Hollyweb

Die Bemühungen von Studios und Startups an der "Digital Coast", Entertainment online zu bringen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Hollywood entwickelt nur langsam einen Draht zu neuen Technologien (siehe Hollywood ist ein lausiges Geschäft). Besonders schwer tun sich die Studios jedoch mit neuen Medien. Schon das Aufkommen des Fernsehens hatte die Filmindustrie in eine tiefe Sinnkrise mit sinkenden Einnahmen gestürzt, und nun ist es das Internet, das bei den Studiomanagern so manche Frage aufwirft.

Als zusätzliche billige Promotionsplattform haben Disney, Sony Pictures, 20th Century Fox und Konsorten das Web zwar seit längerem entdeckt, und kein Blockbusterfilm kommt mehr ohne URL auf die Leinwand. Nach genuinem Webcontent und interaktiven Angeboten sucht man zwischen all den geringfügig oder gar nicht adaptierten TV-Trailern und Starfotos auf den Filmsites allerdings meist vergeblich. Der Marketingmix für die Werbeausgaben spiegelt die Situation treffend wieder.

Von den über 20 Millionen Dollar, die bei einem durschnittlichen Hollywood-Movie die Zuschauer ins Kino locken sollen, geht der Löwenanteil nach wie vor an das Fernsehen, weiß Ira Rubinstein von Columbia Tristar Interactive: "Nur 1 bis 10 Prozent des Werbeetats werden für Online-Marketing angesetzt."

Der Marketingleiter hat die schwierige Aufgabe, aus den "Peanuts" Content zu zaubern. Da Columbia inzwischen zur Sony-Gruppe gehört, kann er zumindest auf die Erfahrung der Mutterfirma im Entwickeln von Videospielen zurückgreifen und die Startseite des Studios mit Gewinnspielen und einer Reihe von Cyberseifenopern in der Soap City zieren.

Bozlo von Warner Bros.

Doch generell läßt der Unterhaltungswert der sich sonst ganz dem großen Entertainment verschriebenen Studios auf den Webangeboten für sich sowie ihre - meist separat beworbenen - Filme deutlich zu wünschen übrig. Bemühungen um eine bessere Ausnutzung der Potentiale des Webs sind zwar erkennbar: "Wir wollen den Surfer die Kosten für die Verbindungsgebühr vergessen machen", plant etwa Robert Gonzales, bei Warner Bros. für den Onlinebereich zuständig.

Natürlich geht es uns in erster Linie darum, unsere existierenden Markenzeichen online weiterzuvermarkten. Wir haben aber die Bedeutung von originalem Webinhalt erkannt.

Robert Gonzales

Erstes Ergebnis des Umdenkens ist Bozlo, das Computermänchen mit dem Clowngesicht, das man - mit der "Bozlo IC Engine" ausgerüstet - auf seinem Lebensweg virtuell begleiten kann. Damit liegt Warner Bros. auf der nach oben offenen Interaktionsskala im Vergleich mit anderen Studiosites bereits gut im Rennen, da man die Geschicke Bozlos in einem begrenzten Rahmen selbst bestimmen kann.

Universal Pictures wartet dagegen nur mit Links auf aktuelle und zukünftige Filme auf, und Paramount lädt neben der obligatorischen virtuellen Studiotour nur zum Online-Shoppen von mit dem Firmenlogo geschmückten Tassen, Baseballmützen, T-Shirts ein.

Content, Context, Community and Commerce

"Die Studios kriegen einfach nicht mit, was man im Web alles machen kann", urteilt Scott Fedewa, Gründer und Geschäftsführer von Spottworks, einer Ende 1996 im Eigenbau in Beverly Hills enstandenen Produktionsfirma.

Mit dem Musicosm will der Jungunternehmer und frühere Investmentbanker seine "Vision von richtigem Online-Entertainment" verwirklichen. Den "Screenagern" - 12- bis 24jährige Musikliebhaber, die den Computer nicht nur als Rechenschieber, sondern auch als Unterhaltungsmedium sehen, sind die Hauptzielgruppe der Website - soll sich bei Betreten des Kosmos' eine virtuelle Welt voller Plattensamples, Star-Interviews, Konzertmitschnitten und Chat-Rooms öffnen, eingebaut in und zusammengehalten durch Geschichten rund um die Produktionsstätten eines fiktives Plattenlabels. Darin begegnet der Musik- und Unterhaltungssuchende einer Reihe von wiederkehrenden Charakteren, etwa der 19-jährigen, websüchtigen Promotionsleiterin Diana Green, der bereits etwas gereifteren und nach dem Chefsessel trachtenden Marketingleiterin Cynthia Tosh oder dem die Finanzen überwachenden Anzugstypen Dick Barney, der nie eine Frau findet. Alle Figuren haben natürlich ihren eigenen Musikgeschmack von "Psychedelic Electronica" über "World Music" bis "Classic Rock", so daß man sich von ihnen zu den die eigenen Vorlieben bedienenden Links und Tips führen lassen kann.

