Feindbild: Russland macht Information zur Waffe

Bild vom Cover des Berichts "The Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture and Money"

Nicht erst seit der Wahl werden Gegenmaßnahmen zum angeblichen russischen hybriden oder Informationskrieg von interessierten transatlantischen Kreisen gefordert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein Artikel in der Washington Post über angebliche russische Propaganda als Informationskrieg gegen den Westen hat sich auf obskure Quellen berufen (Propagandakrieg in den USA gegen Russland). Eine Website mit dem Namen PropOrNot hat eine Liste mit englischsprachigen Websites erstellt, die als Quellen und Verbreiter russischer Propaganda oder als nützliche Idioten bezeichnet werden. Darunter sind auch einige linke Websites oder solche, die der amerikanischen Politik kritisch gegenüberstehen: "Russia is Manipulating US Public Opinion through Online Propaganda. We're trying to stop it."

Angeblich geht die CIA bzw. gehen die US-Geheimdienste davon aus, dass Russland die Wahl zugunsten von Trump beeinflussen wollte. Man habe Hinweise auf Personen, die dem Kreml nahestehen und die gehackten DNC-Emails an WikiLeaks weitergegeben hätten. Ein Beweis für eine Verbindung zur russischen Regierung scheint aber zu fehlen, das Trump-Lager macht sich über die Geheimdienste lustig, beharrt darauf, dass es keine Beweise gebe, und sieht hinter der Kampagne letztlich den Versuch der Demokraten, die Wahl nicht als gültig anzuerkennen (US-Geheimdienste: Russland wollte Trumps Wahlsieg bewirken).

Der Artikel hatte gerade bei den alternativen Medien für Aufruhr gesorgt. Und so wurde untersucht, welche Spuren sich zu Hintermännern von PropOrNot finden lassen. Nach einem Tweet vom 7. November wurde die Antipropaganda-Propagandagruppe, sollte es eine sein, von Peter Pomerantsev inspiriert. Er ist Mitarbeiter beim Legatum Institute in London und hat mit dem Information Warfare Project des transatlantischen Center for European Policy Analysis (CEPA) in Washington für den Bericht "Information War. Techniques and Counter-strategies to Russian Propaganda in Central and Eastern Europe" zusammengearbeitet, der im August veröffentlicht wurde. Er kann als einer der Hauptstrategen gelten, der unermüdlich über die Gefahren schreibt und spricht, die vom russischen Informationskrieg ausgehen, auch hybrider oder nonlinearer Krieg genannt. Russland beute "die Idee der Informationsfreiheit" - ein amerikanisches Konzept aus dem Kalten Krieg - aus, "um in die Gesellschaft Desinformation zu injizieren".

Wenn hier im Hinblick auf Propaganda vom "Informationskrieg" gesprochen wird, so soll dies von vorneherein die Gefährlichkeit Russlands suggerieren. Pomerantsev hatte schon 2014 in einem anderen Bericht, den er mit dem Neocon Michael Weiss (Chef des Magazins The Interpreter, das russische Propaganda aufdecken soll) verfasste, davon gesprochen, dass Russland Information, Kultur und Geld zur Waffe mache. Herausgegeben wurde der Bericht The Menace of Unreality: How the Kremlin Weaponizes Information, Culture and Money vom Institute for Modern Russia (IMR), gegründet von Mikhail Khodorkovsky, und von The Interpreter. Hervorgetreten ist er etwa durch die Verbreitung der These, dass im Kern der russischen Informationsstrategie die Vorstellung ist, "dass es keine objektive Wahrheit gibt". Russland also früher Vertreter der Ideologie des postfaktischen Zeitalters.

Mitgewirkt haben an dem Bericht mit dem Schwerpunkt auf der Ukraine auch Mitarbeiter der Thinktanks bzw. Lobbyorganisationen Freedom House und National Endowment for Democracy, beide werden von der US-Regierung grundfinanziert. Es geht um ein verzweigtes Netzwerk zur Verfolgung von politischen Interessen. Weiss und Pomerantsev schreiben auch in vielen Medien seit Jahren über den Informationskrieg Russlands und kommen in dem Bericht zu dem Schluss, dass Putins Russland "gefährlicher als eine kommunistische Supermacht" ist.

The ultimate aim of the Kremlin’s international media is not to make anyone like Russia. It is not PR or necessarily engaged in fact-based journalism. Instead, information is used to sow divisions, demoralize and disorganize - to weaponize information. … Their aim appears to have been to trash the information space with so much misinformation that a conversation based on actual facts would become impossible. This is not merely an information war but a war on information

Peter Pomerantsev vor dem Geheimdienstausschuss

Pomerantsevs Lobby-Arbeit scheint erfolgreich zu sein. So wurde er vom Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses zu einer Anhörung über Russia's Weaponising Information, also wie Russland Information zur Waffe macht, geladen, womit der Titel des Berichts aufgenommen wurde. Der Ausschussvorsitzende Edward R. Royce, ein Republikaner, verwies auf den Kalten Krieg und sprach mit der Erwähnung eines Besuchs in der Ukraine von der "russischen Propagandamaschine" und der "informationspsychologischen Strategie des Kreml". Gegen den russischen "Krieg mit Information" müsse "unser Informationsraum" verteidigt werden, wiederholte er Thesen von Pomerantsev, beispielsweise durch Unterstützung von "NGOs" wie Stop Fake in Ukraine, The Interpreter (!) in den USA oder Bellingcat in Großbritannien. Dazu müsse "Qualitätsjournalismus" und "unabhängige russische Medien" gefördert werden.

Der Publikation geht es darum, wie man den "Informationskrieg gewinnt". Die Zusammenarbeit zwischen der Washington Post und dem Information Warfare Project, das von Pomerantsev und Edward Lucas vom CEPA betrieben wird, dokumentiert ein Artikel über die Gefährlichkeit der russischen Desinformation, den Lucas zusammen mit der WP-Kolumnistin Ann Applebaum, die auch Mitarbeiterin bei CEPA und beim Legatum Institute ist, bereits im Mai geschrieben hat.

Applebaum, Frau des ehemaligen polnischen Außenministers Radosław Sikorski, ist mit zahlreichen konservativen und transatlantischen Organisationen wie dem American Enterprise Institute, dem Council on Foreign relations oder Institute for War and Peace Reporting verbunden. In der Washington Post konnte sie mit Edward Lucas von CEPA einen Meinungsartikel über die "Gefahr der russischen Desinformation" zum Start der Information Warfare Initiative veröffentlichen.