Neue wirtschaftliche Spielregeln der Informationsgesellschaft

Die Produktivitätssteigerung durch Maschinen geht ihrem Ende zu

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Solange die Wirtschaft wuchs, weil wir mehr Rohstoffe und Energie verbrauchten, konnten wir uns unter Produktivität etwas vorstellen: Ein Arbeiter an der Stanzmaschine hatte nach einer Stunde soundsoviele Teile gefertigt, und wenn man die Maschine zehn Prozent schneller machte, besaß man am Ende zehn Prozent mehr Teile als bei der vorherigen Produktion.

In der alten Industriegesellschaft arbeiteten nur wenige mit Information. Je teurer es aber wurde, das richtige Wissen im richtigen Augenblick zur Verfügung zu haben und produktiv anzuwenden, um so stärker wurde der Druck, Informationstechnik zu entwickeln. Denn sie verringerte die Kosten dramatisch, Informationen zu übertragen, zu verarbeiten und zu speichern. Mit den effizient geregelten Informationsströmen zwischen Mensch und Maschine - Lohnabrechnung, Textverarbeitung, Fertigungssteuerung - konnten zum Beispiel Autos viel billiger hergestellt und mehr davon verkauft werden.

Jetzt, in der Informationsgesellschaft, wird der größte Teil der Wertschöpfung von Menschen erwirtschaftet, die mit Information umgehen. In einer Welt, die ihr Wissen in weniger als fünf Jahre verdoppelt, wurde es der teuerste Produktionsfaktor, mit Information umzugehen, über die richtigen Informationen im richtigen Augenblick zu verfügen und sie produktiv anzuwenden. Selbst wer reale Güter herstellt, benötigt immer mehr Informationsarbeit - und nur hier entstehen neue Arbeitsplätze. Wettbewerb entscheidet sich jetzt nicht mehr allein über den Preis (Lohnkosten), sondern über Zeit, Qualität, Kundenorientierung - letztlich über den Umgang mit Information.

Das ist eine historische Zäsur. In den 200 Jahren Industrialisierung zuvor war die Wirtschaft gewachsen, weil uns Maschinen produktiver machten. Technisch-materielle Basisinnovationen (wie Dampfmaschinen, Eisenbahn, Elektrizität, billige Erdölenergie/Auto und Computer) stellten in einem jeweils neuen Strukturzyklus unseren Wohlstand und Lebensqualität auf eine höhere Ebene und machten neue Arbeit lohnenswert. Jene Volkswirtschaften, die die dazu passenden Strukturen und Verhaltensweisen am besten umsetzten, waren wirtschaftlich erfolgreich. Asien/Japan stieg in den 70er und 80er Jahren deshalb auf, weil sie Informationstechnik nützten.

Leo A. Nefiodow

Doch dieser Produktivitätsschub wird schwächer, geht zu Ende, sagt Leo A. Nefiodow vom GMD-Forschungszentrum Informationstechnik St. Augustin/Bonn: In den 70er Jahren nahm der Markt für Informationstechnik noch um über 16 Prozent im Jahr zu, und in den 80er Jahren noch um zwölf Prozent, und jetzt, in den 90er Jahren, nur noch durchschnittlich um sieben Prozent.

Am Ende der maschinellen Produktivitätssteigerung

Ein noch schnellerer Computer auf unserem Schreibtisch macht uns aber nicht mehr nennenswert produktiver. So wundert die Krise in Asien nicht, die Nefiodow vor zwei Jahren in seinem Buch ("Der 6. Kondratieff - Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der Information") voraussah: Weil sich die Wachstumsraten der Informationstechnik abschwächen und die Gewinnmargen der Hardware sinken, brechen jene Volkswirtschaften ein (vor allem Japan), deren Wettbewerbsvorteil es zuvor gewesen war, Hardware zu produzieren und zu exportieren, während die restlichen Arbeitsplätze in diesen Volkswirtschaften meist nicht auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren - mit allen jetzigen Konsequenzen auf der Güter- und Geldseite der Wirtschaft.

Wenn nun in der Informationsgesellschaft Maschinen immer weniger zur Wertschöpfung leisten, wie können wir künftig unserer Produktivität steigern? Heute geht es darum, daß Menschen mit Informationen produktiv umgehen - ein geistiger Vorgang, der sich nicht in die Kategorien von Industrie-Stechuhren pressen läßt, sagt Nefiodow. Die entscheidenden Standortfaktoren - Motivation, Kreativität, angstfreie Zusammenarbeit - sind psychosoziale Eigenschaften, etwas Immaterielles in einer zunehmend immateriellen Wirtschaft.

Amerikanische Studien, die Nefiodow zitiert, belegen, daß die Produktivität des Informationssektors seit den 60er Jahren gleichgeblieben ist, obwohl in den USA weltweit über zwei Billionen Dollar an Informationstechnik investiert wurden (Roach, Stephen S.: Pitfalls on the "New" Assembly Line: Can Services Learn from Manufacturing? In: Technology and Productivity: The Challenges for Economic Policy. Hrsg. OECD, Paris 1991a).