Vieles an der Idee der wechselnden Webepisoden erinnert an einen der ersten Versuche der interaktiven, Werbung und Geschichte mixenden Weberzählung. In The Spot ging es um das Wohl und Wehe einer Wohngemeinschaft von Angehörigen der Generation X in der Strandgemeinde Santa Monica, doch die Pioniere der Produktionsfirma American Cybercast mußten Ende 1997 aus Geldmangel ihre virtuelle WG auflösen. "Die Idee war gut, aber die Story einfach noch nicht interessant genug", kommentiert Fedewa das abrupte Ende der Cybersoap.

Spottworks will das Genre nun auf eine nächste Stufe hieven und vor allem mehr Interaktivität bieten. "Die Zuschauer können eigene Links einbauen, Alben- und Konzertkritiken schreiben, Demo-Kassetten bewerten und auf der ganzen Site verstreute Give-Aways aufstöbern", so der Geschäftsführer, der mit seinem "Content, Context und Community" vereinenden Konzept bereits die Berliner Handelskammer aufmerksam gemacht hat, die gerne eine Filiale von Spottworks in den eigenen Mauern sähe. Bevor allerdings an Expansion zu denken ist, müssen die Finanzen stimmen. Und da setzt Fedewa vor allem auf Werbung, die sich nahtlos in die Starinterviews und Chatrunden einpassen soll. Außerdem hofft er auf Beteiligungen an Merchandising-Projekten mit Plattenfirmen sowie auf E-Commerce, denn die Surfer sollen sich nicht nur informieren, sondern auch kaufen können.

3D-Spielwelten sollen als verlängertes Filmerlebnis dienen

Enger mit den Filmstudios selbst arbeitet Alex Lightman zusammen. "Mein großer Traum ist es, einmal Science-Fiction-Filme mit einem großen Budget zu machen", so der MIT-Absolvent.

Robot von der Lost in Space Website

Da dieser Traum nicht von heute auf morgen zu erfüllen war, hat der bereits auch als unabhängige Filmemacher und Softwareentwickler tätig gewesene 36-jährige Unternehmer als erstes größeres Projekt für Paramount - ganz seinen Interessen entsprechend - ein Onlinespiel und die VRML-Website im Onlinedienst Microsoft Network (MSN) für die Promotion von Star Trek: First Contact entwickelt. Damit hat er sich in der Hollywood-Szene einen Namen als Spieleproduzent gemacht, so daß er nach der Gründung seiner Firma Hollyworlds Anfang Dezember 1996 unter anderem die Webseiten für den im New York des 22. Jahrhunderts spielenden Bruce-Willis-Film Fifth Element oder für das am 4. April in den amerikanischen Kinos anlaufende Weltraumepos Lost in Space mit spielerischen Inhalten anreichern konnte. Und im vergangenen Jahr war es seine Aufgabe, das Wrack der Titanic der Öffentlichkeit virtuell "zugänglich" zu machen.

Lightmans Erfahrungen mit der Studiowelt sind allerdings zwiespältig. "Man bekommt kaum Anerkennung für seine Arbeit, außerdem wird man schlecht und spät bezahlt", berichtete der Jungunternehmer während eines Panels im Rahmen der Internet World in Los Angeles. Schlappe 12.000 Dollar habe etwa das Spiel für Fifth Element eingebracht. Viele Studios machten sich außerdem nicht einmal die Mühe, die Klicks auf ihre Seiten auszuwerten, geschweige denn genaue Zahlen über die Besucher und Spieler herauszurücken.

Zudem befindet sich Hollyworlds in einer Kooperation und Wettbewerb vereinenden Situation der "coopetition" mit den Plänen der Studios zu eigener Contenterstellung. Paramount beispielsweise hat einen internen Ableger, Paramount Digital Entertainment, gegründet, der etwa für die Fortsetzung der Star-Trek-Reihe selbst eine Website auf die Beine gestellt hat. Doch obwohl im ersten vollen Geschäfsjahr 1997 Umsätzen von 377.000 Dollar Verluste in Höhe von 384.000 Dollar gegenüberstanden, blickt Lightman optimistisch in die Zukunft. Durch die im vergangenen Jahr abgeschlossene Entwicklung eines Multiplayer-Servers und einer "Game Engine" hofft er bald in die schwarzen Zahlen zu fahren. Das Prinzip seiner Fabrikationsmethode erklärt der findige Unternehmer folgendermaßen: "Von den für ein Spiel notwendigen 5000 Zeilen Java- und VRML-Code lassen sich 3- bis 4000 wiederverwenden." Die 6 bis 20 nötigen Software-Entwickler würden zudem an ihren eigenen Geräten zuhause arbeiten, so daß die Firmenkosten niedrig gehalten werden könnten.

