Body of the Message

Eine Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein zeigt die erste Internet-Skulptur

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Summer in the city: seit vier Jahren öffnet der Neue Berliner Kunstverein (NBK) in der Urlaubssaison seine Räume für Gruppenausstellungen von Nachwuchskünstler aus Berlin. Für die vierte "Ortsbegegung" hat man sich in diesem Jahr als Thema Medienkunst gewählt, und damit ein "Genre", das zur Zeit eine bemerkenswerte Nobilitierung in High-Art-Kreisen erfährt, während in den Kreisen, in denen schon lange mit Medien gearbeitet wird, niemand mehr so recht etwas mit dem Begriff zu tun haben will.

Scanner ++

Keine der drei Arbeiten, die im NBK zu sehen sind, ist Medienkunst im Sinne der High-Tech-Basteleien, die Institutionen wie das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe als Medienkunst zu kanonisieren versuchen. Alle drei Künstler in Body of the message, so der Titel der diesjährigen Ortsbegehung, operieren mit vergleichsweise bescheidenem technischen Aufwand. Ihre Werke sind nicht das Resultat demonstrativen Produzierens mit den sogenannten Neuen Medien, sondern vielmehr Beispiele für ein künstlerisches Arbeiten mit Video, Computer und Internet bei einer Generation von Künstlern, die mit diesen technischen Medien groß geworden sind und einen selbstverständlichen Umgang mit ihnen pflegen.

Dazu gehört zum Beispiel Daniel Pflumm, dessen Arbeiten mit Logos und Corporate Design wohl niemand mit der Silicon-Graphics-Kunst verwechseln würde, die von einer handvoll etablierten Medienkünstlern im Auftrag von Medienkunstinstituten und Medienkunstmuseen betrieben wird. Pflumm arbeitet mit vergleichsweise billigem Video genauso wie mit "traditionelleren" Kunstmaterialien: Seine slicken Leuchtkästen zitieren Produkt-Logos, ohne sie wirklich zu kopieren, und schlagen dabei die Warenwelt mit ihren eigenen Waffen. Seine Digitalvideos entziehen sich im Gegensatz zu dem leuchtenden Warenlogo an der Wand freilich hartnäckig der Musealisierung, auch wenn die Arbeit, die im NBK zu sehen ist (ein Video mit einem Minimal-Techno-Track), im White Cube besser funktioniert als die Video-Loops, die vor kurzem im Hamburger Bahnhof bei der Ausstellung "Ars Viva" gezeigt wurden. Eher blaß wirkt dagegen die Video-/Fotoinstallation "espace" von Sandra Becker.

Bleibt die Arbeit "Scanner ++" von Joachim Blank und Karl Heinz Jeron. Und die ist etwas wirklich Neues. Die beiden ehemaligen Mitglieder des Berliner Internet-Projekts Internationalen Stadt scheinen sich nach dem Scheitern dieser idealistisch gedachten und vom "erweiterten Kunstbegriff" Joseph Beuys' motivierten Virtual Community im Frühjahr diesen Jahres nun ganz der Musealisierung der Netzkunst zu widmen. Im Gegensatz zu der Netzkunst der frühen Jahre ist "Scanner ++" keine Web-Site, sondern eine funktionale Skulptur im Ausstellungsraums, die eine "Verlängerung" in den Cyberspace hat. Die Arbeit existiert nicht in erster Linie online, sondern verbindet den "Meat Space" der Galerie mit dem "raumlosen Raum" des Internets.

Scanner ++

Und das geht so: In einem Podest sind unter einer Glasscheibe zwölf Scanner eingelassen, die nach einem Zufallsprogramm an und aus gehen. Normalerweise nehmen sie dabei das schiere Nichts auf, aber wenn ein Besucher sich selbst oder was immer er bei sich trägt, auf die Glasplatte stellt oder legt, saugt die blinde Mechanik der Scanner auch dies in den virtuellen Raum. Das digitalisierte und entkörperlichte Objekt wird an die Wand projiziert, und ins Internet hochgeladen, wo es für einige Minuten (unter der URL) zu sehen ist, per Mausklick kann man sich im Internet auch die früheren Layers der Scans ansehen.

