind. Viele von ihnen sind an diesem Tag nach Frankreich heimgekehrt, mit der Hoffnung, schon bald ihre Familien wiederzusehen - und dann haben sie Frankreich nur für einen kurzen Moment, den Augenblick ihres Todes gesehen. Wissen Sie, das ist schwer zu verdauen, das schluckt man nicht einfach so runter..."

Im Gegensatz zu vielen anderen Veteranen hat Léon Gautier kein Problem damit, dass in diesem Jahr Bundeskanzler Gerhard Schröder vom französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac zur zentralen Veranstaltung nach Arromanches eingeladen wurde. "Aus einem einfachen Grund", wie er sagt, "man muss diesen Hass vergessen". Verständnislos reagiert er dagegen auf Kritiker, die monieren, dass ausgerechnet George W. Bush die USA beim D-Day repräsentiert. "Bush kann zu Hause politisch machen, was er will. Hier vertritt er die, die gekämpft haben, die Europa, nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland befreit haben."

"Die Deutschen, die Engländer, die Franzosen", alle kämen im Gedenken an den 6. Juni zusammen, sagt er zum Schluss nachdenklich. Und nach einer kurzen Pause: "Aber die Deutschen, hmm, wir sind ihre Befreier." Doch vor allem die jungen Deutschen, befürchtet er, hätten dies wohl schon vergessen.