Journalismus als Durchlauferhitzer

Journalist und Buchautor Stephan Hebel über etablierte und alternative Medien

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Medienkritik ist derzeit in aller Munde: Während die einen auf alternative Medien setzen und an den großen Medien kein gutes Haar lassen, betrachtet so mancher Vertreter der großen Medien die alternativen Formate als Gefahr für den Journalismus. Der Journalist Stephan Hebel, der seit vielen Jahren für die Frankfurter Rundschau schreibt, stellt im Telepolis-Interview fest: Licht und Schatten gibt es sowohl bei den "Etablierten" als auch den "Alternativen". Auf beiden Seiten sieht der Autor zahlreicher Sachbücher oft die fehlende Bereitschaft, die eigene Perspektive zu erweitern und umfassend zu berichten.

Dass sich Vertreter beider "Lager" mit Vorwürfen und Kritik überhäufen, hält Hebel für falsch. Verantwortungsvolle Journalisten sollten nicht so sehr die Grenzen zwischen "Mainstream" und "alternativen Medien ziehen, sondern versuchen, über die unterschiedlichen Mediengattungen hinweg jene Widerstände zu überwinden, vor denen kritische Vertreter sowohl der etablierten als auch der alternativen Medien stehen.

Herr Hebel, schon seit geraumer Zeit findet eine Art Kampf um die Deutungshoheit statt. Um es etwas verkürzt zu formulieren: Journalistischer "Mainstream" und alternative Medienformate treffen aufeinander. Beide Seiten halten sich mit Kritik und Vorwürfen nicht zurück. Sie haben nun vor kurzem bei einer Diskussionsrunde dafür plädiert, dass sich diejenigen Journalisten aus den unterschiedlichen Lagern, die ein Interesse an einem seriösen Journalismus haben, verständigen sollten. Wo liegen denn für Sie die Gefahren, wenn es so weitergeht wie bisher?

Stephan Hebel: Eine Gefahr sehe ich schon darin, dass viele Journalistinnen und Journalisten die Grenze vor allem zwischen "Mainstream"- und "alternativen" Medien ziehen. Richtig wäre es, wie ich finde, die Trennlinie nicht zwischen dem einen und dem anderen Medium zu sehen. Es gibt auch in den "Mainstream"-Redaktionen viele Kolleginnen und Kollegen, die sich mit den inhaltlichen Begrenzungen vieler Leitmedien nicht abfinden wollen. Dass sie sich mit den "Alternativen" über die unterschiedlichen Mediengattungen hinweg zusammentun - daran sollten gerade diejenigen arbeiten, die die Vorherrschaft des "Mainstreams" brechen wollen. Denn, um Ihre Frage nach der größten Gefahr zu beantworten: So erfolgreich manche Alternativmedien sind - wenn sich nicht alle, die das Spektrum des Journalismus erweitern wollen, zusammentun, werden sie zwar in ihrer jeweiligen "Filterblase" immer wieder Bestätigung finden. Aber die Übermacht des "Mainstreams" in der breiten Öffentlichkeit werden sie damit nicht aufbrechen können. Und übrigens: Es gibt haufenweise neue und "alternative" Medien, mit denen sich keiner derjenigen gemein machen möchte, die den Begriff "alternativ" so gern undifferenziert nutzen - siehe nur das rechtspopulistische bis rechtsextreme Spektrum.

Das stimmt. Was glauben Sie: Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass eine regelrechte Rebellion gegen die großen Medien, gegen Teile der journalistischen Elite stattfindet?

Stephan Hebel: Ich fange mal mit den Gründen an, die die traditionellen Medien selbst zu verantworten haben. Der erste liegt auf der Hand: Mit dem Internet haben die herkömmlichen Medien schlicht ihr Monopol verloren. Es ist ja längst eine Binsenweisheit, dass sich im Netz jeder das Gegenteil dessen besorgen kann, was er in der Zeitung gelesen oder im Fernsehen gesehen hat. Ob diese Informationen aus seriöser Recherche stammen oder nicht, lässt sich allerdings nicht überprüfen. Das wäre der große Vorteil der klassischen Medien gewesen: das Vertrauen der Leser und Zuschauer, dass man sich auf ihre Informationen verlassen kann und dass sie zwar mit eigener Perspektive und Haltung, aber nicht einseitig berichten.

Ideologie des Pragmatismus

Genau das ist ja einer der Kernkritikpunkte derjenigen, die den Journalismus der Leitmedien kritisieren, also die Einseitigkeit der Berichterstattung.

