Wissenschaftsjournale: Boykott, Verhandlungen und Vorwurf des Missbrauchs der Marktmacht

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Wissenschaftler und Bibliotheken ringen mit Elsevier - eine endlose Geschichte

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Der Wissenschaftsverlag Elsevier wird seit Jahren wegen seiner Geschäftspolitik scharf kritisiert: Aktuell stehen in Deutschland und Finnland landesweite Lizenz-Verhandlungen vor dem Aus, in Großbritannien droht ihm Ungemach wegen Missbrauchs seiner Marktmacht.

Elsevier gilt als umstritten: Das Verlagshaus erwirtschaftet regelmäßig Gewinne von zwischen 30 % und 40 %, im Jahr 2015 belief sich der Profit auf 36,71 % bzw. 760 Millionen britische Pfund, solche Margen jedoch können nur durch die Verfolgung einer äußerst aggressiven Preispolitik erreicht werden.

Eben dieses Geschäftsgebaren veranlasste 2012 die Mathematiker Timothy Gowers, 1998 Gewinner der Fields-Medaille, des Nobelpreis-Pendants in der Mathematik, und Tyler Neylon einen Boykott Elseviers auszurufen: Wer sich auf der Website The Cost of Knowledge der Initiative anschloss, bekannte sich dazu, für Journale des Verlags keine Artikel einzureichen, noch zu begutachten oder als Herausgeber für Elsevier-Zeitschriften tätig zu sein.

Der Aufruf fand zwar bis heute mehr als 16.000 Unterzeichner und auch großes mediales Echo, beeinflusste die Geschäftspraxis des Verlags jedoch wenig, anders lässt es sich kaum erklären, dass sich deutsche Wissenschaftseinrichtungen im Projekt DEAL koordinierten, um Elsevier zu einem Einlenken in der Bepreisung seiner Publikationen zu bewegen.

DEAL wurde von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen initiiert, federführend ist jedoch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Ziel ist es, nationale Lizenzverträge für das gesamte Programm elektronischer Zeitschriften wissenschaftlicher Großverlage, namentlich Elsevier, Springer Nature und Wiley, abzuschließen. Um die Verhandlungsmacht der Wissenschaftseinrichtungen und Hochschulen beziehungsweise derer Bibliotheken zu stärken, schloss man sich zusammen und erwartete sich Einsparungen bei der Lizenzierung wissenschaftlicher Journale.

Umsatzrendite von 40 Prozent

Die Preise dieser Journale steigern sich jährlich um cirka 5 bis 7 %, was zu Finanzierungslücken in der wissenschaftlichen Literaturversorgung führt, die so eklatant sind, dass sich ein eigner Begriff für sie etabliert hat: die Serials Crisis. Als Pilotpartner für diese Verhandlungen einigte man sich auf Elsevier und gab als Ziel aus, "eine signifikante Änderung gegenüber dem gegenwärtigen Status Quo bei der Verhandlung, den Inhalten und der Preisgestaltung" erreichen zu wollen. Insbesondere versprach man sich von den Vereinbarungen finanzielle Entlastung und die Berücksichtigung einer Open-Access-Komponente, die es Wissenschaftlern erleichtern sollte, Publikationen in Elsevier-Journalen der Öffentlichkeit im offenen Zugriff bereitzustellen.

Am Freitag letzter Woche veröffentlichte die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen nun eine Pressemitteilung, die ahnen lässt, dass Elsevier, wenn es um Geld geht, nicht mit sich spaßen lässt. Die Allianz kritisiert das Vertragsangebot des Verlages wie folgt: Es "entspricht nach Überzeugung der Allianz nicht den Prinzipien von Open Access und einer fairen Preisgestaltung. Trotz der derzeit bei 40 Prozent liegenden Umsatzrendite setzt der Verlag weiter auf Preissteigerungen jenseits der bislang bezahlten Lizenzsummen. Der Verlag lehnt transparentere Geschäftsmodelle ab, die auf der Publikationsleistung basieren und Publikationen offener zugänglich machen würden." Weiterhin, so die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, lehne man das Angebot Elseviers ab und fordere den Verlag auf, einen neuen Vorschlag vorzulegen.

