Die Evolution der Meme

Unser Gehirn wird fortlaufend von "Viren des Geistes" infiziert und verändert, wenn sie vor allem durch das Drücken der Knöpfe Angst, Essen und Sex das kognitive Immunsystem unterlaufen

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Wenn man ein besseres Verständnis des Geistes erreichen und sich vor subtiler Manipulation schützen will, sollte man sich, so schlägt Richard Brodie vor, mit der Memetik beschäftigen und natürlich sein Buch "Virus of the Mind" lesen. Das stellt viele der Aspekte der Memetik populärwissenschaftlich dar und ist gleichzeitig eine Art Rezeptbuch, wie man Meme am besten verstreuen und sich vor ihnen immunisieren kann. Viren des Geistes werden durch Kommunikation übertragen. Je dichter das Kommunikationsnetz ist und je mehr Informationen darin kreisen, desto günstiger wird auch die Umwelt für die Viren. Bietet die Memetik also eine praktische Orientierungshilfe für das Leben in der Informationsgesellschaft, ist sie nur ein neuer Name für das, was man gewöhnlich als Werbung bezeichnet, oder ist sie tatsächlich eine ernstzunehmende wissenschaftliche Hypothese? In der Memetik jedenfalls geht es um das knappe Gut der Aufmerksamkeit, für Richard Brodie ansonsten aber über fast alles. Telepolis veröffentlicht ein Kapitel aus seinem Buch, das den Übergang von den Genen zu den Memen und deren Verhältnis zueinander behandelt.

Die Evolution der Meme

Einer Invasion von Armeen kann man Widerstand leisten, aber keiner Idee, deren Zeit gekommen ist.:Victor Hugo

Als sich unsere Gehirne einmal soweit entwickelt hatten, daß wir Ideen empfangen, speichern, verändern und kommunizieren konnten, entstand plötzlich eine neue Umwelt, die zwei für die Evolution notwendige Eigenschaften besaß: die Fähigkeit zu kopieren und Neues zu schaffen. Unsere Gehirne, die sich durch zunehmende Nützlichkeit auszeichneten, DNA-Wirte (d.h. uns) am Leben zu erhalten und sie zu ernähren, standen plötzlich im Scheinwerferlicht der Evolution.

Die vollkommen neue Innovation des menschlichen Geistes war nicht nur ein anderer Schauplatz der Evolution neben der Zelle, es war ein weitaus besserer Schauplatz, weil die Evolution hier viel schneller stattfindet. Die biologischen Kräfte, die unsere Gehirne bis zu dem Punkt entwickelten, an dem wir einen Geist besaßen, wurden von den neuen memetischen Kräften übertroffen, die eine Million Mal schneller waren und unsere Gedanken, unsere Gesellschaft und unsere Kultur entstehen ließen. Die Evolution der Meme war gesichert.

Ein Mem ist ein Replikator, der das Medium unseres Geistes zur Replikation verwendet. Die Evolution der Meme vollzieht sich, weil unser Geist gut beim Kopieren und beim Schaffen von Neuheit ist - von Ideen, Verhaltensweisen, Melodien, Formen, Strukturen usw.

Das egoistische Gen für den Geist

Wir entwickelten uns genetisch aufgrund eines egoistischen Gens für den Geist oder für irgendeinen Vorläufer des Geistes, der Menschen mit diesem Gen einen Überlebensvorteil bot, bis zu dem Punkt, an dem wir einen Geist besaßen. Mit diesem Vorteil konnten wir überleben und uns vermehren, wobei wir das egoistische Gen für den Geist replizierten.

Die DNA, die bei uns den Geist entstehen läßt, ist natürlich nicht ganz so fit wie die DNA, die Insekten klein, schnell und fest gepanzert macht. Es gibt weitaus mehr Insekten als Menschen, und wir reichen an sie beim Gewinnen der Kämpfe nicht heran, wer wo zu leben vermag. Aber unser Geist ist sicherlich ein Vorteil für uns und deswegen auch für unsere DNA. Daher sind wir hier, denken Tiefes und geben vor, daß wir die Sache in der Hand haben. Lassen wir es dabei.

Aus der Perspektive der DNA gibt es uns natürlich wegen nur eines Grundes: weiter voranzukommen und sich zu vermehren. Aber die DNA erreicht dieses Ziel durch den Prozeß der genetischen Evolution, durch ungefähr einen Schritt alle zwanzig Jahre, was im Vergleich zur halsbrecherischen Geschwindigkeit der memetischen Evolution geradezu erstarrt erscheint, in der eine Idee in der Zeit mutiert, die zum Lesen eines Satzes gebraucht wird.

Weil die memetische Evolution so viel schneller geschieht, hat das meiste von dem, was wir machen, wenig mit der genetischen Evolution zu tun. Ein Genie zu sein, den Fortschritt der Wissenschaft oder der Technik voranzutreiben, Kunst zu schaffen, Theaterstücke zu schreiben, all diese klugen Verwendungen unseres Geistes sind über die Funktionen gelagert, die Menschen mit Gehirnen überleben und sich vermehren lassen.

Ich sage nicht, daß wir von jetzt an völlig die Gene außer acht lassen können. Es gab alarmierende Berichte über das Absinken des allgemeinen Intelligenzgrades, weil kluge Menschen weniger Kinder bekommen . Wenn irgendwelche Gene existieren sollten, die Menschen mit der Tendenz ausstatten, Meme aufzunehmen, die die Zahl ihrer Nachkommen begrenzen, dann werden sie innerhalb weniger Generationen zugunsten konkurrierender Gene aussterben, die Menschen mit der Tendenz ausstatten, Meme für das Kinderkriegen zu erwerben.

Nach dem Hinweis, unseren mentalen Rückspiegel im Auge zu behalten, um den Fortschritt der genetischen Evolution zu überprüfen, widmen wir uns jetzt ganz den Memen.

Das egoistische Mem

Um die Evolution der Meme zu verstehen, ist eine gute Portion abweichendes Denken erforderlich. Es ist beispielsweise nicht sinnvoll, über den Zweck - wie in der Frage "Was war der evolutionäre Vorteil des Geistes?" - zu sprechen, wenn es um die Evolution geht, weil der Zweck von der Perspektive abhängt.

Der Mechanismus der Evolution hat keinen Zweck in sich; es geht nur um den unaufhörlichen Kampf der Replikatoren um den Zugang zu beliebigen verfügbaren Replikationsmechanismen.

Wenn man den DNA-Strang, der den Unterschied zwischen Geist und Nicht-Geist bewirkt, Minerva nennt, dann ist der Zweck des Geistes aus der Perspektive von Minerva die Gewährleistung der Sicherheit und Replikation von Minerva. Aus unserer Perspektive ist der Zweck von Minerva, daß sie uns den Geist gibt. Es ist alles eine Frage der Perspektive.

