Auf Kollisionskurs mit Titan

Gestern um 3.00 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ) trennte sich das ESA-Landegefährt Huygens, das in knapp drei Wochen auf dem Saturnmond Titan landet, erfolgreich von seiner Muttersonde Cassini

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Am 25. Dezember 2003 bescherte sich die Europäische Raumfahrtagentur ESA selbst – mit einem Präsent der Extraklasse. Genau ein Jahr nach der erfolgreichen Einbringung von Mars Express in den Mars-Orbit steuert Europa dem absoluten Höhepunkt seiner Raumfahrtgeschichte entgegen. Als sich gestern um 4.08 Uhr MEZ der "Huygens"-Lander der Europäischen Raumfahrtagentur ESA vom Cassini-Mutterschiff trennte, ging nach siebenjähriger und 2,7 Milliarden Kilometer langer gemeinsamer Reise durchs Sonnensystem das Raumschifftandem erstmals getrennte Wege. Während "Cassini" zu Beobachtungszwecken in die Umlaufbahn des Saturns einschwenkte, düst "Huygens" nunmehr seinem Zielmond entgegen. Auch wenn ein wichtiges Etappenziel der Mission erreicht ist – das nächste ungleich schwerere steht noch bevor: die Landung auf Titan.

Er ist bizarr. Er ist mysteriös. Er ist obskur und unheimlich. Er versteckt sein Antlitz und all seine Geheimnisse hinter einem ständig präsenten dichten orange-braunen Wolkenteppich, einem dicken Dunst aus Methan und anderen Kohlenwasserstoffen. Keiner weiß genau, wie es "darunter" aussieht. Am 14. Januar wird das ESA-Landegefährt Huygens diesen trüben Vorhang ganz zur Seite schieben. Unterwegs in exobiologischer Mission, wird der kleine Roboter an diesem Tag in die Atmosphäre des Mondes eintauchen, auf ihm landen und u.a. nach Vorstufen organischen Lebens Ausschau halten.

Im Schlafmodus und freien Fall

Einer bilderbuchmäßigen Landung sollte jetzt nichts mehr im Wege stehen. Denn das (nach dem Lift-off der Trägerraekte) bislang zweitkritischste Manöver der Mission meisterte das Sondentandem gestern mit Bravour. Um 3.00 Uhr MEZ trennte sich der Huygens-Lander vom Cassini-Orbiter und schwenkte problemlos auf Kurs Titan ein. 20 Tage lang wird die irdische Forschungssonde im freien Fall auf einer ballistischen Flugbahn dem Saturnmond "entgegenstürzen" und dabei enorm an Fahrt aufnehmen. Huygens befindet sich während dieser Flugphase in einem Schlafmodus. Vier Tage vor der Abtrennung wurde ein Dreifach-Timersystem programmiert, das die Systeme der Sonde kurz vor ihrer Ankunft am Titan reaktivieren wird.

Das lange Warten hat ein Ende: Huygens' Mission hat begonnen. (Bild: ESA/D. Ducros)

Grund zur Freude hatten die ESA-Wissenschaftler aber erst um 4.08 Uhr MEZ, weil das vom Cassini-Orbiter der Erde weitergeleitete Abtrennungssignal eine Stunde und acht Minuten benötigte, um die Entfernung von 1,2 Milliarden Kilometern zur Erde zu bewältigen. Als die Telemetriedaten bei der Bodenstation der NASA zur Bestätigung des Ausklinkens eintrafen, war die Erleichterung auf Seiten der Forscher groß. "Das Ausklinken heute ist ein weiterer Meilenstein der Mission Cassini/Huygens", freute sich der Wissenschaftsdirektor der ESA, Dr. David Southwood.

