Politik und Fernsehen: DDR im Himmel und GEZ fürs Internet

Auch mit einheitlichen Standards herrscht im Rundfunk eher Verwirrung denn Vernunft, wenn es darum geht, digitale Medien zu nutzen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Aus Tradition steht die größte ARD-Anstalt, der "Rotfunk" Westdeutscher Rundfunk stets gegen den zweitgrößten, den "Schwarzfunk" Bayerischer Rundfunk. Eine der Folgen: das vom Bayrischen Rundfunk in Deutschland initiierte und in Bayern bereits seit 1995 ausgestrahlte Digitalradio DAB (Digital Audio Broadcast) fiel bei Fritz Pleitgen, Intendant des Westdeutschen Rundfunks und ARD-Vorsitzender, bereits vor der Eröffnung der Internationalen Funkausstellung in Ungnade: "Ich habe in NRW auf die Bremse getreten, die Funkausstellung ist die letzte Chance für das System, wir können es dem Publikum nicht aufzwingen", so Pleitgen, der im Zweifelsfall lieber analog mit UKW weitermachen will.

Damit fiel er seinem Parteigenossen Bundeskanzler Schröder in den Rücken, der in seiner wenige Stunden später gehaltenen Eröffnungsrede den im Norden Deutschlands bisher blockierten Digitalradio-Ausbau forderte. Die Folge des Hickhacks: Industrie und Käufer halten sich mit DAB zurück und vermutlich macht statt der europäischen bald die japanische Industrie mit einer Weiterentwicklung das Rennen, denn digitalisiert werden soll der Rundfunk nach Willen des Bundeskabinetts auf jeden Fall, und zwar bis spätestens 2015.

Ähnliches Hickhack herrscht im Internet: Während der Bayrische Rundfunk längst interessante Web-Inhalte zu bieten hat, wird in Köln nur von Angriffskriegen ("Offensive") und Portalen sowie mittlerweile gar Dachdomains (gemeint ist ard.de) gesprochen und die Rechtsabteilung aktiviert, um vermeintliche Marken- und Imageschäden abzuwenden, die man sich so jedoch gerade erst schafft. Und während der neu gewählte Intendant des Bayrischen Rundfunks Thomas Gruber versucht versucht, die Dinge gerade zu rücken, spricht Fritz Pleitgen weiter vom "Internet als dritter Programmsäule".

Ab dem 28. November will die ARD unter der Adresse www.tagesschau.de ein Nachrichtenportal mit allen Inhalte der einzelnen Landesrundfunkanstalten eröffnen. Ein umfassendes Online-Angebots zum Thema Börsen sowie der Ausbau von Sportschau.de sind gleichfalls als nächste Etappen auf dem Weg ins Internet geplant. In einem Brief an die Ministerpräsidenten der Länder treten der ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen und ZDF-Intendant Dieter Stolte dafür ein, die von den Ländern geplante Neustruktur der Rundfunkgebühr zu verschieben. Diese könnte zu erheblichen Mindereinnahmen führen. Pleitgen und Stolte führen vornehmlich ins Feld, dass Fernsehen und PC langsamer als erwartet konvergieren.

GEZ-Gebühr für Büro-Computer

Doch kann man erst einmal auch mit dem PC am Internet-Anschluss fernsehen, so werden ab 2005 auch hierfür Rundfunkgebühren fällig, wenn das bisherige Moratorium ausläuft. Zwar betont Pleitgen, dass man in Firmen nicht pro Gerät abrechnen werde - also wohl mit einer Gesamtpauschale. Dies kann jedoch schnell Abschaltung von Email- und Webzugriff für die Mehrzahl der Mitarbeiter zur Folge haben, wenn sich so die Gebühr senken oder vermeiden lässt.

Tatsächlich könnten zukünftig auch für nicht UMTS-taugliche PDAs und Handys GEZ-Gebühren fällig werden, denn das ZDF arbeitet mit dem Dienst "ZDF.mobil" daran, auch diese Geräte mit öffentlich-rechtlichen Inhalten zu beglücken. Immerhin per DVB-T (digital ausgestrahltes terrestrisches Fernsehen) und nicht per Internet-Streaming. Dr. Henning Wilkens, Direktor des von der ARD bezahlten Instituts für Rundfunktechnik erinnerte denn auch daran, dass bereits ab einigen hundert Hörern das Streaming, bei dem jeder Hörer oder gar Zuschauer zusätzliche Kosten verursacht, wesentlich teurer kommt als eine normale Funkausstrahlung. Bei echtem Massenzugriff - wie am Tag des Angriffs auf Pentagon und World Trade Center erlebt - brechen die Webserver auch bei reinen Textinhalten komplett zusammen. An Audio oder gar Video braucht man gar nicht erst zu denken.

Sender freies Brandenburg?

Weiteres Unheil dürfte die in 2003 geplante Zusammenlegung von Sender Freies Berlin und dem Ostdeutschen Rundfunk Brandenburg bringen: Damit verlieren nicht nur viele Rundfunkleute ihren Job, sondern auch wieder einmal diverse Homepagebesitzer ihre Domains: aus ORB und SFB soll schließlich ein neuer Sendername gebildet werden, so wie es mit der Fusion von SWF und SDR zum SWR lief. Ein Namensfindungswettbewerb soll entscheiden, ob es nun obr.de, ofb.de oder gar sbb.de sowie die entsprechenden .com, .net und .org -Adressen erwischt. Am wenigsten Ärger würde noch "Sender freies Brandenburg" machen - da könnte man beim eingeführten SFB bleiben, und der ORB hat ohnehin noch keine große Bekanntheit.

Einigkeit herrscht immerhin beim Fernsehen über normale Antennen. Das ist nämlich gerade dabei, auszusterben: nur noch 8% der Fernsehkunden schauen nicht über Kabel oder Satellit, wofür sich das aufwendige Sendernetz nicht mehr lohnt. Mit Digitaltechnik - eben DVB-T - soll es wiederbelebt werden, da dann der Empfang von 20 bis 25 Programmen auch mit Zimmerantennen möglich sein soll. Gegenüber dem Digitalradio DAB und einst auch GSM hat DVB-T immerhin den Vorteil, dass zum Start des ersten Berliner Pilotprojektes auch tatsächlich bereits Empfänger lieferbar sind.

Digitale DDRs im Himmel

Beim Satellitenfernsehen geht mit der Digitalisierung dagegen die gerade erst eingeführte europaweite Versorgung wieder verloren, weil infolge regional begrenzter Senderechte in jedem Land ein anderer Pay-TV-Anbieter verschlüsselte Programme aufsetzt. "In Europa fallen am Boden die Schlagbäume, und im Himmel bauen wir lauter neue digitale DDRs", erhebt Fritz Pleitgen mahnend den Zeigefinger. Abhilfe soll der neue Standard MHP bringen, zu dem sogar die viel verfluchte D-Box der Kirch-Gruppe überlaufen wird. Tatsächlich haben die zumindest äußerlich lange verfeindeten Gruppen Kirch Media und ARD/ZDF längst etliche gemeinsame Projekte. Nur dem Radio kann DVB-T nicht auf die Sprünge helfen: statt sieben Sendern auf einem Kanal wie bei DAB müsse man hier mindestens 40 Anbieter unter einen Hut bringen, um einen DVB-T-Kanal zu füllen.