Anstatt die Evolution der Meme mit unserer Perspektive zu betrachten, wie wir dies normalerweise machen, müssen wir sie aus der Perspektive des Mems so betrachten, als ob die Meme aus egoistischen Interessen handeln und alles machen würden, um sich zu replizieren und zu verbreiten. Das Konzept des "egoistischen Mems" schreibt natürlich dem Mem weder ein Bewußtsein noch eine Motivation zu, sondern es bedeutet einfach, daß unser Verständnis besser wird, wenn wir die Evolution aus der Perspektive des Mems ansehen.

Die Evolution von Ideen, der Kultur und der Gesellschaft dreht sich um das egoistische Gen, ebenso wie die Evolution der Arten sich um das egoistische Gen dreht.

Das ist, um es nochmals zu betonen, nicht die Wahrheit, sondern lediglich ein Modell. Das Leben aus dieser Perspektive zu betrachten, mag schwer verdaulich sein, denn schließlich denken wir gewöhnlich, daß wir brilliante, frei denkende Individuen und nicht Figuren im Spiel der Meme sind. Aber es ist eine Perspektive, die es leichter macht, das Funktionieren der Kultur zu verstehen.

Aus der Perspektive eines Mems

Aus der Perspektive eines Mems existiert unser Geist einzig dazu, Kopien dieses Mems herzustellen. Ich sage nicht, daß ein Mem eine Perspektive hat, sondern nur, daß es diese Perspektive wäre, wenn es eine solche hätte. Das egoistische Mem ist genauso egoistisch wie das egoistische Gen, und der Begriff ist ebenso leer an Bedeutung. Der einzige Grund, aus dieser Perspektive von geistlosen Replikatoren in die Welt zu schauen, ist, daß wir damit eine verwirrende Situation ein gutes Stück klarer erkennen können.

Aus der Perspektive eines Mems existieren nicht nur unser Geist und unser Gehirn aufgrund des egoistischen Zwecks, sondern unsere ganzen Körper, Städte, Länder und vor allem Fernsehgeräte. Es ist wichtig, das zu verstehen. Wenn Fernsehgeräte nicht das Kopieren von Memen (und ein offensichtlicher Kandidat dafür ist das strategische Mem "einen eigenen Fernseher besitzen") unterstützen würden, würden wir keine Fernsehgeräte besitzen! Sie haben sich sicherlich nicht biologisch entwickelt!

Die populärsten und vorherrschenden Bestandteile unserer Kultur sind am erfolgreichsten beim Kopieren von Memen.

Jeder Bestandteil unserer Kultur ist jenseits dessen, was wir in Kulturen von Tieren sehen - aber vielleicht gehört diese auch dazu -, ein Produkt der memetischen Evolution. Die populärsten Ideen sind diejenigen, welche sich am leichtesten verbreiten. Die populärste Kunst ist die mit den fittesten Memen. Das Fernsehen ist für die memetische Evolution wesentlich: Fernsehshows, die nicht Zuschauer wiederholt anziehen oder mittels Mund-zu-Mund-Propaganda empfohlen werden, sterben schnell und werden durch einen endlosen Strom an Mutationen und Variationen ersetzt. Ideen, wie man sein Geschäft betreibt, seine Finanzen in Ordnung hält und sein Leben verbessert, werden nicht deswegen vorherrschend, weil sie für einen am vorteilhaftesten sind, sondern weil sie sich am besten verbreiten. Manchmal ist beides miteinander verbunden, oft aber auch nicht.

Aus welchem Grund verbreitet sich ein Mem gut? Warum ist es ein guter Replikator? Wir besitzen viele Möglichkeiten, Meme zu verbreiten - Sprache, Schrift, Körpersprache, Nachahmung, Fernsehen -, aber warum verbreiten sich manche Meme wie die sprichwörtlichen schlechten Nachrichten schnell, während andere, wie die in unpopulären Fernsehshows, langsam aussterben? Wir können beginnen, eine Antwort auf diese Frage zu finden, wenn wir über den Ursprung der Evolution der Meme nachdenken, als die genetische Evolution noch mehr Einfluß auf die Inhalte unseres Gehirns als die memetische Evolution hatte und als die natürliche Selektion die DNA für kluge Gehirne aus den Alternativen herauspickte.

Der Zweck unseres Gehirns

Der einzige Zweck unseres Gehirns war anfänglich, wie bereits gesagt, unserer DNA beim Kopieren behilflich zu sein. Wir unterstützten sie hauptsächlich dadurch, daß wir überlebten, uns mit anderen Menschen paarten, mit denen wir am meisten dieser DNA gemeinsamen hatten, und so viele Kinder wie möglich zur Reproduktion in die Welt setzten. Der Zweck unseres Gehirns lag ursprünglich in einem oder mehreren der folgenden Ziele:

  1. Unsere Überlebenschancen bis zum Reproduktionsalter und darüber hinaus zu verbessern.
  2. Die Anzahl der Kinder zu erhöhen.
  3. Die Chancen zu erhöhen, uns mit einem guten Geschlechtspartner zu paaren, der am wahrscheinlichsten die meisten Kopien der für das Gehirn verantwortlichen DNA produziert.

Unser Gehirn steigerte, mit anderen Worten, unsere Fähigkeit, die vier grundlegenden animalischen Triebe zu verfolgen: Kämpfen, Fliehen, Fressen und Finden eines Sexualpartners.

Es gab bereits einige Gehirnmechanismen, die vor dem evolutionären Sprung zum bewußten Geist im Dienst dieser Triebe arbeiteten. Diese Mechanismen haben wir mit anderen Tieren gemeinsam: Angst, Senden und Empfangen von verbalen und visuellen Signalen, Gedächtnis, das Bedürfnis, einer Gruppe anzugehören. Alle diese Mechanismen unterstützen die Replikation der DNA.

Unterscheidende , strategische und assoziative Meme, die drei Arten, in die man die Meme aufteilen kann, stammen aus dem frühen Gebrauch des Gehirns zur Unterstützung des Überlebens und der Reproduktion. Sogar Tiere können mit Unterscheidungen - das Gesicht einer Mutter, ein Jäger, eßbare Dinge -, mit Strategien - Wanderwege, Möglichkeiten, Verstecken von Nahrungsmitteln - und Assoziationen - Erinnerungen an angenehme oder gefährliche Erlebnisse und wer Freund oder Feind ist - programmiert werden. Meme bauen auf diesen grundlegenden Gehirnfunktionen auf. Sie sind Teil des "Hardwaredesigns" für die Software, die man Meme nennt.

Die Evolution der Kommunikation

In der Evolution von Tieren hatten jene mit einer überlegenen Fähigkeit, bestimmte Informationen zu kommunizieren, einen Überlebens- und Reproduktionsvorteil gegenüber anderen. Um welche Informationen handelt es sich dabei? Um solche, die mit den vier biologischen Grundsituationen zu tun haben: Information über Gefahren, über Futterplätze, über ihre Bereitschaft, sich zu paaren.