Nach sieben Jahren Zusammenleben kam die Trennung im Gütlichen. Wir danken unseren Partnern bei der NASA herzlich fürs Mitnehmen. Cassini und Huygens werden nun eigene Wege gehen, aber wir rechnen damit, dass sie bis zum Ende dieser faszinierenden Mission in Kontakt bleiben werden. All unsere Hoffnungen und Erwartungen richten sich jetzt auf die ersten Daten aus einer neuen Welt, von deren Erforschung wir seit Jahrzehnten träumen.

Lobende Worte für das gelungene Manöver fand auch Robert T. Mitchell, der Programm-Manager von Cassini am NASA's Jet Propulsion Laboratory, Pasadena/Kalifornien. "We wish to congratulate our European partners as their journey begins and wish them well on their descent to Titan", so Mitchells O-Ton. "We are very excited to see the probe off and to have accomplished this part of our job. Now we're ready to finish our part – receiving and relaying the Huygens data back to Earth."

Die Separation klappte wie am Schnürchen. Nach sieben Jahren gehen beide Sonden eigene Wege (Bild: ESA/D. Ducros)

Die Bundesforschungsministerin und Ratsvorsitzende der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) Edelgard Bulmahn wertete den Beginn der Landephase der europäischen Sonde Huygens zum Saturn-Mond Titan als bedeutenden Erfolg für die europäische Raumfahrt. "Die Mission soll uns neue Erkenntnisse über die Entstehung der Erde liefern", sagte Frau Bulmahn am Samstag in Berlin etwas lapidar.

Kritischstes Manöver steht noch bevor

Nachdem das Sondentandem bereits am 17. Dezember im Verlaufe seiner dritten Umrundung des Ringplaneten auf einen kontrollierten Kollisionskurs mit Titan gebracht wurde, klappte auch die gestrige Separation wie am Schnürchen: Die installierten Sprengladungen zündeten und die dadurch ausgelöste Aktivierung des Federmechanismus funktionierte wunschgemäß. Wie erwartet bewegte sich das kleine Gefährt mit einer relativen Geschwindigkeit von 30 Zentimeter pro Sekunde von der Muttersonde weg und rotierte dabei siebenmal pro Minute um die eigene Achse.

Erst am Vormittag des 14. Januar 2005 wird die Elektronik von Huygens – 15 Minuten vor dem Eintritt in die Atmosphäre – von einem Timer an Bord "geweckt". Im Idealfall taucht dann das büchsenähnliche Vehikel um etwa 10.06 Uhr MEZ mit einer Geschwindigkeit von 20.000 Stundenkilometern in die dichte Gashülle des geheimnisumwitterten Saturnmondes ein – in einem relativ steilen Winkel von 65 Grad.

Huygens driftet davon. Dieses Bild machte Cassini am ersten Weihnachtstag 12 Stunden nach der Separation. (Bild: NASA/JPL/Space Science Institute)

Kurz nachdem der zweite Fallschirm Huygens auf 3660 km/h abbremst, verabschiedet sich der große Hitzeschutzschild, und der eigentliche Roboter kommt zum Vorschein. Schon 42,5 Sekunden später beginnen die Instrumente – die 320 kg schwere Sonde besitzt sechs Instrumente (näheres hierzu in einem späteren Beitrag) – des Landers auf Hochtouren zu arbeiten. Ein dritter Fallschirm tritt in Aktion und verlängert den Sinkflug der Sonde auf zweieinhalb Stunden. Während dieser Zeit schwebt Huygens mit pausenlos arbeitenden Sensoren der Oberfläche des Titan entgegen und analysiert die Umgebung und die chemische Zusammensetzung der dunstigen Atmosphäre, sammelt Daten über Temperatur, Luftdruck, Windrichtung, Windstärke, elektrische Eigenschaften, Wolkendichte und vieles andere mehr.

Nach dem Durchbrechen der Wolkendecke, quasi in der letzten Phase des Abstiegs, nehmen zwei Kameraaugen die bislang unbekannte Oberfläche des Himmelskörpers ins Visier und schießen mehr als 1100 Bilder. Augenblicklich sendet der sondeneigene Computer sämtliche Daten und Bilder an das Cassini-Mutterschiff, die dort vierfach zwischengespeichert und dann zur Erde gesendet werden.

