Die Kunst des Digitalen

Eine Tagung in der Berliner HdK

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Vom 24.-27. April fand unter dem Titel Ars Digitalis eine Tagung über Neue Medien in der Berliner HdK statt. Unser Korrespondent Stefan Münker, der selber zu den Referenten gehörte, hat die ganze Tagung besucht und seinen Bericht mitgebracht.

Die Kunst des Digitalen ist eine wundersame: Sie bringt alles Mögliche zusammen und dabei auch eine ganze Menge durcheinander. Das ist manchmal spannend und manchmal verwirrend; es ist aber fast immer gut so.

Die Kunst des Digitalen heißt auf lateinisch Ars Digitalis. Unter diesem Titel fand vom 24. bis zum 27. April in der Berliner Hochschule der Künste (HdK) eine Tagung zum Thema Neue Medien statt. Die Tagung ist der mittlere Event eines größeren Projekts gleichen Namens, das im vergangenen Herbst mit einem Symposium zum Thema begann und im kommenden Oktober mit einer zehntägigen Hauptveranstaltung enden wird, währenddessen sich die HdK, so der ambitionierte Anspruch der Veranstalter, in Berlins größtes Medienzentrum verwandeln soll.

Das 300jährige Jubiläum von Akademie und Hochschule der Künste in Berlin ist der offizielle Rahmen des Medienprojekts. Grund genug, den Blick nicht zurück sondern nach vorn zu richten - in eine Zukunft, von der wir wissen, daß die Möglichkeiten der digitalen Technologien sie entscheidend prägen werden.

Bereits seit geraumer Zeit verdanken sich die innovativsten Entwicklungen dem grenzüberschreitenden Potential des Digitalen; das gilt für Kunst, Wissenschaft und Technologie nicht anders als für große Bereiche der Unterhaltungsindustrie oder des Marketing. Es ist mithin nur konsequent, daß die Frühjahrstagung der Ars Digitalis die Grenzüberschreitung zum Programm erhoben und neben Medienkünstlern Kreative, Visionäre und Theoretiker aus den verschiedensten Bereichen versammelt hat. Eingeladen war, wer immer dem Untertitel "Telematisches Gestalten im Informationszeitalter" sich subsumieren ließ - und so reichte die Palette von den Technopartydesignern der Mediamorphs über Multimedia-Agenturen wie Pixelpark bis hin zu Medienpolitikern, vertreten durch Brandenburgs Kultusminister Steffen Reiche und Thomas Krüger (MdB), Mitglied der neu eingesetzten Enquete-Kommission zur Informationsgesellschaft.

Den Blick über die Grenzen der Kunst und der Kunsthochschule hinaus zu richten, hieß für die Veranstalter auch, aus der Not eine Tugend zu machen. Denn die HdK Berlin wäre derzeit gar nicht in der Lage, aus eigenen Kräften (sprich: mit eigenen Mitteln) einen solchen Event auf die Beine zu stellen. Die Ars Digitalis ist denn auch kein reines Hochschulprojekt, sondern Ergebnis einer gelungenen Kooperation mit Partnern wie der AOK, Hewlett Packard und der Vebacom - die als Hauptsponsor des Projekts auch die Preisgelder für den parallel im Internet ausgelobten Wettbewerb Der telematische Blick bereitgestellt hat.

Wichtig ist die Kontaktpflege besonders in die Wirtschaft nicht nur aus finanziellen Gründen. Wichtig ist sie zumal deswegen, weil so die Hochschule ihre Verantwortung wahrnehmen und zukünftige Absolventen auf den Übergang in eine Berufspraxis vorbereiten kann, in der Künstler seit einiger Zeit vermehrt neue Berufsfelder besetzen und sich und ihren künstlerischen Fähigkeiten immer neue Anwendungsbereiche eröffnen. Im gesamten Bereich multimedialer Produktionen löst sich die längst schon fließende Grenze zwischen Kunst und Kommerz immer weiter auf; und das ist in der Zone zwischen Marketing und Design, der sich die Ars Digitalis am zweiten Tag unter dem Titel "Digitale Verführer" widmete, nicht anders.