Die Produktivitätsfortschritte der Technik werden offensichtlich an anderen Stellen der amerikanischen Gesellschaft zunichte gemacht. Wenn aber Produktivität in der Marktwirtschaft stecken bleibt, kommt es zu Arbeitslosigkeit (Europa), Unterbeschäftigung (Japan) oder Wohlfahrtsverlusten (USA). Die großen Produktivitätsfortschritte der Hardware-Technik haben größere soziale Unruhen bislang verhindert, schreibt Nefiodow. Wenn es uns nicht gelingt, die Produktivität des größten Wirtschaftssektors, des Informationssektors, deutlich zu steigern, dann werden wir nicht genug ausreichend produktive Arbeitsplätze anbieten können, und das zusätzliche Sozialprodukt wird fehlen, das wir brauchen, um Renten, Krankenkassen oder Universitäten zu finanzieren.

Was macht den Informationsarbeiter produktiver?

Das Kernproblem der neuen Wirtschaft lautet daher: Was macht Informationsarbeiter produktiv(er)? Intellektualismus und Fachkompetenz können sogar kontraproduktiv werden, wenn es nicht gelingt, die Ergebnisse der Arbeitsteilung zusammenzuführen. Wirtschaftlicher Wohlstand hängt erstmals von effizienten Informationsflüssen zwischen Menschen und im Menschen ab. Das ist der Grund, warum die Hierarchien der früheren Industriekolosse heute flach wurden.

Doch Informationsströme sind gestört, wo Platzhirsche regieren, Meinungsverschiedenheiten zu Machtkämpfen ausarten, wo Mobbing das Klima bestimmt (Mobbing schädigt die deutsche Wirtschaft um etwa 30 Milliarden Mark, Angst um etwa 100 Milliarden Mark im Jahr). Was die Produktivität der Informationsarbeiter auffrißt, ist nach Nefiodow die mangelnde Kompetenz im Umgang mit anderen Menschen: Arbeiten für den eigenen Status, fehlende Synergien, weil jeder sein Herrschaftswissen für sich behält, weil Ängste und Konkurrenz die seelische Kraft schwächen. Keine noch so verbesserte Hardware kann diesen Verlust langfristig ausgleichen. "Wenn wir uns nur zehn Prozent weniger streiten würden, wäre das schon ein Wirtschaftsaufschwung", sagt Nefiodow.

Denn wo Menschen jetzt mehr und intensiver als früher zusammenarbeiten müssen, werden auch ihre psychischen Schichten berührt, werden "weiche" Faktoren zu Schlüsselqualifikationen: Nicht bis zur Rente zerstritten zu sein, sondern sich versöhnen zu können; sich nicht für den Größten zu halten, sondern sich auch als Chef in das Ganze einzufügen; den anderen zu akzeptieren, auch wenn er nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Dann erst wird es möglich, weltweit mit vorübergehenden Partnern, Kollegen, Zulieferern und Kunden partnerschaftlich, vertrauensvoll und produktiv zusammenzuarbeiten.

Manager lernen heute vor allem, sich durchzusetzen, aber nicht, den anderen zum loyalen Teamgefährten zu machen. Kooperation ist eine eigene Kompetenz, die erst erlernt werden muß - in dem vorhandenen gesellschaftlichen Umfeld, indem die Firmen eingebettet sind. Dem sind sie ausgeliefert: Firmen können ihre Mitarbeiter mit Gehaltszulagen motivieren, mit Statussymbolen den Selbstwert steigern, ihre mentale Ebene auf Weiterbildungen stärken, über Corporate Identity die Gruppeninstinkte ansprechen. Nur das gegenseitige Wohlwollen, mit dem sich Mitarbeiter begegnen, den Kredit, den sie sich geben - das hat mit dem Ethos einer Gesellschaft zu tun.

Seit dem Nestor der Soziologie Max Weber wissen wir, daß das Ethos einer Gesellschaft von seiner Religion geprägt wird. Für das Problem gesellschaftlicher Kooperationsfähigkeit diskutiert Nefiodow die Rolle der Familie und weist auf die Bedeutung des christlichen Glaubens hin, "weil es darum geht, einer übertriebenen Ich-Bezogenheit den Boden zu entziehen und ein echtes Interesse am gleichberechtigten Wohlergehen anderer herbeizuführen". Dies sei auch eine Voraussetzung für seelische Gesundheit und damit für die weichen Faktoren, die wir jetzt dringender benötigen, sagt Nefiodow. Hier endet die Macht der Wirtschaft, hier beginnt die Herausforderung für Politik und Gesellschaft.

Soziale Kompetenz als Produktivitätsfaktor

Produktivität ist damit in der Informationsgesellschaft nicht nur ein betriebliches, sondern zu einem volkswirtschaftlichen Problem geworden. Je mehr sich das gesellschaftliche Klima verschlechtert, Angst, Vereinsamung und Mobbing psychische und psychosomatische Leiden verursachen, je mehr Ressourcen in Kriminalität, Alkohol und Drogen verschwendet werden, die Familie verfällt - desto weniger Ressourcen stehen für die Schaffung von Informationsarbeitsplätzen zur Verfügung, die weltweit aber nur dort entstehen, wo sie produktiv genug sind.

Für Nefiodow sind die wachsende Nachfrage nach Personal- und Managementberatung sowie der hohe Stellenwert, den der sozialen Kompetenz in der Praxis zugemessen wird, Indikatoren dafür, daß die deutsche Privatwirtschaft die neuen Herausforderungen selber in die Hand nimmt. Sie investiert mehr in die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen. Wer die Menschen am besten fachlich und sozial qualifiziert und motiviert, wer die nun entscheidenden weichen Faktoren wie Kreativität, Zusammenarbeit und Einsatzbereitschaft am besten erschließt, der setzt sich am Beginn der Informationsgesellschaft an die Spitze des Strukturwandels in der Arbeitswelt.