Langsam schwebt der kleine Roboter seinem Zielgebiet, einem fremden Ozean, entgegen, legt um 11.30 Uhr MEZ eine bilderbuchmäßige Landung hin und schafft es sogar, sich eine Zeit lang über "Wasser" zu halten...

Landung auf schmierigen Terrain

Sollte "Huygens" eine perfekte Landung hinlegen, hätte auf jeden Fall das erste Mal in der Raumfahrtgeschichte eine Landemanöver auf einem Körper des äußeren Sonnensystems stattgefunden und erstmals ein irdischer Flugkörper mit einem außerirdischen Ozean Tuchfühlung aufgenommen. Und erstmals hätten Astronomen einen genauen Blick hinter den ständig präsenten dichten orange-braunen Wolkenteppich geworfen und zugleich in Erfahrung gebracht, woraus die Oberfläche des "mystischen" Saturnmonds besteht, welche Umweltbedingungen dort herrschen und wie lange "Huygens" nach der Landung auf dem unwirklichen Terrain theoretisch überleben kann.

Möglicherweise wird das ESA-Gefährt, wenn es auf dem fernen Mond mit einer berechneten Aufprallgeschwindigkeit von 20 km/h aufsetzt, nicht etwa festen Boden touchieren, sondern vielmehr mit einem Meer in Kontakt treten, das mit einem irdischen gleichwohl wenig gemein hat. "Wir erwarten einen 'Ozean aus flüssigen Kohlenwasserstoffen' oder eben einfach einen 'Öl-Ozean'", erklärt der deutsche Astronom Markus Hartung von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Chile, der letztes Jahr mit einem ESO-Team mit einem der vier 8,2-Meter-Spiegel eine detaillierte Observation durchführte.

Immerhin ist die Aluminium-Kapsel derart robust, dass sie einen harten Aufschlag, der sowohl auf dem Festland als auch in Form einer "Wasserung" in einem möglichen Öl-See erfolgen könnte, wenigstens für kurze Zeit überleben kann. Garantiert werden drei Minuten, erhofft dagegen 30 Minuten. Jedenfalls soll Huygens solange senden, solange die Batterien reichen und Cassini vom Landeplatz aus "sichtbar" ist.

Titan - eine klimatische Katastrophe

Dass Huygens sich eher auf eine unsanfte Landung einrichten kann, liegt in der Natur des eigenwilligen Mondes. Wie bereits frühere Messungen bestätigten haben, ist der größte Satellit des Saturns klimatisch eine Katastrophe. Nur irdischen Meteorologen dürfte es angesichts der dort vorherrschenden Temperaturen warm ums Herz werden, zumal bei derart beständigen Witterungsbedingungen, die tagtäglich dichte Bewölkung und heftige Schauer garantieren, das Wetter leichter vorherzusagen wäre als auf Mutter Erde. Schließlich peitschen hier in aller Regelmäßigkeit heftige Winde über das zerklüftete Terrain, hageln Methan-Regentropfen von bis zu neun Millimeter Größe auf den Boden und entladen sich energiereiche Blitze in großer Häufigkeit.

Vor allem der Methanregen könnte der Sonde zusetzen: "Die Niederschläge von Methanregen und Äthanschnee enthalten auch Aerosole. Sie bilden vielleicht eine klebrige Schicht von mehreren Metern, die sich auf allen ebenen Flächen bildet. Der Methanregen erodiert vermutlich die Sedimente, und Meteoriten pflügen sie gelegentlich um", erklärt der Schweizer Astronom Prof. Arnold Benz von der ETH in Zürich.

