Wachablösung der Generäle

Ministerpräsident Boiko Borissov trat nach Wahlniederlage zurück: "Ihr habt mich Dikator genannt und Sultan und was noch alles für einen Unsinn.". Bild: F. Stier

Bulgarien bekommt einen General als neuen Präsidenten und verabschiedet seinen gutmütigen Despoten

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"Die Wahl am Sonntag hat unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass die Gesellschaft "promiana" (bulg. Veränderung) will, etwas Neues", sprach Bulgariens Ministerpräsident Boiko Borissov bei seiner Abschiedsrede vor der 43. Bulgarischen Volksversammlung am vergangenen Mittwoch. "Ihr habt mich Dikator genannt und Sultan und was noch alles für einen Unsinn. Die Regierung vergibt das Volk und in dem Moment, da das Volk den leisesten Zweifel an der Regierung hegt, muss diese sofort zurückgegeben werden. Das ist meine tiefe Überzeugung. Das Volk hat am Sonntag gesprochen, sucht eine andere Weise, das Land zu regieren!", begründete er den Rücktritt seines Kabinetts Borissov II.

Seit seiner Wahl zum Bürgermeister Sofias im Oktober 2005 hat General Borissov alle Wahlen gewonnen, die es zu gewinnen galt. Die erste Wahlniederlage seiner politischen Karriere hat er als Liebesentzug durch das bulgarische Volk gewertet und den Dienst quittiert. Stets deklarierte er politische Stabilität als eines seiner höchsten Ziele, nun hat er Bulgarien zum zweiten Mal in eine Staatskrise gestürzt. Es dürfte ein halbes Jahr vergehen, bis das Balkanland zurück auf den Weg politischer Normalität finden kann.

"Sollte Tsetska Tsatscheva verlieren, trete ich mit meinem Kabinett sofort zurück!" Ohne Not verknüpfte Regierungschef Borissov sein politisches Schicksal Anfang Oktober 2016 bei der Präsentation seiner Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen am 6. November 2016 mit dem Ausgang der Wahl.

Als die amtierende Parlamentspräsidentin Tsatscheva in der Stichwahl am 13. November 2016 deutlich dem von der oppositionellen "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP) nominierten Kommandeur der bulgarischen Luftstreitkräfte a. D. General-Major Rumen Radev unterlag, war es dann soweit: "Ich habe mich dem Willen des Volkes stets gebeugt und beglückwünsche diejenigen, die mehr Stimmen erhalten haben als wir", stimmte ein betretener Borissov am Wahlabend im GERB-Stabsquartier vor Journalisten den Schwanengesang an auf seine eigene Ära.

In den 1990er Jahren diente der promovierte Feuerwehrmann Boiko Metodiev Borissov zunächst dem abgesetzten kommunistischen Staats- und Parteichef Todor Schivkovs als Leibwächter, danach Bulgariens aus dem Exil heimgekehrten Ex-Zaren Simeon Sakskoburggotski. Der Ministerpräsident gewordene Sakskoburggotski ernannte ihn 2001 zum Hauptsekretär im Innenministerium. Obwohl Borissov in dieser Funktion kaum greifbare Erfolge in der Bekämpfung von Korruption und Verbrechen aufzuweisen hatte, erwarb er sich mit dem ihm eigenen schlitzohrigen Ganovencharme die Sympathien vieler Bulgaren.

Auf das falsche Pferd gesetzt

"Ich bin prost (bulg. für einfach, simpel), ihr seid prosti, darum verstehen wir uns", sagte er später als Regierungschef beim Bad in der Menge zu Metallarbeitern. Äußerungen wie diese brachten Bulgariens Intellektuelle gegen ihn auf und festigten seinen Rückhalt im Volk. Bate Boiko (Bruder Boiko) wurde in eineinhalb Jahrzehnten zur derart überlebensgroßen Gestalt auf Bulgariens politischer Bühne, dass nur einer ihn zu Fall konnte: Boiko Borissov.

Er könne auch "einen Esel aufstellen, um eine Wahl zu gewinnen", scherzte Borissov einmal. Seine beispiellose Serie von zehn gewonnenen Wahlen schien ihn darin zu bestätigen. In der Zuversicht des sicheren Sieges weigerte er sich den ganzen Sommer über zu verraten, wen er ins Rennen um die Präsidentschaft schicken werde. Meinungsumfragen ergaben im September 2016, dass mehr als die Hälfte der Bulgaren davon ausging, GERB werde die Wahl gewinnen, egal mit welchem Kandidaten.

Je näher die Wahl rückte, desto stärker wurde spekuliert, Borissov selbst könne nach dem höchste Amt im Staate greifen. "Nein, jetzt noch nicht", sträubte er sich, in fünf Jahren werde er sich der Wahl des Staatsoberhaupts stellen. Nun hat Boiko Borissov zwar keinen Esel für die Präsidentenwahl nominiert, mit Tsetska Tsatscheva aber eindeutig aufs falsche Pferd gesetzt. Ob und wenn ja wie der General seine politische Karriere fortsetzen kann, steht damit in den Sternen.

"Wenn Tsatscheva verliert, geht unsere Regierung, denkt daran", hat Borissov in den Tagen vor der Stichwahl das bulgarische Volk vor schrecklichen Folgen seines Rücktritts zu warnen versucht. Immer wieder zählte er die Errungenschaften seiner Regentschaft auf, all die unter seiner Ägide errichteten U- und Autobahnen, die Kläranlagen, Kindergärten und Sporthallen. Mangelnde Unterstützung von Koalitionären und Bündnispartnern sei dagegen verantwortlich für unterbliebene oder unvollendete Reformen im Rechtssystem, dem Gesundheitswesen und bei der Bildung.

Nach Wahlsieger Rumen Radev will das Volk Veränderung. Bild: F. Stier

Sollte er wegen einer verlorenen Präsidentschaftswahl zurücktreten und die Sozialisten an die Macht kommen, werde es mit der europäischen Entwicklung Bulgariens vorbei sein, warnten auch Borissovs Minister, Europa könne Bulgarien den Geldhahn zudrehen.

"Dies ist ein Sieg gegen Apathie und Furcht", konterte der siegreiche General Rumen Radev in seiner Erklärung am Wahlabend Borissovs Drohszenarien. Das bulgarische Volk wolle "promiana" (bulg. Veränderung) und werde diese bekommen, versprach er.

In seinem dreiundfünfzigjährigen Leben hat der Kampfflieger Radev viele Loopings vollzogen, sein letzter hat ihn auf die große Bühne der bulgarischen Politik katapultiert. Am 18. Juni 1963 in der sozialistischen Modellstadt Dimitrovgrad zur Welt gekommen promovierte er nach seinem Studium an der nationalen Fliegerhochschule Georgi Benkovski in Dolna Mitropolia zum kriegswissenschaftlichen Thema "Vollendung der taktischen Vorbereitung für die Fliegerstaffel und Luftkampfsimulation". Ein weiterführendes Studium am Luftwaffencollege der US Air Base Maxwell schloss er im Jahre 2003 mit Auszeichnung ab.