DEBRA A. SOLOMON

Webkunst oder - the feeling that you are lunch!

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit ihrer eigenen Web-Site auf XS4all.nl und ihrer Beteiligung am Projekt "Ei des Internet" schuf die in Amsterdam lebende Amerikanerin Debra Solomon eigenständige Beiträge zur Definition von Kunst im Netz. Debra Solomon im Gespräch mit Kathy Rae Huffman.

Kathy:Du hast ein WWW-Kunstwerk mit Bildern größer als 1:1 geschaffen, auf einer URL, die vom Benutzer selbst aktiviert werden muß. Gibt es dazu eine Geschichte? Ich frage deshalb, weil Du mich seinerzeit gefragt hast, ob ich die "Monster" gefunden hätte. Ist das ein Cyber-Märchen? Oder ist es Debra, die sich hinter einem schwebenden Vorhang aus Perlenketten verbirgt?

Debra Solomons Web-Site

Debra: Das mit den Monstern war nur ein Scherz. Es ist halt so, daß die Leute manchmal bloß ewig auf die blinkenden Punkte starren und niemals mit der Oberfläche spielen. Erst wenn man darüber fühlt entdeckt man, daß sich hinter all den blinkenden Punkten Links verbergen. Und ja, ich stecke wirklich hinter einigen der Punkte, die diesen Vorhang bilden, aber ich würde nicht so weit gehen, es ein Märchen zu nennen. Es gibt keine absichtlich geplante Allegorie auf dieser Site.

Kathy: Die Oberfläche Deiner Homepage ist wundervoll lebendig und aktiv. Wie ist diese Oberfläche entstanden und mit welchen ästhetischen und technischen Anliegen?

Debra: Das Blinken ist in einer allgemeinen Abscheu vor gewissen Dingen im Netz begründet. Ich finde es interessant, daß viele Leute solche verborgenen Gefühle über Code und seine Repräsentation hegen. Es ist so, als wäre ein Blink ein netzkulturell aufgeladener Schalter. Ich höre Leute oft sagen "Blinks nerven", als eine Art Automatismus. Nichts nervt! Wenn man auf einem IRC-Channel etwas blinken läßt, oder den Text invertiert (weiß auf schwarz) oder alles in Großbuchstaben schreibt, kommen sofort Leute an und bitten dich, damit aufzuhören. Das Blinken auf Web-Seiten wird oft als Tabu verteufelt, vor allem in diesen Mainstream-Anleitungen "wie gestalte ich Web-Seiten". Eine Gruppe von Leuten versucht, ästhetische Standards zu schaffen. "Bilder müssen klein sein" und "Information muß schnell zugänglich sein" und die ganze "mach DAS um DIESES Ergebnis zu erzielen" Mentalität. Obzwar HTML ursprünglich geschaffen wurde, um Text zu repräsentieren, so gibt es doch keinen vernünftigen Grund, warum bestimmte Funktionen nicht "anders genutzt" werden sollten, oder ander gesagt auch "mißbraucht". Künstler und kreative Menschen machen das die ganze Zeit. Außerdem sind "Blinks" und Farben typischerweise unstabile Elemente. Die Seite sieht verschieden aus, je nach Bildschrimgröße, Monitor oder Rechner des jeweiligen Benutzers. Das nenn ich ein Feature! Und sobald man seinen Finger durch den blinkenden Vorhang steckt, gelangt man auf die Rückseite. Zwei der Bilder, die ich eingebaut habe, beziehen sich ganz explizit auf eine Erfahrung, die ich hatte, als ich mir Motion Controll von Granularsynthese ansah. Neue Werkzeuge sind einfach nur neue Werkzeuge. Ich benutzte das bescheuertste Stück Java, weil ich es liebe, Java zu hassen. Im Augenblick sind ja die VRML Leute ganz geschäftig dabei, pseudo-physische Räume im Netz aufzubauen. Ich sehe allerdings überhaupt nicht den Mangel an Physikalität im Netz. Ich würde VRML ganz anders anwenden - und wenn ich Bilder noch besser komprimieren könnte, würde ich noch größere Bilder machen. Theoretisch gesehen hätte ich z.B. die ganze Erdoberfläche gern 1:1 oder eine Stadtoberfläche. Andere Künstler nützen halt die selben Kompressionstechnologien, um Videos zu senden.

Ich bin am Material des Netzes interessiert. Megabytes, Protokolle und Programmcode sind Material für mich. Der Raum, in dem der Betrachter sitzt und der Monitor, durch den er/sie etwas im Netz betrachtet, sind reale Räume. Ich möchte die Betrachter dazu bringen, den Monitor als Aussichtswarte zu begreifen und die riesige Größe der Bilder zu fühlen, oder zumindest zu fühlen, daß die Bilder eine tatsächliche Größe besitzen.

Kathy: Seit kurzem arbeitest Du für das Niederländische Design Institut als Designer. Wie wird diese Arbeit Deine Arbeit als Künstlerin beeinflussen.