Stephan Hebel: Ja, die Kritik ist oft zu hören. Manchmal erscheint sie mir zu pauschal, aber richtig ist jedenfalls: Den Vorsprung, den die etablierten Medien durch ihre Professionalität hatten, haben sie zumindest teilweise verspielt, indem sie sich viel zu wenig darauf eingelassen haben, sich mit abweichenden, auch abseitigen Perspektiven, die im Netz kursieren, auseinanderzusetzen. Gerade im "politisch-medialen Komplex" der deutschen Hauptstadt gilt leider immer noch: Was im politischen Betrieb als Außenseiter-Meinung gilt, hat auch in den großen Medien kaum eine Chance auf ernsthafte Befassung. Siehe das Thema "Steuererhöhungen" (was ja in Wahrheit heißt: gerechtere Verteilung der Steuerlast), siehe die Rolle der Nato bei der Eskalation der Konflikte mit Russland - um nur zwei Beispiele zu nennen.

Nun liegt das ja nicht daran, dass alle Journalisten in den Mainstream-Medien Idioten oder käuflich wären. Manche stimmen mit den Positionen der etablierten Parteien einfach aus Überzeugung überein, das ist noch die einfachste Variante. Andere sehen unter dem Spar-, Zeit- und Konkurrenzdruck der journalistischen Arbeit keine andere Möglichkeit, als sich mit dem Spektrum an Informationen zu begnügen, das ohnehin auf dem Markt ist.

Und schließlich gibt es da eine verbreitete Einstellung, die ich "Ideologie des Pragmatismus" nenne: Es ist die Vorstellung, dass Journalismus ohne eigene Haltung der beste sei. Dass man sich gerade damit zum willigen Transporteur vorherrschender und mit Meinungsmacht ausgestatteter Interessen und Ideologien macht, wird dabei oft ausgeblendet. Nicht böswillig, sondern weil man glaubt, das sei die Alternative zum "Lagerdenken" der Alt-68er. Aber besser wird solche Haltungslosigkeit dadurch nicht.

Gibt es weitere Gründe?

Stephan Hebel: Ja, einer hat eben in meiner Beschreibung gefehlt: Natürlich hat die beschriebene Situation auch strukturelle Gründe. Nicht nur in der beschriebenen Konkurrenzsituation, die ja trotz Konzentration in der Branche herrscht, sondern auch in der schlichten Tatsache - ich rede jetzt von den Print-Medien -, dass es einen sozusagen natürlichen Widerspruch gibt zwischen der privaten Eigentümerschaft einerseits und der Aufgabe der "vierten Gewalt" andererseits, gerade die mächtigen Gruppen der Gesellschaft öffentlicher Kontrolle zu unterziehen.

Es mag noch Verlegerpersönlichkeiten geben, die einen kritischen Journalismus mit ihrer Eigenschaft als Unternehmer im Kapitalismus in Einklang zu bringen versuchen. Aber gerade mit der fortschreitenden Konzentration und der schwierigen ökonomischen Situation durch die Konkurrenz aus dem Netz ist die Orientierung am vermeintlichen Mehrheitsgeschmack immer stärker geworden - und mit ihr die Verengung des Meinungsspektrums.

Wie sieht es mit den Öffentlich-Rechtlichen aus?

Stephan Hebel: Zu den öffentlich-rechtlichen Medien muss ich nicht viel sagen, da kennen sich andere besser aus als ich. Aber die Konkurrenz mit den Privaten und die problematische Zusammensetzung der Kontrollgremien liegen natürlich auf der Hand.

Wenn man Ihre Begründungen hört, könnte man zu dem Schluss kommen, dass für den Konflikt zwischen großen und alternativen Medien die Schuld hauptsächlich bei eben diesen etablierten Medien liegt. Oder?

Stephan Hebel: Nein, das wäre der falsche Schluss. Ganz alleine sind die etablierten Medien auch nicht schuld. Ich verfolge schon mit Staunen, wie selbstgefällig und aggressiv der Ton im Netz geworden ist, wie groß auch der Hass auf alles Etablierte, der überhaupt keine Differenzierung mehr zuzulassen scheint. Das verbindet sich auf ebenso erstaunliche Weise mit einem paradoxen Effekt: Viele, die sich für besonders kritische Menschen handeln, hängen wie Gläubige an ihren alternativen Lieblingsmedien, von denen sie sich immer wieder bestätigen lassen - und das Spektrum dessen, was sie zumindest zur Kenntnis zu nehmen bereit sind, ist mindestens so eng wie das der etablierten Medien.

Das zeigt sich zum Beispiel dann, wenn aus der durchaus berechtigten Kritik an der Nato ein geradezu unkritisches Verhältnis zu Wladimir Putins Russland wird. So etwa nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

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