Tragbare Fabriken für Medikamente

Der tragbare biomolekulare Produktionsset, das von James Collins und seinem Team am Wyss Institute entwickelt wurde und weder Strom noch Kühlung benötigt. Bild: Wyss Institute at Harvard University

Synthetische Biologen entwickeln ein zellfreies System, das die Herstellung von Arzneimitteln in abgelegenen Regionen ermöglicht

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Gefriergetrocknete Extrakte aus Zellen produzieren komplexe Wirkstoffe, wenn sie durch Zugabe von Wasser aktiviert werden. Vor allem Entwicklungsländer könnten von dieser Methode profitieren.

Medikamente sind in armen Ländern oft Mangelware, besonders in Gegenden, die abseits der Hauptstraßen liegen. Ein Teil des Problems ist das Klima - viele Arzneimittel verlieren bei hohen Temperaturen ihre Wirkung. Sie müssen auch beim Transport ständig gekühlt werden, was aber in vielen Regionen auf große Hürden stößt. Ein möglicher Ausweg: Die Arzneimittel dort erzeugen, wo sie auch gebraucht werden.

Die komplizierten Verfahren der westlichen Pharmaindustrie eignen sich jedoch kaum für den Einsatz in Entwicklungsländern. Synthetische Biologen entwickelten nun eine Alternative: Sie haben die Herstellung mancher Wirkstoffe radikal vereinfacht und alle notwendigen Komponenten in gefriergetrocknete, nur wenige Millimeter große Kugeln verpackt. Selbst unter widrigen Bedingungen können diese auf denkbar einfache Weise aktiviert werden - durch Zugabe von Wasser.

Stoffwechsel ohne Zellen

US-Forscher um James Collins am Massachusetts Institute of Technology nutzten dabei ein Konzept der synthetischen Biologie, das sie selbst maßgeblich vorantreiben: die Übertragung natürlicher Stoffwechselprozesse in zellfreie Systeme. Genetische Schaltkreise etwa, die auf Papierstreifen aufgetragen und dann als Biosensoren eingesetzt werden. Damit gelang es kürzlich, einen Detektor für den Zika-Virus zu entwickeln, der demnächst in Südamerika unter realen Bedingungen getestet werden soll.

Die Forscher gehen nun einen Schritt weiter: Nach der Diagnose von Krankheiten wird deren Therapie angestrebt. Ziel ist die Erzeugung von Medikamenten, die identisch oder zumindest sehr ähnlich mit natürlichen Substanzen sind - sogenannte Biopharmazeutika oder auch Biologicals. Die Pharmaindustrie erzeugt diese Wirkstoffe mit Hilfe lebender Zellen, deren Kultur hochtechnisierte Anlagen erfordert. Aus Kostengründen werden oft nur einzelne Fabriken aufgebaut, die als zentrale Produktionsstätten den weltweiten Bedarf abdecken müssen.

Die Forscher um Collins konnten die lebenden Zellen aus diesem Prozess eliminieren. Sie setzen stattdessen auf gefriergetrocknete Extrakte aus Bakterien, die bereits alle notwendigen Enzyme enthalten. Synthetische DNA-Stränge, die je nach Bedarf erzeugt und zugefügt werden, liefern die Baupläne für die Medikamente. Werden die Extrakte mit Wasser aktiviert, entstehen die gewünschten Substanzen in dem Reaktionsgefäß, ohne dass weitere Eingriffe von außen nötig sind.

Effizient und kostengünstig

Für die ersten Tests wählten die Forscher ein praxisnahes Beispiel - einen Impfstoff für Diphtherie. Obwohl potenziell lebensrettend, ist der Wirkstoff in vielen Regionen kaum einsetzbar, da er beim Transport weder Wärme noch Einfrieren verträgt. Zellextrakte hingegen sind deutlich weniger empfindlich: Sie bleiben auch bei Raumtemperatur stabil und können mindestens ein Jahr gelagert werden.

Die Produktion verläuft erstaunlich effizient, in einem Milliliter Reaktionsvolumen konnten mehr als 30 Impfdosen erzeugt werden. Nach zwei unkomplizierten Reinigungsschritten war der Impfstoff einsatzbereit und erwies sich dabei als höchst wirksam: In Mäusen löste er innerhalb von drei Wochen den Aufbau einer schützenden Immunantwort aus.

Zudem ist das Verfahren kostengünstig. Zwischen 10 und 20 US-Dollar kostet die Herstellung einer Impfdosis, und wenn die Forscher die Herstellung der Zellextrakte selbst übernehmen, sogar nur noch zwei Dollar. Damit liegen die Kosten auf gleicher Höhe - oder sogar deutlich unter - dem Preis der kommerziellen Variante, der in den USA etwa 17 Dollar beträgt. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Kühlkette beim Transport wegfallen, die den Kaufpreis um ein Vielfaches übersteigen können.

Impfstoffe, antimikrobielle Peptide und ein Krebsmedikament

Neben dem Impfstoff für Diphtherie erzeugten die Forscher eine ganze Palette von Biopharmazeutika: Impfstoffe gegen Milzbrand und Botulismus, antimikrobielle Peptide für die Behandlung von Infektionen, sogar ein potenzielles Krebsmedikament war dabei. Zumindest theoretisch sind die Optionen unbegrenzt: Fast jeder Wirkstoff, der in lebenden Zellen hergestellt wird, könnte auch mit gefriergetrockneten Extrakten erzeugt werden.

Noch existiert das Verfahren nur im Labor, und auch im besten Fall ist eine praktische Anwendung noch viele Jahre entfernt. Dennoch deutet die synthetische Biologie hier bereits eine ihrer Stärken an: Sie ermöglicht einfache, flexible und kostengünstige Verfahren, die auch unter schwierigen Bedingungen zuverlässig arbeiten. Angedacht ist daher vor allem ein Einsatz in Gegenden, die keine moderne Infrastruktur aufweisen. Oder auch in den Wirren eines Bürgerkriegs, wenn einzelne Regionen von der Versorgung abgeschnitten sind.

Die Forscher träumen sogar von einem Einsatz im Weltall. Wenn die Synthese von DNA mit mobilen Apparaten möglich wird (die Analyse von DNA feierte bereits ihre Premiere im Weltall), könnten die notwendigen Baupläne per Funk an Raumschiffe gesendet und dort in Medikamente umgesetzt werden. Egal in welchem Teil des Sonnensystems sich die Astronauten gerade befinden, sie hätten immer Zugriff auf die neuesten Entwicklungen der Medizin. Auch dies ist eine Stärke der synthetischen Biologie - um eine bahnbrechende Utopie ist sie nie verlegen.