Cassini-Aufnahme vom 14.12.04; Distanz zum Saturn (oben links): 719.000 Kilometer. Die orange-farbige Mini-Kugel unten rechts ist Titan. (Bild: NASA/JPL/Space Science Institute)

Nicht minder ungewöhnlich präsentiert sich auch die Titan-Atmosphäre. Einerseits kann Titan als einziger Mond unseres Planetensystems mit einer eigenen dichten Atmosphäre aufwarten – der Neptunmond Triton hat nur eine dünne Atmosphäre. Andererseits dehnt sich die Atmosphäre mindestens 600 Kilometer in den Weltraum aus. Doch die Atmosphäre des Titan wirkt alles andere als lebensfreundlich: In ihr treiben aber nicht etwa Sauerstoff oder Ozon, sondern Stickstoff und Methan, Äthan und Polymere aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Stickstoff, also nicht gerade die "Luft", in der biologisches Leben sich wohl fühlt und besten gedeiht.

Von Nachteil für die Ausbildung von Leben ist auch, dass Titan, dessen mittlerer Abstand zum Mutterplaneten 1.221.830 Kilometer beträgt, über kein eigenes Magnetfeld verfügt und deshalb dem lebensfeindlichen Sonnenwind direkt ausgesetzt ist. Auch die durchschnittliche Oberflächentemperatur von minus 180 Grad Celsius erweist sich für die Anwesenheit von flüssigem Wasser oder für die Entstehung nicht-photochemischer Reaktionen, die biologische Aktivität hervorbringen könnten, als wenig vorteilhaft.

Suche nach Aminosäuren und Vorstufen des Lebens

So lebensfeindlich der Begleiter des Ringplaneten auf den ersten Moment auch anmutet – neben dem Mars und Jupitermond Europa wird Titan insgeheim als einer der wenigen Himmelskörper gehandelt, auf dem sich primitives Leben in unserem Sonnensystem entwickelt haben könnte. Fakt ist: Die US-Raumsonde Voyager 1 konnte bei ihrem Vorbeiflug 1980 auf dem Trabanten neben zahlreichen Kohlenstoffverbindungen wie Acetylen, Ehtylen, Ehtan, Methylacetylen, Propan und Diacetlyen auch Blausäure nachweisen, welche als Grundlage für die Bildung von bestimmten Bausteinen des Erbmoleküls DNA dient.

Zwar deutet vorläufig nach Ansicht der Forscher nichts auf die Anwesenheit von Leben auf Titan hin, befindet sich doch der Saturnmond heute in einem Zustand, der dem der Ur-Erde vor 4,6 Milliarden ähnelt. Dennoch könnten sich in der Atmosphäre des Saturnmondes reichlich Aminosäuren oder Moleküle, die eine Vorstufe zum organischen Leben darstellen und für die Bildung von Leben unabdingbar sind, angesammelt haben. "Auf Titan vermuten wir ein reiches Arsenal komplexer organischer Verbindungen, unter anderem auch Adenin, das als Baustein der DNA von besonderen Interesse für die Astrobiologie ist", sagt Gerda Horneck, eine der weltweit führenden Exobiologinnen. Aus den Befunden könne man, so Horneck, eventuell auch Parallelen zu den chemischen Prozessen auf der frühen Erde ziehen, die vorherrschten, bevor das Leben entstand.

Von dem Saturnmond angetan zeigt sich auch Arnold Benz. "Kein ernsthafter Forscher erwartet, auf dem Titan Leben zu finden", gibt Prof. Benz zu bedenken. "Zum einen befindet sich der Saturnmond in einem chemischen Zustand, der jenem der Erde vor 4,6 Milliarden Jahren ähnelt. Zum anderen ist die Temperatur viel niedriger, so dass chemische Prozesse entsprechend langsamer verlaufen." Dennoch könnten sich der Titanoberfläche Aminosäuren und Moleküle gebildet haben, die eine Vorstufe zum organischen Leben darstellen und die für die Bildung von Leben unabdingbar sind, so Benz Fazit. Titan sei ein "Laboratorium der präbiotischen Chemie."

Über den Fortgang der Mission berichtet Telepolis regelmäßig.