Ratten im Netz

Atombombensicher sollte das Internet einst sein - doch schon eine hungrige Ratte kann ganze Städte ins digitale Off befördern

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Sonntag Abend hatte der Autor dieser Zeilen vor dem Schlafengehen noch einige längst überfällige Emails geschrieben und wollte sie verschicken. Doch nichts ging mehr - der Mailserver war tot, ja, der ganze Provider Speedlink war spurlos vom Netz verschwunden. Toll, erst eine Woche zuvor ging schon tagelang nichts, weil die Telekom versehentlich ausgerechnet die für Datenverbindungen benutzte ISDN-Nummer auf den Status "keine abgehenden Anrufe erlaubt" gesetzt hatte. Das hatte zum Blockieren aller ISDN-Datenhardware geführt und damit auch zuerst zum Verdacht eines Blitzschadens durch ein gerade abgezogenes Gewitter.

Doch im Internet gibt es immer mal Störungen und Probleme, also versuchte man es noch eine Stunde - dann war Mitternacht überschritten und die Müdigkeit drängender als das elektronische Mitteilungsbedürfnis. Wird sich schon wer drum kümmern und morgen ist auch noch ein Tag.

Am nächsten Tag ging aber immer noch nichts, und sowohl der Dienst Bewerbung.net wie die ebenfalls bei Speedlink gehostete Site von Akademie.de waren zusammen mit Hunderten anderer bei Speedlink gehosteten Websites und eben dem SMTP-Mailserver ins digitale Nirvana entschwunden. Langsam kam doch Unruhe auf, ob wieder Sabotage im Spiel sein könnte, wie am 25. Februar diesen Jahres. Damals hatte ein ehemaliger Vertragspartner wegen eines Rechnungsdisputs alle Kunden von Speedlink aus dem Netz geworfen, indem er die Einträge des Domain Name Systems manipulierte und Besucher der Webseiten so ins Nichts umleitete. Das Tückische dabei: Obwohl Speedlink die Sabotage trotz Faschingssonntag bemerkte, dauerte es noch mehrere Tage, bis die fehlerhaften Einträge wieder aus dem Netz verschwanden und man auf die Webseiten wieder zugreifen konnte.

Wie sich herausstellte, war der Provider tatsächlich auch dieses Mal Opfer von Sabotage geworden. Es handelte sich sogar um eine ausgesprochene Untergrund-Aktivität. Der Täter konnte allerdings weder gefasst noch juristisch belangt werden, nicht einmal nach den Terrorismus-Gesetzen - es handelte sich nämlich um eine Ratte!

Der Fall konnte wie folgt rekonstruiert werden: In der Berliner Kantstraße war infolge Bauarbeiten seit einigen Tagen ein Breitbandkabel der Telecom-Firma Berlikomm freigelegt. Eine hungrige Ratte hielt den schwarzen Schlauch nun wohl für ein besonders schmackhaftes Abendmahl. Da es sich um einen Glasfaserstrang handelte und so kein Stromschlag oder Kupferdraht den Nager stoppte, knabberte der ihn komplett durch. Damit fiel um 22.20 Uhr am Sonntag Abend eine strategisch wichtige Breitbandverbindung aus, mit ihr gut 30 Berliner Internetprovider und sogar die SDSL-Anbindung von QSC.

Da die Baustelle fast 500 Meter lang war, fand der schon um Mitternacht losgeschickte Suchtrupp die angeknabberte Stelle erst im Morgengrauen um 5 Uhr 30. Die Reparatur war bis zum Abend noch nicht abgeschlossen, Speedlink war immerhin ab Montag Mittag 13.15 wieder online: man hatte die Backup-Strecke aktivieren können. Die hätte den Ausfall zwar eigentlich von vornherein verhindern sollen, doch hatte man den Ernstfall wohl nicht getestet und so eine Fehlfunktion übersehen.

Bagger durchtrennen immer wieder mal Fernmeldekabel und legen damit Telefon und Internet in ganzen Stadteilen lahm. Anker von Fischernetzen hacken wiederum regelmäßig Tiefseekabel vor der Küste Schanghais durch und zerstören damit die ohnehin zensurgeschädigt schwache Internetverbindung zu China. Wie man sieht, ist es aber gar nicht notwendig, zu solch rabiaten Mitteln zu greifen oder gar Rechtsanwälte zu bemühen (Greenpeace contra Markenrecht), um unliebsame Seiten aus dem Netz zu kicken: eine Schaufel und anschließend ein paar Brotkrumen auf die Leitung des ungeliebten Wettbewerbers gestreut reichen auch - die Ratten erledigen dann schon den Rest ...