Unser Geist macht es uns viel einfacher, Ideen zu kopieren, weil er strategische, unterscheidende und assoziative Meme besitzt. Man kann die Bedeutung des Kopierens in der Evolution der Kultur und unseres Wissenskorpus nicht überbetonen. Wenn unser Geist nicht die Fähigkeit besäße, Ideen von anderen zu kopieren, würden wir alle auf das Wissen beschränkt sein, das wir für uns in einer einzigen Lebensspanne erwerben können.

Ab einer bestimmten Zeit entwickelte sich unser Geist soweit, daß wir Sprache erwerben konnten. Die Sprache ließ die memetische Explosion explodieren. Sie revolutionierte die Kommunikation, indem sie es ermöglichte, neue Begriffe zu schaffen, neue Unterscheidungen zu prägen, etwas mit etwas anderem zu assoziieren und gemeinsam Strategien zu entwickeln. Niedrigere Tiere sind dazu nicht imstande. Jetzt begann der Kampf um die kontinuierliche Verbesserung der Kommunikation zur Unterstützung des Überlebens und der Reproduktion.

Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten, die Kommunikation zu verbessern: lauter zu sprechen und besser zuzuhören. Wir können sicher davon ausgehen, daß die natürliche Selektion Tiere, die verbal, visuell und anderweitig ihre sexuelle Überlegenheit anpreisen, gegenüber jenen bevorzugt, die scheu auf Herrn oder Frau Richtig warten. Ein wenig schwieriger ist zu erkennen, warum die "egoistische" Selektion eine Neigung bevorzugt, einen Schrei auszustoßen und die anderen dadurch auf eine Gefahr oder eine Futterstelle hinzuweisen. Das ist sinnvoll, wenn wir erkennen, daß das Gen für "Schreien" den Ausrufenden und den Zuhörern gemeinsam ist. Man muß im Kopf behalten, daß die genetische Evolution Gene und nicht Individuen selektiert.

Auf der Seite des Zuhörens wird die natürliche Selektion dahin tendieren, ein Tier, das alles Stehen und Liegen lassen und einer wichtigen Information Aufmerksamkeit schenken kann, einem anderen vorzuziehen, das dazu neigt, diese nicht zu beachten. Aus der Perspektive eines Gens vermittelt eine wichtige Information all das, was die Anzahl der Kopien dieses Gens schützt und erhöht: Gefahr, Fressen und Sex. Wenn die Mama von Bambi ihre Ohren nur einen Augenblick früher aufgerichtet hätte, könnte sie heute noch am Leben sein, um ihre Geschichte zu erzählen, wie sie das Knacken des Zweiges unter dem Schuh des Jägers gerade zur rechten Zeit gehört hatte. Natürlich hatten Hirsche nicht viel Zeit, sich der Erfindung von Schußwaffen anzupassen, aber in einigen Generationen von jetzt an sollten wir nicht überrascht sein, wenn die meisten Hirsche eine Farbwahrnehmung, dicke Hüften und sogar häßliche, ungestaltete Köpfe besitzen, so daß sie niemand mehr als Trophäe will. Im Südwesten der USA sind bereits in einigen Landstrichen die am häufigsten verbreiteten Klapperschlangen still. Sie richten zwar noch ihr Schwanzende auf und schütteln es, aber es entsteht kein Ton mehr. Laut zu klappern, bedeutet, wie es scheint, erschossen zu werden.

Kommunikation entstand, um ganz bestimmte Dinge mitzuteilen: Gefahr, Fressen und Sex. Wir haben daher als Ergebnis der Evolution von Tieren die Neigung, bevorzugt über Gefahr, Fressen und Sex zu sprechen und diesen Themen Aufmerksamkeit zu schenken.

Meme, die Gefahr, Essen und Sex enthalten, verbreiten sich schneller als andere Meme, weil wir so geschaltet sind, ihnen höhere Aufmerksamkeit zu widmen - wir haben Knöpfe für diese Themen.

Der Ursprung der Meme

Welche anfänglichen Meme waren so wichtig für unser Leben und unsere Reproduktion, daß deren Kommunikation die Menschen sich so stark vermehren ließ? Wir können uns folgendes vorstellen:

  1. KRISE. Die schnelle Ausbreitung von Angst rettete vielen das Leben, indem sie Menschen schnell vor Gefahr warnte. Wir können nicht-bewußte Tiere das Krisenmem kommunizieren sehen, wenn z.B. Herden in Panik losstürmen, aber die Kommunikation des unterscheidenden Mems "Krise" hat, zusammen mit bestimmten Details, einen höheren Überlebenswert.
  2. AUFTRAG. Einen Auftrag zu kommunizieren, wie die Bekämpfung eines Feindes, die Errichtung eines Schutzbaus oder das Finden von Nahrungsmitteln, ermöglichte Menschen, in Zeiten von Bedrohung oder Knappheit zu überleben. Gruppen von Menschen, die sich so entwickelten, daß sie gut das Auftragsmem senden und empfangen können, besitzen eine besser angepaßte DNA, als solche, bei denen das nicht der Fall ist, weil sie für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten können.
  3. PROBLEM. Eine Situation, z.B. das Fehlen von Nahrungsmitteln, den Wettbewerb um mögliche Geschlechtspartner etc., als ein Problem zu identifizieren, das es zu lösen gilt, läßt jedes Individuum besser für das Überleben und die Paarung ausgerüstet sein.
  4. GEFAHR. Besonders wertvoll war das Wissen über mögliche Gefahren, auch wenn es sich nicht um unmittelbare Krisen handelt. Zu wissen, wo Jäger ihre Beute suchten oder wo das Wasser vergiftet war, half beim Überleben.
  5. GELEGENHEIT. Ein Angebot, wie in der Vergangenheit ein Nahrungsmittel, eine Beute oder ein Geschlechtspartner, wurde offeriert, und wir müssen schnell handeln, wenn es uns nicht entgehen soll.

All diese Meme sind noch heute sehr stark. Es wäre überraschend, wenn dies nicht so sein würde, da unsere Gehirne sich in der DNA-Evolutionsskala erst kürzlich so entwickelten haben, daß wir Bewußtsein besitzen und daher über die Fähigkeit verfügen, Meme in hohem Ausmaß zu kommunizieren. Es wäre aber eine große Herausforderung, eine Kultur oder eine Subkultur auf der Erde zu finden, die sich nicht mit Krise, Auftrag, Problemen, Gefahr oder Gelegenheit beschäftigt, auch wenn es über deren Wesen nicht leicht zu einer Übereinstimmung kommen würde.

