Netzkunst Haute Couture

Eine Frage des Preises

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Die russische Künstlerin Olia Lialina hat die erste Verkaufsgalerie für Netzkunst aufgemacht. Ein Email- Interview mit der Moskauerin über "Art.Teleportacia".

Wovon leben eigentlich Netzkünstler? Ihre Arbeiten waren bisher unverkäuflich, weil immateriell. Selbst Ausstellungen, die - wie die documenta x - einen eigenen Netzkunstteil hatten, bezahlten lediglich geringe Summen, um die Arbeiten für eine gewisse Zeit auf ihrem Server zu haben. Die Künstler mußten sich mit Vorträgen oder Uni- Verpflichtungen durchschlagen oder als Webdesigner für Multimedia-Agenturen arbeiten.

Die Moskauerin Olia Liana will das nun ändern: sie hat mit "Art.Teleportacia" die erste Galerie eröffnet, bei der man Netzkunst kaufen kann - für 1000 Dollar aufwärts. Mit vier Arbeiten von Heath Bunting, Jodi, Alexei Shulgin und Vuk Cosic eröffnet sie die erste Ausstellung "Mineatures of the heroic period". Die Arbeiten könnten demnächst die Server von Unternehmen, Museen und privaten Sammlern schmücken. In einem Email-Interview erklärte Lialina, was sie mit ihrer Online- Galerie erreichen will.

Du hast vor kurzem mit "Art.Teleportacia" die erste Verkaufsgalerie aufgemacht, bei der man Netzkunstarbeiten für 1000 Dollar aufwärts kaufen kann. Aber warum sollte man für ein Netzkunstwerk etwas bezahlen, das man sich doch jederzeit umsonst im Internet ansehen kann?

Lialina: Nicht jeder, der sich für Netzkunst interessiert, hat die gleichen Gründe und Vorlieben. Dem einen genügt es vielleicht, sich eine Arbeit nur anzusehen, aber andere wollen sie lieber besitzen. Für solche Leute ist die Art.Teleportacia Gallerie gedacht. Außerdem kann der Besitzer den Zugang kontrollieren, wenn er eine Netzkunst- Arbeit gekauft hat. Bei Art.Teleportacia geht es um vollkommen neue Methoden, Kunst zu kaufen oder zu verkaufen. Man kann die Arbeit zum Beispiel an der orginalen Stelle lassen, was beweist, daß es sich dabei um ein Orginal handelt. Oder man kann die Arbeit der Öffentlichkeit vorenthalten.

Aber das Interessante an der Netzkunst ist doch gerade, daß bei ihr die Künstler die Distribution ihrer Arbeiten ganz allein kontrollieren können. In den Interviews, die ich mit Netzkünstlern geführt habe, kommt das immer wieder vor: endlich gibt es eine Methode, um die Kunst ohne den Eingriff von Museen, Gallerien, Sammlern und Kuratoren und so weiter zu verbreiten. Warum willst du diese Freiheit jetzt plötzlich aufgeben?

Lialina: Ich persönlich habe nie gesagt, daß das Internet mir endlich die langerwartete Freiheit von den Institutionen des Kunstbetriebs bringt. Mit dem Kunstbetrieb hatte ich nie etwas zu tun. Ich war keine Künstlerin, bevor ich Netzkünstlerin wurde. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß ich mich von Anfang an mit anderen Dingen beschäftigt habe: die Sprache des Internets, seine Stuktur, seine Metaphern und so weiter. Gleichzeitig ist es mir auch wichtig, daß die Netzkunst sich eine gewisse Freiheit von den Kunstbetriebsinstitutionen bewahrt, weil die sie nur als eine andere Art von Computerkunst betrachten. Aber ich finde nicht, daß es die richtige Art und Weise ist, sich seine Unabhängigkeit zu beweisen, indem man von einem Medienkunstfestival zum nächsten reist. Ich finde es besser, ein unabhängiges System zu entwickeln.

"Meine Freiheit aufzugeben" hieße für mich, dasselbe zu tun wie eine Reihe von Kritikern, Künstlern und anderen Netzaktivisten, die damit Geld und eine Karriere machen, daß sie ununterbrochen erzählen, daß Netzkunst keinen finanziellen Wert hat. Das ist nicht mehr lustig. In einem Artikel nach dem anderen, bei einer Konferenz nach der anderen, wollen die mich davon überzeugen, daß das, was ich tue, nichts kostet. Warum sollte ich ihnen da zustimmen? Davon mal abgesehen: du, ich und jeder andere auch hat immer noch die Möglichkeit, seine Arbeit jenseits des Kunstbetriebs zu verbreiten. Daran wird Art.Teleportacia nichts ändern, das ist auch gar nicht unser Ziel.

Ist Art.Teleportacia nun ein Kunstprojekt, das solche Frange thematisieren soll? Oder ist es eine richtige, ernstgemeinte Einrichtung, die von nun an mit Netzkunst handelt?

Lialina: Für mich ist es eher ein Stück Kritik als ein Kunstprojekt. Es geht eher darum, die Situation der Netzkunst zu untersuchen und zu analysieren, um zu sehen, wie es weitergehen kann. Im Augenblick ist es ein Experiment, das eventuell zu einer dauerhaften Struktur führen könnte.

Und was ist deine Rolle in diesem Zusammenhang? Bist du Kuratorin? Besitzerin? Galleristen?