Zahlreiche Bibliotheken wie etwa die Staatsbibliothek zu Berlin kündigten in der Vergangenheit, sofern möglich, eigene Verträge mit Elsevier, um so dem konsortialen Vorgehen mehr Nachdruck zu verleihen, und haben nun die Wahl, entweder auf Bewegung in den DEAL-Verhandlungen zu setzen oder selbst wieder eigene Vereinbarungen mit Elsevier einzugehen. Zwischenzeitlich entstehende Versorgungslücken müssen wohl oder übel durch Fernleihen oder andere Dokumentlieferdienste gestopft werden.

Wie hart das Verhandeln mit wissenschaftlichen Großverlagen ist, weiß man auch in Finnland, dessen Hochschul- und Wissenschaftswesen 2015 satte 27 Millionen Euro für den Bezug wissenschaftlicher Journale zahlte. Folglich versuchte man auch in Finnland große Wissenschaftsverlage zum Abschluss landesweiter Konsortien unter Nutzung von Open-Access-Optionen zu bewegen.

Das Resultat gleicht dem des DEAL-Projekts: Bis zum Erreichen der Verhandlungsdeadline am 31.12.2016, nach deren Ende die Literaturversorgung mit den Publikationen der Verlage endet, scheint eine Einigung derzeit höchst unwahrscheinlich. Um die Verlage unter Druck zu setzen, versucht man - vergleichbar dem erwähnten Elsevierboykott -, Wissenschaftler davon zu überzeugen, für Journale, deren Verlage sich nicht mit dem verhandlungsführenden FinElib Consortium einigen konnten, nicht mehr als Reviewer oder Herausgeber tätig zu sein. Ob dieser Aufruf Erfolg hat, mag angesichts Elseviers Hartleibigkeit bezweifelt werden.

Marktmonopol und Machtmissbrauch

Mehr Kopfzerbrechen könnte dem Verlag womöglich ein Vorstoß von Martin Paul Eves, Professor an der University of London, Dr. Jon Tennant, Imperial College London, und Stuart Lawson, Doktorand an der University of London, bereiten: Die drei Wissenschaftler strengen bei der Competition and Market Authority eine Untersuchung gegen Elsevier wegen Missbrauchs seiner Marktmacht an. Sie untermauern ihr Anliegen unter anderem mit wissenschaftlichen Belegen zur Konzentration am wissenschaftlichen Publikationsmarkt, wo sich einer Untersuchung von Vincent Larivière, Stefanie Haustein und Philippe Mongeon zufolge Elsevier, Springer und Wiley 2013 knapp 50 % des Publikationsvolumens teilten - bei steigender Tendenz.

Zudem sehen Eve, Tennant und Lawson Marktregeln verletzt, da keine Preistransparenz herrsche, denn Vertragsabmachungen zwischen Verlagen und Hochschulen umfassen üblicherweise strenge Verschwiegenheitsklauseln, die jeden Preiswettbewerb verhindern. Überdies seien wissenschaftliche Journale nicht substituierbar, so dass eine Hochschule nicht einfach ein Journal Elseviers abbestellen und durch ein günstigeres Journal eines anderen Anbieters ersetzen könne - zu unterschiedlich sind die Inhalte sogar bei Journalen der gleichen Subdisziplin.

Genau diese Karte, die Unersetzbarkeit wissenschaftlicher Inhalte, spielt Elsevier in den Verhandlungen mit DEAL und dem FinElib Consortium aus: Der Verzicht auf Kern-Journale seines Fachs scheint jedem Wissenschaftler unmöglich, dabei - und das ist die Crux - produziert nicht der publizierende Verlag die unverzichtbaren Inhalte, sondern die Autoren, Reviewer und Herausgeber. Der Verlag verkauft diese Inhalte lediglich und zwar ohne Entlohnung für diejenigen, die sie schaffen und deren Einrichtungen sich diese Werke nicht mehr leisten können.