Machen wir einen kurzen Test, um zu überprüfen, ob wir eine übermäßige Bandbreite der Kommunikation mit diesen Themen verbrauchen, die mit unseren alten Freunden Gefahr, Essen und Sex verbunden sind. Man zappe nur durch ein paar Fernsehkanäle oder blättere ein paar Seiten einer Tageszeitung durch. Als ich dies geschrieben habe, war die nationale Bestsellerliste für Belletristik voll von Thrillern und Liebesgeschichten, und auf der Bestsellerliste für Sachbücher befanden sich Bücher über tödliche Krankheiten (Viren!), die Steigerung des Sexuallebens, das Essen besserer Lebensmittel und politische Krisen. Es gab nur ein Buch zur Selbstverbesserung, das einen Hoffnungsschimmer anbot. Menschen lesen wahrscheinlich nur solche Bücher, weil sie Angst vor der Gefahr haben, die sie bedrohen würde, wenn sie diese nicht lesen würden! Ich dachte immer, das Buch "The Doctor's Quick Weight-Loss Diet" müßte sich allein wegen der Meme im Titel millionenfach verkauft haben. Welch eine Gelegenheit, jemanden zu haben, dem man vertraut und der sich dem Problem der eigenen Sex-Appeal-Krise über das Essen zuwendet.

Um die Wirksamkeit der Meme für Krise, Auftrag, Problem, Gefahr und Gelegenheit zu veranschaulichen, lese man die folgenden Ankündigungen, die beide genaue Beschreibungen eines Buch über Meme sind. Die erste Beschreibung enthält diese Meme nicht.

EINFÜHRUNG IN DIE MEMETIK ist eine Zusammenstellung von Ideen der Wissenschaft der Memetik. Jedes Kapitel faßt ein unterschiedliches Thema aus diesem Bereich zusammen. Dazu werden auch Beispiele vorgestellt, wie die Memetik das Leben der Menschen beeinflußt, wie sie geschichtliche Ereignisse verständlich macht und Optionen für die Zukunft eröffnet.

Die zweite hingegen enthält alle fünf Schlüsselmeme:

VIRUS DES GEISTES berichtet von der großen Bedrohung der gefährlichen neuen Technik, die Memetik genannt wird. Was ist sie und wie können wir uns gegen ihre schädlichen Folgen schützen? Unsere einzige Chance ist, daß jeder VIRUS DES GEISTES liest, bevor es zu spät ist!

Eine allgemeine Reaktion wird sein, beim Lesen der ersten Ankündigung halbwegs einzuschlafen und der zweiten eine höhere Aufmerksamkeit zu widmen. Diese Neigung läßt sich kaum steuern: Ihr Gehirn ist so verdrahtet, daß es auf diese Weise reagiert. Sie werden einen gewissen Skeptizismus bemerkt haben, der beim Lesen der zweiten Ankündigung aufkam. Das strategische Mem für Skeptizismus schützt die in Ihrem Kopf befindliche Konstellation von Memen bis zu einem gewissen Grad. Unglücklicherweise wehrt es gleichermaßen fördernde und schädliche Meme ab.

Das Drücken unserer Knöpfe

Jetzt wird es schwieriger. Halten Sie sich daher gut fest. Man denke daran, daß unsere Gehirne nicht zu einem bestimmten Zweck gebaut wurden. Die natürliche Selektion hat sie geschickt zusammengefügt, manches wurde ausprobiert, verstärkt, geschwächt und kombiniert, bis irgend etwas Interessantes geschah, so daß sich die für das Gehirn verantwortlichen Gene besser als andere replizierten.

So entwickelten sich die Gehirne von uns und die der anderen Tiere, um sich der Information, die Gefahr, Essen und Sex enthielt, mit großer Aufmerksamkeit zuzuwenden. Und als dann die Evolution der Meme einsetzte, waren ursprünglich jene erfolgreicher, die unter anderem Gefahr, Essen und Sex beinhalteten. Unter anderem? Ja, weil unsere Gehirne eine natürliche Neigung besitzen, ihre Aufmerksamkeit auch anderen Dingen zuzuwenden. Lachen und Gähnen sind beispielsweise ansteckend. Unsere Gehirne neigen dazu, beide Verhaltensweisen zu replizieren, wenn es sie um sie um herum gibt.

Aber das meiste, auf das unsere Gehirne ihre Aufmerksamkeit richten, entstand zur Unterstützung des Überlebens und der Reproduktion. Komplexität entsteht, weil die genetische Evolution nicht bereits dann aufhört, wenn wir einen Tiger auf uns zuspringen, ein fertiges Nahrungsmittel oder ein mit den Augenwimpern klapperndes Mitglied des anderen Geschlechts sehen können.

Die Evolution macht natürlicherweise Fortschritte, um unterschiedliche kluge, listige und indirekte Weisen zur Vermeidung von Gefahr, zum Finden von Nahrungsmitteln oder zum Umwerben von Geschlechtspartnern zu selektieren.

Ohne Bewußtsein konnten wir auf diese Strategien nicht auf logische oder rationale Weise kommen. Aber wir besaßen Gefühle, Instinkte und Triebe, wie wir sie auch anderen Tieren unterstellen.

Alle Tiere haben vier fundamentale Triebe: Kämpfen, Fliehen, Fressen und Paaren. Über die Aufmerksamkeit auf Gefahr, Essen und Sex hinaus waren unsere Gehirne mit zwei Verhaltensweisen ausgestattet, mit Gefahr umzugehen, und mit jeweils einer in Bezug auf Essen und Sex, ohne daß dies mit bewußtem Denken einhergehen mußte. Diese Triebe ließen die entsprechenden Gehirnareale feuern, die uns, wenn wir nicht bewußt eingreifen, zur Befriedigung des Bedürfnisses antreiben. Auch wenn wir uns bewußt daran hindern, nach dem Impuls zu handeln, können wir ohne weiteres bemerken, wie dies in uns abläuft. Wir haben auch Namen für die unterschiedlichen Gefühle, die mit den Trieben des Kämpfens, Fliehens, Essens und Paarens einhergehen: Wut, Angst, Hunger und Lust.

Diese vier Empfindungen sind in unser Gehirn so direkt eingebaut, daß wir, so zivilisiert wir auch sein mögen, von Zeit zu Zeit merken, wie etwas oder jemand "die Knöpfe drückt", also etwas sagt oder macht, das eines dieser fundamentalen Gefühle in uns auslöst. Diese Beschreibung wird normalerweise mit Wut assoziiert, aber wir haben genau so große Knöpfe für Angst, Hunger und Lust, die sich drücken lassen. Als zivilisierte Menschen wissen wir natürlich, daß wir einem Impuls nicht nachgeben und nicht handeln sollten, wenn unsere Knöpfe gedrückt werden, aber es ist sehr, sehr schwierig, dem nicht Aufmerksamkeit zu schenken, wenn es geschieht. Und wo es Aufmerksamkeit gibt, gibt es Meme.