Lialina: Im Augenblick bin ich eher eine Art Wissenschaftlerin, die einen unbekannten Impfstoff an sich selbst ausprobiert. Vielleicht kann er die Menschheit retten, sonst tötet er nur eine Person. Aber auf jeden Fall ist es ein Schritt nach vorne, eine neue Idee. Ich mache die Galerie auch nicht allein, aber im Interesse des Experiments sind die anderen Teilnehmer geheim.

Bekommst du einen Anteil von dem Verkaufspreis, wenn etwas verkauft wird?

Lialina: Klar, die Hälfte.

In Deutschland gibt es sogenannte "Produzentengalerien" Gibt es so etwas auch in Rußland?

Lialina: Leider nicht...

Hast du bei Art.Teleportacia irgendwelche Vorbilder?

Lialina: Das Beispiel mit den Produzentengalerien gefällt mir, das wäre eine Richtung, in die man arbeiten könnte. Aber die meisten Künstler, die bisher davon gehört haben, haben gesagt, "Warum nicht?" - sonst nichts.

Findest du nicht, daß du durch die Auswahl der Arbeiten in deiner Galerie die Netzkunst auf "Webkunst" beschränkst, die mir schon immer wie die Spielart der Netzkunst vorkam, die man am leichtesten zur Ware machen kann. All die Experimente, die zum Beispiel mit MOOs, MUDs, CuSeeMe und anderen Protokollen durchgeführt wurden, sind aus deiner Galerie ausgeschlossen...

Lialina: Art.Teleportacia ist erst einige Woche alt, und wir machen gerade mal unsere erste Ausstellung. Du ziehst zu früh Rückschlüsse darüber, was ausgeschlossen wird. Das wird man erst nach einiger Zeit sehen. Ich persönlich bin ganz und gar dagegen, Netzkunst auf Webkunst zu beschränken, weil das nur eine von den vielen Applikationen ist, mit denen Netzkünstler arbeiten. Netzkunst kann die verschiedensten Techniken verwenden, und die, die du nennst, sind bei weitem nicht die radikalsten.

Wie sind die Preise festgelegt worden? 1000 Dollar kommen mir sehr teuer vor...

Lialina: Es gibt auch billige Bilder und teure Bilder - bei der Netzkunst ist es dasselbe. Ich persönlich finde, daß 1900 Dollars für readme.html von Heath Bunting nicht zuviel ist.

Wie soll das ganze praktisch funktionieren? Wenn jemand eine Arbeit kauft, um sie auf seine Homepage zu packen, schickt ihr ihm eine Diskette, oder ladet ihr das auf seinen Server?

Lialina: Das weiß ich noch nicht, beides ist möglich.

Woher weiß er, daß er ein "Original" hat, und es nicht noch irgendwo eine andere Versionen auf einem anderen Server gibt?

Lialina: Art.Teleportacia bietet ein eigenes Zertifikat, das bestätigt, daß die Arbeit, die man gekauft hat, ein Orginal ist. Eine einfache Methode zu beweisen, daß es sich um ein Orginal handelt, ist die URL. Die ist ein wichtiges Element des Kunstwerks. Man kann vielleicht den HTML Code und die Bilder von einem einfachen Netzprojekt kopieren, aber die URL kann man nicht klauen.

Das ist das, was wir empfehlen: Die Daten nicht von ihren ursprünglichen Orten zu entfernen, sondern den Zugang zu ihnen zu kontrollieren. Schon wegen des Copyrights ist die orginale URL ein wichtiger Teil des Kunstwerks, aus geschichtlichen Gründen, aber auch, weil es einfach prestigeträchtiger ist. Eine andere Möglichkeit wäre es, wenn Kunde und Künstler sich darauf einigen könnten, die Arbeit auf einen anderen Server zu packen. Diese neue Adresse würde dann bekannt gegeben, und alle anderen Kopien wären Fälschungen und damit illegal. Es würde wahrscheinlich genügen, ein paar Prozesse zu führen, um sowas zu unterbinden. Andererseits könnte man auch statt dem einen Orginal eine Kopie kaufen, das könnte dann sogar billiger sein. Ich sehe eine Menge interessanter Situationen, die sich aus dieser Galerie ergeben könnten.

Du hast auch eine Arbeit von Jodi in deiner ersten Ausstellung. Bei Jodi ist eigentlich die ganze Site ein Gesamtkunstwerk, ohne einzelne "Werke", Kannst du dir vorstellen, daß die einzelne Teile ihrer Site verkaufen wollen?

Lialina: Für Künstler wie Jodi oder Superbad ist es wahrscheinlich wirklich vernünftiger, den ganzen Server zu verkaufen, nicht nur Teile davon. Aber das ist keine Grundsatzfrage, sondern nur eine Frage des Preises. Wenn der ganze Server ein Kunstwerk ist, warum dann nur Teile davon verkaufen? Aber selbst, wenn sie nur eine einzelne Seite verkaufen wollen - why not?

Wie sieht es mit der Technik aus? Wenn eine Arbeit nicht "funktioniert", bekommt man dann technische Hilfe?

Lialina: Das hängt vom Vertrag ab. Ich denke, daß viele deiner Fragen erst beantwortet werden können, wenn die Galerie wirklich läuft. Im Augenblick kann ich nur sagen, was ich selbst vermute und erwarte. Der erste Kunde, seine Wünsche und Vorlieben, wird diese Diskussion erst richtig beleben, und auch zu neuen Kriegen führen.

Olia Lialinas "My boyfriend came back from the war" wird im Telepolis-Netzraum ausgestellt.

Ein älteres Interview mit Olia Lialina von Tilman Baumgärtel.