Kohle als Brücke zur erneuerbaren Zukunft

Die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kohlekraft (Teil III)

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Wie wir im ersten Beitrag gesehen haben, war die Kohle lange wegen ihrer Luftverschmutzung verächtet, aber wegen ihrer Wärme geliebt. Wenn es früher keine Alternativen zur Kohle gab, welcher gibt es für Morgen - und zu welchem Preis?

James Lovelock, der die Idee von der Erde als einem lebenden Organismus entwickelte, machte 2004 Schlagzeilen, als er sich für die Kernkraft stark machte, denn nur diese könne den drohenden Klimakollaps verhindern (Den Teufel mit Beelzebub austreiben). Er setzte damit eine Debatte über das Für und Wider der Kernkraft in Gang, aber viele haben den Anlass seiner Bekennung zur Kernkraft übersehen: Die Erde muss vor der Kohlekraft gerettet werden.

Was hat der Klimawechsel mit Kohlekraft zu tun? Nun, man kann nicht "beweisen", dass die Emissionen aus Kohlekraftwerken hauptsächlich für die Klimaerwärmung verantwortlich ist - Skeptiker, die übrigens oft (und manchmal versteckt im Auftrag der Ölindustrie arbeiten, weisen darauf hin, dass es schon immer Temperaturschwankungen gegeben hat. Aber es wäre ein Wunder, wenn der Anstieg des CO2-Anteils in der Atmosphäre (von rund 280 ppm auf 384 ppm) während der Industrialisierung keinen Treibhauseffekt ausgelöst hätte. Man hat also die Wahl: Mit der Windkraft töten wir einzelne Vögel, mit der Kohlekraft ganze Arten.

Ein modernes Kohlekraftwerk mit 500 MW verbraucht jährlich

  1. 1,43 Millionen Tonnen Kohle
  2. 8,3 Milliarden Liter Kühlwasser, wovon lediglich rund 3% verdampfen; die restlichen 97% verlassen das Kraftwerk gut 10° C wärmer als am Einlauf und werden in Gewässer zurückgeleitet, was die Temperaturen in den Gewässern erhöht. Kohlekraftwerke können also nicht problemlos in wasserarmen Gebieten betrieben werden. Selbst Deutschland und Frankreich hatten im trockenen, heißen Rekordsommer 2003 Schwierigkeiten, ihre großen Kraftwerke weiterzubetreiben, denn nicht genug Kühlwasser stand zur Verfügung, und die zulässigen Temperaturen mancher Gewässer wurden überschritten.

und emittiert unter anderem jährlich:

  1. 3,7 Millionen Tonnen CO2 - mehr als 2,5 Tonnen für jede Tonne Kohle (verursacht den Treibhauseffekt)
  2. 10,000 Tonnen Schwefeldioxid (saurer Regen)
  3. 10,2000 NOx (Smog)
  4. 720 Tonnen Kohlenmonoxid (Treibhauseffekt)

Ein Wald (CO2-Senke) müsste 2000 km2 groß sein, um die CO2 zu absorbieren, die ein solches Kohlekraftwerk während seiner gesamten Laufzeit emittiert. Allerdings könnten diese Mengen an CO2 leicht wieder freigesetzt werden, zum Beispiel bei einem Waldbrand. Quellen: Union of Concerned Scientists und JOULE II

Fassen wir also zusammen: Die Kohle verstärkt den Treibhauseffekt, verpestet die Luft, und ruiniert riesige Gebiete beim Abbau. Wenn die Kohle so schlimm ist, wieso schaffen wir die Kohlekraftwerke nicht einfach ab? Ganz klar: Die Kohlekraft ist billig, solange man von den externen Kosten ganz absieht. Noch wichtiger: Im Gegensatz zu Erdöl und Gas, die in den nächsten Jahrzehnten knapp werden sollen, reichen unsere Kohlereserven noch ein paar Jahrhunderte.

Wenn wir realistisch bleiben, wird die Menschheit nicht auf die Kohlekraft verzichten, genauso wie die Menschen in England im Mittelalter lieber husteten als froren. Vermutlich verbrennen die Menschen Kohle noch, wenn sich die verheerenden Folgen der Erderwärmung längst bemerkbar gemacht haben, denn der Ausstieg aus der Kohlekraft würde sowieso erst Jahrzehnte später den Anteil von CO2 in der Erdatmosphäre reduzieren, wie Lovelock selbst zugibt.