Die durchaus auch im wörtlichen Sinne grenzüberschreitende Kunst des Digitalen - davon zeugten die schönen Reiseprojekte Siberian Deal - a real virtual journey von Kathy Rae Hufmann und Eva Wohlgemut und Arctic Circle - a travel as art and the art of miscommunication von Philip Pocock, Felix Huber u.a. - aber ist vor allem eine der Nivellierung starrer Differenzen innerhalb medialer Zuordnungen.

Es scheint, als wandelte sich unsere Kultur der Schrift zunehmend in eine Kultur der Bilder. Das wirft Fragen auf - wie die nach der spezifischen Struktur der nunmehr digitalen Bilder, die Jeannot Simmen dem ersten Panel der Tagung "Jenseits der Schrift? - Die Zukunft der Bilder" vorangestellt hat. Die Antworten der Teilnehmer waren vielfältig; und sie belegten damit die Komplexität des Phänomens. Unter dem Zwang der "rezeptiven Rastlosigkeit" der Informationsgesellschaft skizzierte Knut Gewers (Mediopolis) in seiner polemischen Kritik an der Kultur der Videoclips bereits die Pixelwelten der Zukunft als Welten inhaltsleerer, ihrer Signifikanz beraubter Bilderräume, in die unsere Blicke wandern, ohne daß in unseren Köpfen etwas hängenbliebe. Diese düstere, aber kaum gänzlich unplausible Perspektive des Betrachters als Rezipient ergänzte Joachim Sauters (Art+Com) Dekonstruktion des Mythos der Interaktivität mit der Präsentation seines "Zersehers" - eines Projekts, in dem der Blick des Betrachters das betrachtete Bild zerstört, indem er es betrachtet.

Daß die schlichte Opposition von Schrift und Bild die Veränderung zumal in gestalterischer Hinsicht nicht zu erfassen vermag, demonstrierte überzeugend die Präsentation der jungen Berliner Grafikagentur moniteurs, die in ihren Arbeiten im traditionellen Printbereich ebenso wie im digitalen Bereich der CD-Rom- und Website-Gestaltung gerade die Schrift als ein eigenständiges Objekt neu entdeckt und damit begonnen haben, auf virtuose Weise mit Schriftzeichen Bilder zu bauen.

Ob die fortschreitende Verwischung der Grenzen von Kunst und Kommerz für die Kunst gut ist, sei hier dahingestellt. (Ich meine: nein. Aber das ist ein anderes Thema.) Für die Künstler zumindest, die weiterhin nichts anders als Kunst machen, hat sich wenig geändert. Ihr Markt ist hart umkämpft und schwer zu betreten. Das ist für jene, die sich der digitalen Medien bedienen und vielleicht sogar innerhalb der Cyberräume der Netzwelten produzieren, nicht anders - vielleicht sogar schlimmer, denn schließlich läßt sich ein Werk, das einzig als elektronisches Online-Format, aber damit in einer allgemein verfügbaren Weise existiert, noch weniger verkaufen als eines, das sich immerhin übers Sofa, und eben nur über ein Sofa hängen läßt.

Dabei steht es außer Frage, daß gerade das Netz nicht nur ein neues Vermarktungsinstrument für Kunst darstellen kann, sondern der künstlerischen Praxis als Medium zur Entwicklung neuer Formen und Inhalte zur Verfügung steht. Daniela Alina Plewes Projekt "Muser's Service" oder "Das Ei im Internet" der niederländischen Künstlergruppe Netband waren zwei auf der Tagung präsentierte Beispiele für eine Netzkunst, die mehr ist als bloße Kunst im Netz. Die Diskussion über diese Differenz - bei der es darum hätte gehen müssen, netzspezifische Kriterien künstlerischer Objekte und Projekte weiterzuentwickeln - blieb leider aus. Sie ging, wie manch andere diskussionswürdige Anstöße der Tagung, in der Fülle der Präsentationen unter. (Sie geht aber natürlich weiter - und wer weiß, vielleicht findet sie im Herbst auf der nächsten Veranstaltung der Ars Digitalis ein angemesseneres Forum.)

Aktuelle Informationen zur Ars Digitalis und dem Wettbewerb Der telematische Blick. Gestaltung und Kommunikation im Cyberspace finden Sie hier.