Die Idee, die Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, spielt eine zentrale Rolle beim Verständnis der Meme. Ein Mem, dem viele Menschen Aufmerksamkeit schenken, wird erfolgreicher sein als eines, das nur wenige bemerken. Nach den für eine große Veränderung in der genetischen Evolution notwendigen Millionen von Jahren sind wir nicht überrascht, daß die meisten Tiere und auch wir eine genetisch bedingte Neigung haben, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wichtig ist, um uns dahin zu bringen, wo wir heute sind: Gefahr, Essen und Sex.

Auf unserer Suche nach Viren des Geistes werden unsere ersten Kandidaten also Situationen sein, die einen oder mehrere dieser vier Knöpfe - Wut, Angst, Hunger und Lust - drücken und unsere Aufmerksamkeit, unsere wertvolle Aufmerksamkeit, auf einen Gebrauch unseres Bewußtseins lenken, für den wir uns mit Überlegung nicht entscheiden würden.

Bewußtsein

Die bessere Kommunikation hatte in der Evolution der Menschen einen riesigen Überlebenswert. Aber die uns zu Menschen machende Innovation ist Bewußtsein. Das ist dieselbe Innovation, die uns zu einer so wunderbaren Umgebung für die memetische Evolution werden läßt. Ursprünglich muß das Bewußtsein demselben Zweck wie alle anderen Gehirnmechanismen gedient haben: unsere DNA dabei zu unterstützen, Kopien von sich durch unser Überleben und unsere Reproduktion herzustellen. Wie konnte Bewußtsein dabei helfen? Es fällt nicht schwer, sich dies vorzustellen. Hier sind einige Ideen:

  1. Bewußtsein ermöglichte eines bessere Kommunikation und Kooperation zum Zweck der Nahrungsbeschaffung und der Selbstverteidigung.
  2. Es ermöglichte eine Planung der Zukunft.
  3. Die Fähigkeit zur Problemlösung ließ es leichter werden, Essen und Geschlechtspartner zu finden.
  4. Eine größere Fähigkeit, die Welt zu verstehen, führte zu einem wachsenden Erfolg in allen Lebensbereichen.
  5. Es ist wichtig, die Prioritäten des Geistes zu verstehen, weil unser Denken von ihnen beeinflußt wird.

Die tiefen Gedanken, die wir denken, und die eleganten intellektuellen Modelle, die wir bilden, sind alle auf diesen fortgeschrittenen Gehirnfunktionen für das Überleben und Paaren aufgebaut, die wiederum auf den primitiven Funktionen des Überlebens und des Paarens aufgebaut sind, auf Wut, Angst, Hunger und Lust.

Knöpfe der zweiten Ordnung

Kam die genetische Evolution mit diesen vier fundamentalen Trieben zu einem Ende? Nein, die Evolution schritt weiter voran. Unsere Gehirne entwickelten zahllose sekundäre Strategien, um uns nicht nur für das Überleben und die Reproduktion fitter zu machen, sondern um auch die primären Notwendigkeiten besser zu befriedigen. Hier sind einige Triebe der zweiten Ordnung, die einige Menschen zu besitzen scheinen und die Meme zu ihrem Vorteil benutzen können:

Verbundenheitsgefühl Menschen sind Herdentiere, d.h. sie lieben Gesellschaft. Es gibt eine Reihe von evolutionären Gründen für die Existenz dieses Triebs. Dazu gehören wachsende Sicherheit durch größere Zahl, größere Märkte und einfach die Gegenwart von mehr Geschlechtspartnern. Meme, die Menschen das Gefühl vermitteln, zu einer Gruppe zu gehören, sind solchen überlegen, die dies nicht tun.

Sich von den anderen Unterscheiden Der Trieb, etwas Neues, Innovatives oder Bedeutungsvolles zu machen, läßt es für ein Individuum wahrscheinlicher werden, Nahrungsmittel oder Schutz zu finden, und hebt es aus der Menge als potentieller Geschlechtspartner heraus. Jedes Mem, das Menschen sich unterschiedlich, besonders oder wichtig fühlen läßt, besitzt einen Vorteil in der memetischen Evolution.

Fürsorge Da Menschen den weitaus überwiegenden Teil ihrer DNA mit allen anderen Menschen gemeinsam haben, ist es sinnvoll, daß wir einen Trieb entwickelt haben, uns um das Wohlergehen anderer zu kümmern. Meme, welche die Fürsorge für andere Menschen stärken, haben einen Vorteil im Kampf um einen Platz in unserem Geist.

Zustimmung Ein Trieb, das zu machen, was andere tun oder was man selbst für gut heißt. Da Tiere und Menschen sich in Gesellschaften entwickelten, war die Erfüllung ihrer Rolle für das Weiterleben ihrer Gene und wahrscheinlich auch der Gene besser, die sie mit den anderen in ihrer Gemeinschaft gemeinsam hatten, als wenn sie die Regeln nicht einhalten würden. Erfolgreiche Meme machen sich am Trieb der Menschen fest, Anerkennung zu finden und Schuld, Scham oder Verletzung zu empfinden, wenn sie diese nicht erhalten.

Gehorsam gegenüber Autoritäten Es lag im genetischen Interesse des einzelnen, d.h. im Interesse seiner DNA, die Autorität eines Mächtigeren oder Klügeren anzuerkennen. Mit dieser Autorität zu marschieren, würde die Überlebens- und Replikationschancen seiner DNA erhöhen, während der Kampf gegen sie zu seinem Tod führen oder ihn allein im Regen stehen lassen könnte.

Diese Triebe der zweiten Ordnung funktionieren auf eine ähnliche Weise wie die primären: Man fühlt sich irgendwie gut, wenn man macht, wozu einen der Trieb auffordert, oder man fühlt sich schlecht, wenn man das nicht macht. Diese Gefühle der zweiten Ordnung sind oft nicht so deutlich wie Wut, Angst, Hunger oder Lust, und wir wissen nicht einmal, ob jeder die gleichen Gefühle bei denselben Trieben hat. Trotzdem wissen Menschen, die den Trieb besitzen, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen oder sich von ihr zu unterscheiden, wovon ich spreche.

Menschen besitzen viele sekundäre Triebe, die mit verschiedenen starken Gefühlen verbunden sind, und Meme, die diese Gefühle aktivieren, haben einen evolutionären Vorteil.