Deshalb müssen wir uns überlegen, wie wir vernünftiger mit unserer Kohle umgehen können. Die Kohle ist eine nicht erneuerbare Ressource, mit der wir sorgfältig umgehen sollten. Wir bekommen sie nie wieder. Deshalb sollten wir sie nicht so verbrennen, als gäbe es keine Zukunft. Wenn wir dabei die Reichweite unserer Kohlereserven von 250 auf 700 Jahre verlängern, wäre dies ein schönes Geschenk an unsere Nachkommen. Schade, dass wir dies mit dem Erdöl nicht mehr schaffen ...

Dabei sollte man die externen Kosten der Kohlekraft mit in den Endkundenpreis einbeziehen, indem man z.B. die Abgase (vor allem CO2-Emmission) konsequent weiter reduziert, selbst wenn dies bedeutet, dass die Kohlekraft so teuer wie Erneuerbare Energien (EE) wird. Man sollte eben die Kohle nicht so schnell wie möglich verbrennen, bis sie teuer wird, wie wir's beim Erdöl offenbar machen. Hier besteht Hoffnung, dass die Menschen bei der Kohle anders vorgehen, nachdem sie erlebt haben, was die Knappheit des Erdöls für Folgen hat. Dann sollte man die Kohle so effizient wie möglich nutzen.

Kohlekraftwerke als Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen

Ein modernes Kohlekraftwerk hat einen Wirkungsgrad von rund 35%, d.h. mehr als ein Drittel der in der Kohle enthaltenen Energie wird zu Strom. Der Rest entweicht ungenutzt als Abwärme. Theoretisch wird also mehr Energie verloren als gewonnen, oder wie ein US-Ingenieur sagt: "So gesehen ist die Abwärme vielversprechender als alle Kohle-, Öl-, und Gasreserven zusammen" http://www.energypulse.net/centers/article/article_print.cfm?a_id=719. Die Frage ist nur, wie viel von dieser Abwärme praktisch genutzt werden kann.

Kohlekraftwerke haben einen großen Nachteil gegenüber Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen: Sie sind oft sehr groß - einige Hundert MW Leistung - und selten in der Nähe von großen Siedlungen. Gerade Braunkohlekraftwerke stehen oft in der Nähe der Gruben, weil die Energiedichte der Braunkohle den Transport nicht lohnt. Anders gesagt: Die Abwärme kann meistens schlecht in Fernwärmenetze geleitet werden.

Trotzdem sollte man dies tun, wo es möglich ist. Jeffrey Michel, der Energiebeauftragte von Heuersdorf, weist darauf hin, dass es nicht nötig wäre, die Kohle unter Heuersdorf abzubauen, wenn man die Abwärme aus dem nahegelegenen Kohlekraftwerk richtig nutzen würde:

Die zusätzlich ungenutzte Abwärme [im Kraftwerk] Lippendorf entspricht rechnerisch der Menge Braunkohle, die unter der Ortslage von Heuersdorf ausgewiesen wird. Dabei wurden verschiedene Absatzmöglichkeiten für ausgekoppelte Wärme nicht realisiert. So führt beispielsweise die Fernwärmeleitung von Lippendorf nach Leipzig, ohne für die Wärmeversorgung der dazwischen liegenden Stadt Markkleeberg genutzt zu werden.

Wegen der begrenzten Nutzbarkeit der Abwärme aus Kohlekraftwerken sucht man nach Wegen, um die in der Kohle enthaltene Energie in anderen Kraftwerken zu verwenden. Das Stichwort lautet "Syngas" und ist eigentlich ein Rückgriff auf die Jahrhunderte alte Technik der Kohlevergasung (früher Stadtgas genannt). In GuD-Turbinen treibt das synthetische Gas die Gasturbine, während die Abwärme eine weitere Dampfturbine treibt. Eine solche Pilotanlage entsteht in einem Kohlekraftwerk in North Dakota, wo das Syngas aus Braunkohle gewonnen wird. Auch in Europa gibt es erste Syngas-Kraftwerke, zum Beispiel im DEMKOLEC-Projekt in Buggenum/Niederlande. Das 1989 ins Leben gerufene Projekt hat 1994 ein Kraftwerk mit 253 MWe hervorgebracht, das das bei der Kohlevergasung anfallende Abwasser reinigt.

Das Prinzip der Kohlevergasung ist schnell erklärt: Die Kohle wird durch Zufuhr von Wasser und Sauerstoff und unter Hochdruck in ihre nützlichen Hauptbestandteile Kohlenmonoxid (CO) und Wasserstoff (H2) zerlegt. Dieses Gemisch aus CO + H2 ist das Syngas. Das dabei anfallende CO2 kann genauso wie die verschiedenen anderen Bestandteile (beispielsweise Schwefel und Metalle) entfernt und abgeführt werden. Die gezielte Trennung und Sammlung der Elemente, die man bei der Kohlekraft entsorgen möchte, findet also bei der Vergasung ohnehin statt. Auch mindestens 90% des Quecksilbers.