Leicht farbig verfremdet erinnern die "leeren" Bilder aus den Scannern an die monochromen Bilder der härtesten Vertreter eines abstrakten Minimalismus. Doch dann glimmt in den kahlen Rahmen ab und zu geisterhaft die Dingwelt auf: die Sohle eines Schuhs, ein Rucksack, die Knie eines Kindes - oder sind das die Socken eines Erwachsenen? Wer die Installation nur online sieht, kann in die aufgelösten Bilder seinen eigenen Sinn hineinlesen wie in die Wolken am Sommerhimmel.

Scanner ++

So erinnert "Scanner ++" an die klassische Closed-Circuit-Videoinstallation "Wype Cycle" von Ira Schneider und Frank Gillette, die 1969 bei der ersten Videokunstausstellung "TV as a Creative Medium" in der New Yorker Galerie von Howard Wise zu sehen war. Auf neun Monitoren waren zum Teil Bilder von Besuchern aus der Galerie, zum Teil das Programm amerikanischer Fernsehstationen zu sehen. Indem Schneider und Gillette mit ihrer Installation die Besucher der Ausstellung "ins Fernsehen brachten", setzten sie dem einseitigen Informationsfluß des kommerziellen US-TVs etwas entgegen. Blank & Jeron versetzten die Besucher der NBK nicht ins Massenmedium Fernsehen, sondern in das Many-to-many-Medium Internet, wenn auch nur als blasse Datengespenster.

Die Arbeit von Blank und Jeron ist eine Abkehr von den Tendenzen der Netzkunst der letzten Jahre, die sich eher mit der Gestaltung von Webpages und mit dem Spinnen virtueller Kommunikationsgemeinschaften beschäftigt hatte. "Scanner ++" ist eine der ersten, vielleicht die erste Arbeit überhaupt, die man als genuine Internet-Skulptur bezeichnen kann. Die meisten Arbeiten, die bisher den Versuch unternommen haben, Online-Projekte auszustellen, beschränkten sich auf eine Dramatisierung des Computerstandorts. Antoni Muntadas "The File Room" wurde zum Beispiel bei Ausstellungen in einem Ehrfurcht erweckenden, finsteren Ensemble von Aktenschränken gezeigt, das eigentliche Kunstwerk befand sich aber ganz klar im Internet.

Bei "Scanner ++" ist es den Künstlern hingegen gelungen, die Installation im physischen Raum und die Daten-Skulptur im Internet so zu integrieren, daß das eine ohne das andere nicht funktionieren würde. Diese Entwicklung könnten einige net.art-Puristen der ersten Stunde den beiden Berliner Künstlern durchaus übel nehmen. Schließlich gehörte es zu den faszinierendsten Eigenschaften der Netzkunst, daß sie - da nur aus digitalen Nullen und Einsen bestehenden - sich den Gesetzen des kommerziellen Kunstmarktes bisher weitgehend entzogen hat. Netzkunst konnte man bis dato nicht ausstellen, nicht verkaufen und nicht sammeln; bei "Scanner ++" geht das auf einmal.

Ähnliches war Anfang der 70er Jahre bei der Videokunst zu beobachten. Hatten Künstler beim Aufkommen von Video zunächst vor allem Tapes produziert und dabei die technischen Paradigmen der neuen Aufzeichnungstechnik überprüft, entstanden um 1970 die ersten Videoskulpturen und -installationen, die die neue Gattung der Videokunst tauglich für Galerien und später auch Museen machten. Indem Blank und Jeron die Netzkunst aus dem immateriellen "Cyberspace" des Internets wieder in den realen Raum des Museums zurückholen, bereiten sie einer Re-Auratisierung des jungen Kunstgenres vor.

(4. Juli - 16. August 1998, die Ausstellung wird im Frühjahr 1999 in Dunaujvaros in Ungarn gezeigt)