Wir richten einfach eher unsere Aufmerksamkeit auf Meme, die unsere Knöpfe drücken, weil das unsere Natur ist. Unsere Neigung, diesen Memem eine besondere Aufmerksamkeit zu schenken, erhöht ihre Replikationswahrscheinlichkeit, so daß sie eher in unsere Kultur eingebettet werden. Meme, die unsere primären und sekundären Knöpfe drücken, sind evolutionär im Vorteil gegenüber jenen, die dies nicht machen, selbst wenn diese besser zu unserer Lebensqualität passen und diese stärker fördern. Man erinnere sich: Der natürlichen Selektion geht es nicht um Lebensqualität, sondern einzig um die Quantität der Replikation.

Genauso wie sich die DNA repliziert, wenn der von ihm produzierte Organismus überlebt und sich reproduziert, replizieren sich Meme, wenn das von ihnen ausgelöste Verhalten die Aufmerksamkeit anzieht. Unsere Knöpfe zu drücken, ist ein gutes Mittel, unsere Aufmerksamkeit anzuziehen, und daher haben die Meme, die uns ärgern, verführen, aufregen oder ängstigen, eine Tendenz, sich zu verbreiten.

Meme, die fitter sind

Die memetische Evolution geschah schnell und ereignet sich weiterhin in großer Geschwindigkeit. Praktisch von dem Augenblick an, als wir dazu imstande waren, Meme zu kopieren, begannen diese sich zu entwickeln. Sie entwickelten sich weg von den fundamentalen Memen, für deren Verbreitung unsere Gehirne geschaffen wurden, und hin zu Memen, die sich aus irgendeinem Grund besser verbreiteten, die fitter waren. Meme entwickelten sich durch kulturelle "Organismen" in der Umwelt der menschlichen Gesellschaft, ebenso wie die DNA sich durch Organismen in der Umwelt der Erde entwickelte.

Über die uns noch immer begleitenden überlebensorientierten Meme hinaus gibt es noch andere, die unser Überleben nicht besonders gefährden oder stärken, aber deren Wesen gut für ihre wirksame Verbreitung ist. Sie sind einfach deswegen fit, weil sie Variationen der Idee "Verbreite dieses Mem!" sind.

Tradition Ein strategisches Mem, das weiter zu führen, was in der Vergangenheit gemacht oder geglaubt wurde, setzt sich selbst fort. Es macht nichts, ob die Tradition gut oder schlecht, wichtig oder unbedeutend ist. Nehmen wir an, es gibt zwei Clubs für Erwachsene, den Känguruhclub und den Schneckenclub. Der Schneckenclub legt Wert auf Tradition. Man trifft sich am Samstagvormittag, praktiziert ein kleines Ritual, die Salzstreuer vor dem Essen zu leeren usw. Der Känguruhclub legt Wert auf Neuheit und Verschiedenartigkeit. In zwanzig Jahren wird es das Traditionsmem der Schnecken noch immer geben, das das Mem "Treffen am Samstag Morgen" und "Leeren des Salzstreuers" mit sich bringt, während die ursprünglichen Meme der Känguruhs im Namen der Verschiedenartigkeit ausgestorben sein werden. Wenn eine Tradition einmal begonnen hat, setzt sie sich automatisch fort, bis sie von etwas Mächtigerem beendet wird. Menschen, die von Traditionsmemen infiziert sind, sind darauf programmiert, dieses Mem in der Zukunft zu wiederholen und es an künftige Generationen weiterzugeben. Traditionen sterben nur schwar aus.

Bekehrungsdrang Jedes Mem, das in sich seine Ausbreitung auf andere Menschen enthält, besitzt einen zusätzlichen Vorteil gegenüber anderen Memen. Der Bekehrungsdrang ist oft mit dem Auftragsmem verbunden, was ihn noch mächtiger macht. Es ist kein großer Unterschied, ob das, was man verkündet, wahr oder falsch, gut oder schlecht ist. Der Bekehrungsdrang funktioniert so gut, daß er einer der mächtigsten Meme auf der Erde wurde. Der Bekehrungsdrang befiehlt uns: "Verbreite dieses Mem so gut, wie du kannst!"

Es gibt Meme, die sich in den Gehirnen der Menschen einnisten und extrem resistent gegenüber Angriffen sind.

Glaube Jedes Mem, das einen blinden Glauben an es enthält, kann durch keinen Angriff und kein Argument aus einem Glaubenssystem entfernt werden. Verbunden mit dem Bekehrungsdrang, bildet der Glaube einen mächtigen Schutzbehälter für einen Virus des Geistes, der mit jedem Inhalt gefüllt werden kann.

Skeptizismus Neue Ideen in Frage zu stellen, stellt eine Verteidigung gegen neue Meme dar. Skeptizismus, das Gegenteil von Glaube, übt eine ähnliche Wirkung auf den von ihm programmierten Geist aus. Ein Gläubiger und ein Skeptiker können ewig miteinander diskutieren und nichts dabei lernen.

Andere Meme sind wegen ihrer Art der Kommunikation fit. Man stelle sich eine Gruppe von Menschen vor, die "Telefon" spielen. Ein Spieler beginnt damit, in das Ohr des nächsten Spielers einen Satz zu flüstern. Dieser flüstert das, was er gehört hat, wieder in das Ohr des nächsten. Das wird solange fortgesetzt, bis die normalerweise zur Unkenntlichkeit verstümmelte Botschaft wieder zu ihrem Urheber zurückkommt, der über die Veränderung der Botschaft in Lachen ausbricht. Welche Meme überleben diese Tortur?

Vertrautheit Ungewöhnliche Worte und Sätze verwandeln sich schnell in bekannte. Das Vertraute verbreitet sich schneller als das Unvertraute, weil die Menschen bereits unterscheidende Meme für bekannte Dinge besitzen und deswegen diese besser bemerken.

Sinn Meme, die einen Sinn machen, verbreiten sich schneller. Menschen akzeptieren schnell mangelhafte Erklärungen, die einen Sinn ergeben, und ziehen sie genauen Erklärungen vor, die schwieriger zu verstehen sind. Das geschieht jederzeit, wenn bekannte Zitate durch Evolution entstellt werden: Übt Musik einen Bann aus, der das wilde Tier (beast) oder den schreienden Säugling (breast) beruhigt? Shakespeare schrieb letzteres.

Mein Lieblingsbeispiel für die Evolution der Meme durch das universelle Telefonspiel ist Emersons bekannter Spruch aus seinem Essay "Self Reliance": "Eine törichte Folgerichtigkeit (consistency) ist der Kobold eines kleinen Geistes." Dieser Satz wurde so übel zugerichtet, daß er sogar in einem Buch über häufig entstellte Zitate und Sachverhalte falsch zitiert wurde. Emerson führte Beispiele aus, wie man der Wahrheitsfalle entgehen kann. Der Kobold des kleinen Geistes, der Menschen davon abhält, das Beste aus ihrem Leben zu machen, ermöglicht die zufällige Programmierung, die man seit seiner Geburt besitzt, um sein Leben konsistent in sich selbst auszurichten. Wenn man die Memetik versteht, erhält man die Chance, ins Innere der Programme zu blicken, die im eigenen Kopf laufen, und sein Leben selbst, wenn man will, bewußt in der gewünschten Weise umzuprogrammieren.