Die Web-Site des Netherlands Design Institute

Debra: Ich arbeite noch nicht sehr lang als kommerzielle Designerin, deshalb weiß ich noch nicht, ob ich von dem Geschäft schon genug begriffen hab, um ein neues Licht drauf werfen zu können. Im Augenblick gibt es eigentlich wenig Verbindungen zwischen meiner künstlerischen Arbeit und den Ideen, die ich schlußendlich bei meiner Arbeit für das Niederländische Design Institut benutze. Das hat vor allem mit ihrem Verständnis von Web-Präsenz und -Community zu tun, sowie mit meinem Mangel an Dienstalter. Bis jetzt habe ich sehr viele Aussagen gehört von der Art wie, "ja, du bist eben Künstlerin, das ist eine typische Künstlerentscheidung". Beinahe alles, was ich mache, wird so betrachtet, als wäre es irgendwie extrem. Ein guter Designer kann sich über das Protokoll erheben und das Denken der Leute, die an den Status Quo und an Etabliertheit glauben, verändern.

Ich habe z.B. letzte Woche ein Design für den Designpreis der Europäischen Gemeinschaft fertiggestellt und präsentiert, das, obwohl es als Juwel begann (wenn ich das über meine eigene Arbeit sagen darf), zu einem Nichts zusammengestaucht wurde. Aber trotzdem, gute Designer sind daran gewöhnt, daß ihre Ausgangskonzepte niedergemacht werden, und sie arbeiten trotzdem mit bestimmten Ausgangsideen weiter. Ich werde nicht aufhören, Designfragen mit einer künstlerischen Haltung zu begegnen, in der selben Weise, wie ich mich mit Form-Inhalt Problemen beschäftige. Und das ist hoffentlich auch der Grund, warum man mich ans Institut geholt hat.

Kathy: Die potentiellen Bildqualitäten und neue ästhetische Errungenschaften eröffnen im Prinzip ein unendliches Spielfeld für Künstler im WWW. Es wird ihnen ermöglichen, das Internet in formaler und analytischer Hinsicht komplett neu aufzurollen. Du arbeitest auch an einem Netzprojekt, wo der Schwerpunkt nicht so sehr auf Bildqualitäten liegt, sondern auf dem Leben selbst. Kannst Du Deine Rolle als Mitglied des Netband-Teams im Rahmen des Projekts "Das Ei des Internet" erklären?

Die Web-Site von NETBAND

Debra: Meine Aktivitäten mit Netband konzentrieren sich auf das Leben und die Kultur eines Huhns. Im Moment arbeite ich daran, eine Umwelt- und Kulturbezogene Schnittstelle zu entwerfen, innerhalb der das frischgeschlüpfte Huhn aufwachsen wird. Dieses Huhn wird es nötig haben, andere Dinge zu wissen und zu können als jedes andere Huhn zuvor. Es wird Entscheidungen über seine Umwelt treffen müssen, ob es kommunizieren will oder nicht, ob es eine Identität haben will. Dieses Huhn wird in relativer kultureller Isolation leben, weil es das erste seiner Art ist. Die Menschen, die für das Huhn Sorge tragen, werden ebenfalls die ersten ihrer Art sein.

Ich versuche also eine "Gedankenwelt" zu schaffen, innerhalb der das Huhn während seines Erwachsenwerdens bestimmten Ideen und Konzepten begegnen wird. Das, obwohl ich mir dessen bewußt bin, daß Hühner zwar erstaunlich kluge Tiere sind, daß sie aber nur eine sehr eingeschränkte Wahrnehmung ihres "Selbst" haben. Diese Einschränkung vorausschickend, ist es dennoch mein Ziel, daß dieses Huhn schließlich verstehen soll, daß es ein Huhn ist, daß es mit Menschen kommuniziert über das Internet in einem Telerobotic Environment.

Dieses Huhn wird (ich weiß, ich benutze das Beispiel sehr oft) wie das erste Menschenkind auf einer Marskolonie sein. Klar, es würden Leute da sein, doch das würden alles "Wissenschaftler" mit einem "wissenschaftlichen Wertekonzept" und mit einem bestimmten homogenen Hintergrund sein (so z.B. werden sie alle Bälle werfen, wie es nur Mädchen tun, oder das Wort "baseball" wird überhaupt verboten sein). Diese Leute würden alle wissen, was es heißt, sich einem extremen und möglicherweise sogar gefährlichen Projekt zu widmen. Ihre ureigenen Qualitäten und Eigenschaften erzeugen erst die Umwelt, in die spätere Generationen dann hineingeboren werden. Essentiellerweise würden sie eine Kultur schaffen, aufgeladen mit Werten und Konzepten, ganz gleich welche Entscheidungen sie treffen. Damit nutzt dieses Projekt das Internet wirklich als kulturellen Raum.

Kathy: Was ist Deiner Meinung nach die wichtigste Sache, die Benutzer von Online-Kunst oder Web-Kunst verstehen sollten?

Debra: Leute, die Online-Kunst betrachten, bzw. nutzen, sollten die Tatsache nicht ignorieren, daß diese Kunst in einer Umgebung existiert, die ein ganz besonderes kulturelles Phänomen darstellt. Es gibt Werte und Sensibilitäten, die ganz spezifisch für das Netz sind, Konzepte, die außerhalb der Netzumgebung gar nicht bestehen könnten. Netzkunst funktioniert als netzartige Ausdrucksform und erforscht sehr oft Ideengut, das einzigartig innerhalb der Netzkultur ist und diese in allen Bereichen durchdringt.