Am Institut für Verfahrenstechnik und Dampfkesselwesen an der Universität Stuttgart wird dagegen mit Wasser und gebranntem Kalk gearbeitet. Der Kalk bindet das CO2 und wird zu Kalkstein; übrig bleibt nur der Wasserstoff. Der Kalkstein wird dann in einem zweiten Reaktor gebrannt, wobei das CO2 freigesetzt wird. Es kann dann für die Speicherung gesammelt oder an die Industrie verkauft werden; der gebrannte Kalk kann dann wieder zur CO2-Aufnahme wieder verwendet werden. Es bleibt abzuwarten, welche Technik die beste und billigste sein wird.

Auf jeden Fall bietet die Kohlevergasung viele Vorteile:

1) Das Syngas kann in herkömmlichen KWK-Gasturbinen verwendet werden, deren Wirkungsgrad bei rund 60-70% liegt, statt der 35-40% bei herkömmlichen zentralen Kohlekraftwerken. Zwar geht ein großer Teil der in der Kohle enthaltenen Energie bei der Vergasung verloren, aber am Ende werden diese Verluste durch die höheren Wirkungsgrade der Kraftwerke in etwa kompensiert.

2) Dadurch, dass kleinere GuD-Turbinen größere Kohlekraftwerke ersetzen, kann die Kohlekraft den Mittellast besser decken. Anders ausgedrückt: Die Kohlekraft wird besser in der Lage sein, die Fluktuationen in einem von EE dominierten Energiesystem zu kompensieren, da GuD-Turbinen schnell und effizient lastgeführt betrieben werden können.

3) Die Bestandteile der Kohle, die nicht energetisch genutzt werden, können entsorgt oder anderweitig verwendet werden, zum Beispiel wird der Schwefel aus der IGCC-Anlage bei Wabash River (USA) zu Düngermitteln verarbeitet, d.h. ein Abfallprodukt wird verkauft und wiederverwendet statt kostenpflichtig entsorgt. Selbst das eigentlich giftige Kohlenmonoxid kann in stationären Festoxid-Brennstoffzellen ("solid oxide fuel cells" oder SOFCs) als Treibstoff neben Wasserstoff benutzt werden.

4) Wasserstoff könnte aus Kohle produziert werden, d.h. die Kohle könnte verstärkt für mobile Anwendungen (PEM-Brennstoffzellen) verwendet werden.

Vielleicht erleben wir in wenigen Jahrzehnten eine Welt mit vielen dezentralen GuD-Turbinen statt großer Kohlekraftwerke. Und manche der stillgelegten Kohlekraftwerke könnten eventuell umgerüstet werden, um mit einem Gemisch aus Biomasse und Kohle befeuert zu werden, wie dies in Schottland derzeit anvisiert wird.

Die Kohlekraft der Zukunft wäre dann nicht so billig wie heute, aber sie würde kaum noch Abfallprodukte produzieren. Und der höhere Preis würde den Energieverbrauch reduzieren, damit künftigen Generationen mehr von dieser endlichen Ressource übrigbleibt. Man könnte dann getrost zu den preiswert gewordenen EE wechseln, die in Hülle und Fülle vorhanden sind. Wenn wir die Sonnenergie von heute besser nutzen, brauchen wir so viel Sonnenergie von gestern gar nicht. Wir sollten die Kohle verstärkt nutzen, um die neue EE-Infrastruktur aufzubauen - eine Strategie, die nicht etwa aus grünen Kreisen stammt, sondern auch schon mal programmatisch in den Pressemitteilungen der Kohleindustrie selbst stand:

Mit der heimischen Steinkohle handelt es sich um "eine Energie, die die Brücke sein kann zwischen dem Heute und der Zukunft aus Wind, Wasser und Sonne".

Unklar bleibt, ob diese neuen Technologien tatsächlich bis 2020 marktreif sind. Aber die Hoffnungen sind groß. Der US-Energieexperte Amory Lovis glaubt, dass die Kohlekraft mit CO2-Speicherung (wie oben beschrieben) neben der Windkraft den Schlüssel zur Wasserstoffwirtschaft sein wird:

Wind, and perhaps carbon-sequestered coal, will beat natural gas for making hydrogen, which will emerge as the dominant energy carrier.

Realistisch betrachtet müssen wir das hoffen, denn die heutige Kohle bedroht unser Klima, und die kohlereichen Länder werden heute ebenso wie im Mittelalter nicht auf die Verbrennung ihrer Reichtümer verzichten.

Craig Morris übersetzt bei Petite Planète Translations