Natürlich muß man dann auf die Programme schauen, welche die eigene Bewertung steuern, wie man programmiert wurde, auf diejenigen, die steuern, was man sich zu wünschen vorstellt, und schließlich auf jene, welche die Motive zur eigenen Umprogrammierung steuern, und ...! Man wird sich schnell tief im Bereich der Philosophie befinden. Die Wissenschaft der Memetik bringt kein Beurteilungskriterium mit sich, wie man sein Leben leben sollte. Sie gibt einem nur eine große Macht, es so, wie man es wünscht, zu leben. Bewußt.

Die Theorie der Memetik - die memetischen Metameme - hatte es schwer, sich zu verbreiten, obgleich sie bereits vor zwanzig Jahren entwickelt wurde. Durch das Schreiben von VIRUS OF THE MIND will ich so viele fitte Meme wie möglich in das memetische Metamem einschleusen, damit es sich so schnell und weiträumig wie möglich ausbreitet. Macht das keinen Sinn?

Altes Gehirn, neue Welt

Memetik ist nicht die einzige wissenschaftliche Idee, die man kaum kennt. Viele wissenschaftliche Ideen sind für die Menschen schwierig zu verstehen. Wissenschaften, die Memetik eingeschlossen, stellen nur einen Aspekt unserer modernen Kultur dar, für deren Verständnis unsere Gehirne schlecht ausgestattet sind. Doch warum sollten wir erwarten, daß unsere Gehirne gut mit der modernen Kultur zurechtkommen? Würden wir erwarten, daß ein Computer sein eigenes Programm "versteht"? Nein! Er muß das Programm nur laufen lassen, aber es nicht verstehen. Auch unsere Gehirne entwickelten sich nicht, um sich selbst zu verstehen, sondern um bestimmte Aufgaben zu lösen. Menschen müssen hart daran arbeiten, um mit ihren Gehirnen, die nicht für diese Zwecke gebaut wurden, Wissenschaft zu verstehen!

Die "Verdrahtung" in unseren Gehirnen entwickelte sich über Millionen von Jahren. Während dieser Zeit veränderte sich unsere Umwelt nur geringfügig, wie wir aus archäologischen Grabungen wissen. Erst in allerjüngster Vergangenheit auf der Zeitskala der genetischen Evolution begann sich unsere Umwelt so schnell zu verändern, daß alltägliche Routinen sich in einer Lebenszeit erheblich verändern konnten. Um Meme zu verstehen, müssen wir erkennen, daß unser Gehirn, das sich als Überlebenshilfe für eine relativ stabile Welt entwickelte, wesentlich dasselbe geblieben ist, auch wenn wir unsere Welt viele Male seit der Evolution unseres Bewußtseins transformiert haben.

Die memetische Evolution selektiert Ideen, Überzeugungen, Einstellungen und Mythen, denen wir die meiste Aufmerksamkeit widmen und die wir am lautesten mitteilen. Ohne bewußte Einwirkung wird das, was wir am lautesten mitteilen und auf was wir die meiste Aufmerkamkeit richten, von dem komplexen Gebilde aus Gefühlen und Trieben, aus Sehnsüchten und Ängsten bestimmt, das in der Evolution entstanden ist, um uns überleben und paaren zu lassen.

Das Wort "pay" in "pay attention" ist ganz angemessen. Für uns als bewußte Wesen ist Aufmerksamkeit unser wertvollstes Gut. Aufmerksamkeit ist Teil unseres Bewußtseins, ein Stück des menschlichen Lebens. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit auf etwas ausrichten, verbrauchen wir einen Teil unseres bewußten Lebens. Wieviele richten ihre Aufmerksamkeit auf das, was wirklich wichtig für sie ist? Ich beispielsweise hasse die Tatsache, daß meine Aufmerksamkeit von Menschen und Ereignissen angezogen wird, die meine Überlebens- und Reproduktionsknöpfe, die Überbleibsel meiner tierischen Vergangenheit, drücken. Diese Knöpfe lassen mich unbewußt viel meiner Lebenszeit verschwenden.

Das Entscheidende daran ist, daß Gefahr, Essen und Sex zwar die Prioritäten unserer Gene sind, aber daß sie nicht notwendigerweise unsere persönlichen Prioritäten darstellen. Wenn man merkt, daß einem die Aufmerksamkeit von dem, was einem am wichtigsten ist, durch irgendeine Bedrohung, durch die neueste und größte Pizza von Domino oder einem attraktiven Passanten abgezogen wird, dann betreiben die Gene eine Konspiration, um einem den wertvollsten Besitz zu entwenden: das Bewußtsein.

Ideen infizieren. Wir nehmen sie vom Verhalten anderer Menschen, von den Bruchstücken der Kultur um uns herum auf. Das ist großartig, wenn die Ideen, die wir aufnehmen, gut sind und uns bei dem helfen, womit wir uns im Leben beschäftigen. Das Problem ist, daß sich Ideen, wie wir gesehen haben, entsprechend der Fitheit ihrer Meme verbreiten und nicht nach dem Grad ihrer Nützlichkeit für unser Leben oder ihrer Wahrheit.

So schön es sein könnte, sich vorzustellen, daß wir uns auf eine bessere, zivilisiertere und mitfühlendere Welt hin entwickeln, so entwickeln wir uns doch in Wirklichkeit hin auf eine Welt voller Meme und Viren des Geistes, die sich besser replizieren.

Haben Sie sich schon einmal gefragt, warum das Leben manchmal ein solcher Kampf ist? Es gibt die Vorstellung, daß ein ideales Leben bedeuten würde, sich zu entspannen und nur das zu tun, was einem spontan einfällt. Ich hasse es, schlechte Nachrichten zu verkünden, aber das, was sich uns spontan aufdrängt, ist so weit von unserem modernen Leben entfernt, daß es keine Bedeutung besitzt. Wegen der schnellen Evolution von Kultur, Technik und Gesellschaft können wir auch gar nicht mehr sagen, daß das, was sich uns spontan aufdrängt, zur Herstellung möglichst vieler Kopien unserer Gene führt. Was sich uns heute spontan aufdrängt, ist ein schrecklicher Mischmasch zwischen der alten Verdrahtung unserer Gehirne für die vorgeschichtliche Zeit und den völlig verschiedenen Herausforderungen und Möglichkeiten der modernen Welt.

