Amerikanische Polizei sucht Unruhestifter mithilfe des Internet

Alle sind verdächtig

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Am 3. Mai 1998 feierten in Pullman in einem Wohngebiet nahe der Washington State University offenbar 100-200 Studenten ein Fest. Nach einem Anruf gegen Mitternacht wegen eines Unfalls rückte die Polizei an und wurde mit Bierdosen und Steinen beworfen. Das Geschehen lockte weitere Menschen an. Auch mit "kleinen Mengen" an Wasser und Tränengas ließ sich die Menge nicht "friedlich" auflösen. Nach ein paar Stunden löste sich die Menge von selber auf, nachdem einige Scheiben von Häusern und Autos zertrümmert und einige Feuer entfacht wurden. Ein paar Polizisten und Studenten wurden leicht verletzt.

Nachdem wir in einem Medienzeitalter leben und die Menschen permanent damit beschäftigt sind, alles, was geschieht, aufzuzeichnen, hat das Pullman Police Department Videofilme von Augenzeugen beschlagnahmt und zusammen mit eigenen Aufnahmen und Fotografien aus der Presse Bilder von Menschen, die während des Krawalls anwesend waren, auf einer eigens eingerichteten Web-Site mit dem Aufruf veröffentlicht, die abgebildeten Menschen zu identifizieren. Wer sich die Videos anschauen will, kann zur Polizei gehen.

Man werde weiterhin mit aller Entschlossenheit die Schuldigen verfolgen und die Site ständig aktualisieren. Durch eine hohe Mitarbeit der Menschen - bislang haben sich über 19000 Menschen auf die Site eingeklickt - konnten bereits 100 Menschen identifiziert werden. Nicht alle, so betont man in einer Presseerklärung, würden strafrechtlich belangt werden, aber der Namen eines jeden Identifizierten werde an die Universität weitergeleitet. Dazu muß gesagt werden, daß auf vielen Bildern die Menschen nichts strafrechtlich Relevantes begehen, sondern einfach nur herumstehen, lachen oder in die Kamera blicken. Die Namen der Angeklagten werden übrigens in den Pressemitteilungen genannt.

Der ganze Vorgang ist mehr als die bisher üblichen Fahndungsaufrufe in den Medien für Verdächtige. Man sucht nicht mehr nach bestimmten Menschen, die über Indizien einer Tat beschuldigt werden können, sondern alle Anwesenden sind von vorne herein erst einmal verdächtig und werden als Verdächtige der Öffentlichkeit präsentiert. Die Zuschauer werden so gleichzeitig zu Komplizen der Polizei und der Unruhestifter, die Öffentlichkeit verfolgt sich selbst. Neighbourhood Watch auf einer neuen Stufe. Eine ungute Entwicklung, die das Web eröffnet und die im Prinzip mit den Forderungen nach einer Gen-Datei für die Gesamtbevölkerung vergleichbar ist. Zunächst einmal sind alle Täter nicht nur für die Polizei, sondern durch die Veröffentlichung der Bilder für alle - und dann findet erst der Selektionsvorgang statt. Das ist Strafverfolgung in Zeiten der Datenbanken und Computernetze.