Bestimmt Information das Wesen der Natur?

Eine scheinbar triviale Behauptung führt womöglich zur Herleitung der Quantenphysik aus rein informationstechnischen Prinzipien

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Die Angehörigen der klassischen Welt haben es gut. Hier ist alles klar, Spuk und Fernwirkung gehören ins Reich der Magier und Esoteriker, von jedem Bewohner lassen sich, geeignete Hardware und passende Gesetze vorausgesetzt, mühelos Bewegungsprofile erstellen, die Impuls und Ort gleichzeitig erfassen - jedenfalls hat die hier gültige Physik nichts dagegen einzuwenden. Ähnlich simpel gestaltet sich die Weitergabe von Informationen: Wenn eine Person A eine Menge von n Fakten kennt, sie aber der Person B nur eine Untermenge von m Werten mitteilt (mit m<n), dann entspricht der Informationsgewinn von B genau der mitgeteilten Informationsmenge. Empfänger B erfährt nie mehr, als A ihm mitgeteilt hat. Allgemeiner formuliert, nennt man diese Beziehung Informations-Kausalität, und die besagt im Grunde: B erfährt höchstens so viel, wie A ihm verrät. Selbst die effizientesten Geheimdienste haben noch keinen Weg um diese Grundregel herum gefunden.

In der Quantenwelt jedoch, das wissen Telepolis-Leser längst, ist alles ein bisschen anders, nein, genau genommen ist alles ganz schön anders. Der gesunde Menschenverstand hat dabei vor allem mit zwei Phänomenen zu kämpfen, die miteinander zusammenhängen. Zum Trost: selbst Albert Einstein hatte gewisse Probleme, sich mit der "spukhaften Fernwirkung" anzufreunden. Es geht dabei um das Prinzip der Verschränkung mehrere Bestandteile eines Quantensystems und die sich daraus ergebende Fernwirkung, die Nicht-Lokalität.

Die Verschränkung ist ein Zustand, bei dem die physikalischen Eigenschaften der verschränkten Objekte miteinander korrelieren. Ändert man den einen Gegenstand, ändert sich auch der andere. Dazu müssen sich beide nicht an einem Ort befinden - die Wirkung ist nicht-lokal. Entfernt man zwei verschränkte Objekte voneinander, kann man sogar eine Fern-Manipulation vornehmen. Aber wie soll das, bitteschön, meldet sich der gesunde Menschenverstand, funktionieren, wenn die beiden Objekte nichts voneinander wissen? Denn dass sie voneinander nichts erfahren können, dafür sorgt die Relativitätstheorie mit ihrer endlichen Lichtgeschwindigkeit.

Der Physiker fragt lieber, wie er die aus dem Quantenreich bekannten Tatsachen mit seinen hübschen anderen Theorien unter einen Hut bekommt - namentlich mit der klassischen Physik und der Relativitätstheorie. Den Übergang zur klassischen Physik erreicht man, indem man einen Informationsaustausch annimmt. Das verschränkte Objekt muss irgendwie erfahren, dass sein Zwilling im Geiste gerade gemessen wurde. Ha, also ein Widerspruch zur Relativitätstheorie? Nein, der Austausch darf nur nicht auf Kommunikation beruhen, denn solche, die schneller als mit Lichtgeschwindigkeit abläuft, ist nun einmal ausgeschlossen. Informationsaustausch ohne Kommunikation - das klingt zwar widersinnig, ist aber gerade charakteristisch für die Quantenphysik.

Informations-Kausalität wird eingehalten

Und wie steht es hier um das Prinzip der Informations-Kausalität? So verwirrend die Quantenwelt sich sonst verhält, hier ist sie brav, wie ein internationales Forscherteam zunächst via Archive.org und nun im renommierten Fachmagazin Nature schreibt. Die Quantenphysik hält die Informations-Kausalität ein. Sie ist allerdings nicht die einzige mögliche Theorie, die die Wechselwirkungen im Kleinsten beschreibt.

Theoretisch denkbar wären noch weit gewagtere Theorien, die mit deutlich stärkeren Korrelationen arbeiten als die Quantenphysik. Woher weiß man nun, welche dieser Theorien die Wirklichkeit widerspiegeln? Indem man sie auf Informations-Kausalität testet, meinen die Forscher in ihrem Artikel. Tatsächlich zeigt sich, dass unsere geliebte Quantenphysik die Theorie mit den stärkstmöglichen Korrelationen ist, die trotzdem noch die Informations-Kausalität einhält.

Informationelle Ursuppe?

Für die Wissenschaft ergeben sich daraus gleich drei spannende Perspektiven. Zum einen eröffnet diese Betrachtungsweise womöglich den Weg dahin, die Quantentheorie aus grundlegenden Eigenschaften der Natur abzuleiten. Die Herleitung einer Theorie aus den Grundprinzipien, das ist quasi der Heilige Gral jeder Wissenschaft. Zum anderen könnte Informations-Kausalität auch das passende Werkzeug dafür sein, physikalische und nicht-physikalische Theorien auseinanderzuhalten. Oder, populär gesprochen: die sinnvollen von den sinnlosen Theorien zu trennen. Noch gewagter ist aber die letzte mögliche Schlussfolgerung: Bestimmen gar nicht die Gesetze der Physik den grundlegenden Lauf der Natur, sondern lassen sich diese aus einer Art informationellen Ursuppe ableiten, aus informationstheoretischen Grundlagen, die das Wesen des Universums ausmachen?

Die Antwort auf diese Fragen wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Die Nature-Autoren konnten zum Beispiel das Prinzip der Informations-Kausalität bisher nur auf eine bestimmte Reihe von Theorien anwenden, nämlich all diejenigen, die die so genannte Tsirelson-Grenze verletzen. Diese setzt den möglichen quantenmechanischen Korrelationen ein oberes Limit. Ob jedoch auch hypothetische Korrelationen, die dieser Grenze genügen, zum Prinzip der Informations-Kausalität stehen, ist bisher noch offen - der Informations-Kausalität ist also ihr Status als ein Grundprinzip der Natur noch nicht sicher.