Unser Gehirn ist noch immer so verdrahtet, daß es Situationen Aufmerksamkeit schenkt und für sie Gefühle entwickelt, die für uns in vorgeschichtlichen Zeiten wichtig waren, jedoch einzig in dem Sinn, daß sie unseren Genen dazu halfen, so viele Kopien wie möglich von sich herzustellen. Die Ideen, die sich am leichtesten verbreiten und daher in die Gesellschaft eindringen, sind jene, die leicht in das alte Steinzeitgehirn eindringen können. Die ganze Wissenschaft war ein konzertierter Versuch, diese natürliche Selektion der Steinzeitideen durch unsere Gehirne zu vereiteln und stattdessen Ideen zu selektieren, die nützlich sind, die funktionieren, die genaue Modelle der Wirklichkeit sind. Aber die Wissenschaft geht in diesem Sinne der Rest der Kultur vorher.

Langfristige Perspektiven

Warten Sie einen Augenblick! Meme sind eine evolutionäre Anpassung der Menschen. Bedeutet das nicht, wir können, wie verrückt auch ihre Methoden sein mögen, davon ausgehen, daß die Meme letztlich das Beste für uns tun? Können wir nicht davon ausgehen, daß sie vielleicht dazu beitragen, daß wir uns immer besser an unsere Umwelt anpassen? Langfristig werden wir, was auch immer mit den Memen geschehen wird, auf unseren Füßen landen, weil eine Spezies sich automatisch der Umwelt anpaßt, in der sie sich vorfindet. Ist es nicht so?

Es wäre schön, wenn man das denken könnte, aber so wird es nicht geschehen, es sei denn die Evolution vernichtet die Meme und uns mit ihnen. Meme haben ihren eigenen evolutionären Pfad. Sie entwickeln sich nicht, um die Replikation unserer Gene zu unterstützen. Wenn Sie mir nicht glauben, dann werfen Sie einen Blick auf den Sachverhalt, daß die Kulturen, die wir als die fortgeschrittensten betrachten, die das kleinste Bevölkerungswachstum haben, aber den wirksamsten kulturellen Imperialismus. Sie verbreiten Meme und keine Gene.

Also leistet die memetische Evolution nicht automatisch einen Beitrag zu unserem sexuellen Leben und zu unserer Familiengröße. Aber sie wird doch zumindest unser Überleben stützen, oder? Langfristig? Muß es nicht so sein? Schließlich leben Meme in unserem Geist? Oder etwa nicht?

Nichts da! Weil wir sprechen, findet die Information mehr und mehr Möglichkeiten, um zu überleben und sich zu vermehren. Ideen, die einst ohne Spur vergessen worden wären, sind jetzt sofort durch Systeme zur Rückgewinnung von Information verfügbar. Computer sichern sich selbst automatisch und replizieren alle Informationen. Der Email-Kettenbrief ist ein frühes Beispiel für einen Virus, der sich sowohl in Computern als auch in den Geist der Menschen einnistet.

Wenn die Computer besser werden, werden computerbasierte Replikatoren sich verbreiten: mutierende Replikatoren, die sich nicht nur verbreiten, sondern auch evolutionär entwickeln. Wenn computerbasierte Replikatoren beginnen, geistbasierte Meme als primäre Behälter und Kommunikatoren von Information zu übernehmen, dann werden diese neuen Replikatoren einen größeren Einfluß auf die Gestaltung der Welt als Meme haben, genau so wie die Meme die DNA als Gestalterin der globalen Umwelt überwältigten. Nicht von Menschen stammende Replikatoren werden sich bis zu dem Punkt entwickeln, daß wir im Hintergrund verschwinden und zu bloßen Sternchen im Buch des Universums werden! Und wenn wir beginnen sollten, in Richtung auf diese neuen computerbasierten Replikatoren zu gehen, dann sollten wir daran denken, daß es uns ebenso ergehen könnte, wie den vielen DNA-basierten Replikatoren, die sich uns in den Weg gestellt haben und die jetzt gefährdet sind oder gar ausgelöscht wurden!

Wenn wir überleben, wie steht es dann mit der Lebensqualität? Wird sie besser oder schlechter? Manche mögen intuitiv denken, daß all die konkurrierenden politischen, religiösen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Ideen, wenn wir die Evolution ihren natürlichen Lauf gehen lassen, vielleicht in einem freien Markt eines geistigen Systems verschmelzen und in einen utopischen Zustand, in eine Rückkehr nach Eden oder in der Verwirklichung von Nirwana münden könnten. Das war die Vorstellung hinter dem sozialen Darwinismus, einer populären politischen Philosophie zur Zeit Robber Barons.

Andererseits können wir erkennen, daß die memetische Evolution im Vergleich zur genetischen Evolution der Menschen in Lichtgeschwindigkeit vor sich geht, und daraus schließen, daß die memetische Evolution unsere mentalen Ressourcen mehr und mehr den replizierenden Memen unterwerfen wird. Wir könnten Angst bekommen, daß immer mehr leistungsfähige Viren des Geistes entstehen und uns zu nicht mehr länger mißtrauischen und unglücklichen Wirten machen, deren Leben im Dienst der Meme steht. Unterstellen wir einmal, daß uns solche Viren des Geistes böswillig am Leben und kommunizieren lassen. Aber auch dann haben sie kein Bedürfnis, uns beim Genießen unseres Lebens zu helfen oder uns auch nur vor Schmerzen zu bewahren. Die große Mehrzahl der Menschen würde in stiller Verzweiflung leben.

Wohin führt uns die memetische Evolution? Ins Nirwana? In eine lebendige Hölle? In keine bestimmte Richtung? Können wir irgend etwas machen, um die Evolution zu steuern? Und wenn dies möglich wäre, sollten wir dies? Eine Möglichkeit, diese Fragen zu beantworten, eröffnet der umstrittene neue Bereich der Evolutionspsychologie, also die Untersuchung, wie und warum sich unsere Gehirne so entwickelt haben, wie sie heute sind.

Aus dem Englischen übersetzt von Florian Rötzer

Richard Brodie:www.brodietech.com/rbrodie ist CEO der Brody Technology Group in Seattle, eine High-Tech-Dienstleistungsfirma. Er ist Autor des Buches Virus of the Mind:www.brodietech.com/rbrodie/votm.htm(Integral Press, 1996), eines der ersten Bücher über Memetik, der neuen Wissenschaft von den "Memen", der unsichtbaren, aber sehr realen DNA der menschlichen Gesellschaft. Ausgebildet in Computerwissenschaft, Psychologie und Linguistik hatte er den nötigen Hintergrund, als einer der ersten die Bedeutung dieses neuen Bereiches zu erkennen, in dem Evolutionsbiologie, Kognitionswissenschaft, Psychologie und Politologie zusammengehen. Richard Brodie war technischer Assistent von Bill Gates und ist der Autor von Microsoft Word, dem ersten Computerprogramm, das in die National Software Collection der Smithsonian Institution Eingang gefunden hat. Richard Brodie hatte in Harvard studiert und ist auch Autor des Buches "Getting Past OK" (Warner Books).