Kein Kapital für Content - Finanzierungsprobleme in der Startphase

Auch wenn das Geschäft mit dem Entertainment made in Hollywood langsam anläuft, setzen viele der Unternehmensgründer doch ihr eigenes Kapital aufs Spiel. Lightman beispielsweise hat 250.000 Dollar in bar und in Deckungsgarantien in Hollyworlds gesteckt, und David Goldberg mußte für seine auf CD-Rom und im Web publizierte Musikplattform My Launch ebenfalls anfangs Freunde und die Familie um Finanzierungshilfe bitten. "Musik - davor schrecken die Financiers richtig zurück", hat der nach langer Suche Intel und Softbank von seinem Konzept überzeugen könnende Firmengründer gelernt.

1997 haben Venture-Kapitalisten einer Studie von Coopers & Lybrand zufolge zwar die Rekordsumme von 12,2 Milliarden Dollar über amerikanische Firmen mit erfolgversprechenden Ideen ausgeschüttet, Firmen im Content-Business bleiben von diesem Geldregen in der Regel aber ausgespart. Das Geschäft mit den Inhalten (siehe Content is money) ist im Internet besonders schwierig, da Subskriptionsmodelle bisher nur vereinzelt zu finden sind und die Finanzierung über Werbung allein noch zuwenig Geld in die Kassen spült.

Generell brauchen Medienprojekte eine lange Anlaufphase und ein großes Durchhaltevermögen aller Beteiligten, bis sie sich finanziell tragen. Time Warner löste sich beispielsweise nach drei ruinösen Jahren von seinem Musikkanal - und heute ist MTV rund 9 Milliarden Dollar wert.

Doch Geduld gehört nicht zu den Tugenden eines Venture-Kapitalisten: "Content ist heutzutage ein Desaster für Investoren", gibt Steve Jurvetson von Draper, Fisher, Jurvetson offen zu (siehe Howard Rheingolds Erfahrungen mit Electric Minds). Seine Firma sucht nach "Multimilliarden-Dollar-Gelegenheiten" - und das am besten von heute auf morgen. "Mit Inhalten kann man nur wenig anfangen, vor allem, wenn Unternehmen jetzt erst versuchen, eine neue Marke aufzubauen", weiß auch Randy Haykin von Interactive Minds, einer Kapitalgeberfirma, die Startups im Silicon Valley vor allem in einer sehr frühen Phase finanziell unter die Arme greift. Und Barry Weinman bringt die Aversion der Risikogeldgeber auf den Punkt: "Die meisten Venture-Kapitalisten tragen ein großes Schild vor sich her, auf dem 'Content' rot durchgestrichen ist."

Unterhaltungskompetenz als Wettbewerbsvorteil?

Die Konkurrenz im Multimediabereich ist außerdem groß. Los Angeles' Bürgermeister hat jüngst seine Stadt zur "Digital Coast" umbenannt, um den von Coopers & Lybrand ausgemachten 226 im Web nach Geld suchenden Firmen rund um Hollywood bessere Vermarktungsmöglichkeiten im Wettbewerb der content-produzierenden Regionen zu geben.

High-Tech-Unternehmen in LA konnten 1997 insgesamt "nur" 275 Millionen Dollar Risikokapital auf sich ziehen - ein Klacks im Vergleich zu den 3,6 Milliarden, die Firmen im Silicon Valley einer Studie von Price Waterhouse zufolge im selben Jahr zur Verwirklichung ihrer Ideen erhalten haben. Gegenüber dem großen "Technologiepark" im Norden ziehen die Inhaltefabrikanten in Südkalifornien generell den Kürzeren; als echte Konkurrenz sieht man da eher die Bestrebungen San Franciscos an, die im Schatten des Silicon Valleys aufblühende Multimedia-Gulch (siehe auch Wired City) zu kultivieren. Und dann gibt es im "fernen Osten" ja noch New York und seine Silicon Alley, in der auf Online-Communities basierende Webprojekte wie The Thing (siehe auch den Beitrag) oder iVillage sowie Webzines wie Feed um Anerkennung, Kapital, Einnahmen und die Aufmerksamkeit der Netizens kämpfen.

Die Pioniere aus dem palmengesäumten LA-Basin sind sich allerdings sicher, daß die Zukunft ihnen gehört: die Suche nach Unterhaltung wird ihrer Meinung nach immer mehr Leute ins Web treiben, und Entertainment sollte, so Scott Fedewa, nicht "irgendwelchen Programmierern" überlassen werden, sondern "den Profis in Hollywoods."

Auch Alex Lightman sieht einen Markt für die südkalifornischen Startups: "Es gibt rund 14 Millionen Unternehmen in den USA und die meisten von ihnen haben entweder noch keine oder eine langweilige Website. Wir sollten ihre Bestrebungen im Bereich E-Commerce mit ein bißchen Hollywood-Glanz aufpolieren."

Die alte und junge Medienindustrie Hollywoods gibt sich so fest entschlossen, ihre Vorherrschaft im Entertainmentbereich auch auf das Internet auszudehnen. Noch muß sie allerdings erst beweisen, ob sie mit der Globalität und dem interaktiven Anspruch des neuen Mediums wirklich umgehen kann.