Türkischer Geheimdienst - Paris: Ein Agent stirbt im Gefängnis

Hamburg: Ein Agent landet im Gefängnis - In Deutschland wimmelt es von türkischen Spionen

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Der mutmaßliche Mörder der kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez und Agent des türkischen Geheimdienstes (MIT), Ömer Güney, wurde am 16.12.2016 tot in seiner Zelle aufgefunden. Sein plötzlicher Tod wirft Fragen auf. In Hamburg wird zeitgleich ein MIT-Agent verhaftet, der angeblich im Auftrag des türkischen Geheimdienstes zwei führende kurdische Politiker ermorden sollte.

Am 9. Januar 2013 wurden die drei kurdischen Politikerinnen im Pariser Kurdistan-Informationsbüro erschossen. Kurz darauf wurde Ömer Güney, der Augenzeugenberichten sich zuletzt in dem Büro mit den Frauen aufgehalten hatte, als dringend tatverdächtigt verhaftet.

Eine enge Vertraute von Öcalan und eine Ikone

Sakine Cansiz war Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und enge Vertraute des PKK-Chefs Abdullah Öcalan. Sie zählte zu den prominentesten Kämpferinnen für die Rechte der Kurden in der Türkei. Für die kurdischen Frauen ist sie nach wie vor eine Symbolfigur des kurdischen Frauenfreiheitskampfes. 1979 wurde sie verhaftet und war bis 1991 im Gefängnis von Diyarbakir schwerer Folter ausgesetzt.

Anfang der 1990er Jahre kam sie nach Deutschland und erhielt 1998 politisches Asyl in Frankreich. Im März 2007 wurde sie in Hamburg auf Gesuch der Türkei festgenommen. Ein Gericht lehnte aber das türkische Auslieferungsersuchen ab, Sakine Cansiz kam nach einem Monat wieder frei.

Sakine Cansiz war eine Vorreiterin der türkischen und kurdischen Frauenbewegung. Längst haben die politischen Ziele der PKK, die über die Anerkennung der Kurden als Minderheit hinausgehen, auch die türkische Intelligentsia erreicht. Auch wenn sie sich mit der Organisation nicht identifizieren können, so doch mit den ideologischen Ideen der Frauenbefreiung, des Konföderalismus versus Zentralismus, der Ökologie und der selbstverwalteten Ökonomie.

Die Ermittlungen der französischen Behörden zogen sich bis zum Frühjahr 2016 hin. Die Prozessakte umfasst nach einem Bericht der Informationsstelle Kurdistan e.V. neben den Untersuchungsberichten des Tatorts, der Gerichtsmedizin und der Tatwaffe, auch Erkenntnisse europäischer Geheimdienste über die drei kurdischen Politikerinnen.

Politischer Sprengstoff

Eine chronologische Darstellung der Geschichte der PKK sowie der Friedensverhandlungen und der politischen Entwicklungen in der Türkei in den letzten Jahren sollte helfen, die Ereignisse in einen historischen Kontext zu setzen.

Ermittlungsergebnisse aus "Deutschland, den Niederlanden und Frankreich, Zeugenaussagen, Auszüge aus den Aussagen des mutmaßlichen Mörders, … Auszüge aus den im Internet aufgetauchten Informationen des türkischen Geheimdienstes MIT, eine auf YouTube erschienene und Ömer Güney zuzuordnende Sprachaufzeichnung, Informationen von Güneys Freund Ruhi Semen über einen Fluchtplan aus dem Gefängnis, und eine Auswertung der Beziehung des türkischen Geheimdienstes zu Ömer Güney sowie Telefongespräche", sind ebenfalls Teil der Prozessakte.

Diese vielen gesammelten Informationen bargen offenbar politischen Sprengstoff. Frankreichs Regierung schien kein Interesse an einer schnellen Aufklärung des Mordfalles zu haben. Nicht anders ist es zu erklären, dass nach dem Abschluss der Ermittlungen, die mehr als 3 Jahre gedauert haben, der Prozessbeginn auf Januar 2017 gesetzt wurde. Zwischen dem Ende der Ermittlungen und dem Prozessbeginn liegen immerhin 7 Monate.

Die Angehörigen der ermordeten kurdischen Politikerinnen fragen sich nun, warum das Verfahren gegen Ömer Güney so lange nicht eröffnet wurde, obwohl bereits seit seiner Festnahme klar war, dass er gesundheitliche Probleme hatte. Güney wurde regelmäßig von Ärzten untersucht. Wie kann es sein, dass er trotzdem plötzlich im Gefängnis verstarb?

Warum wurde das Verfahren auf die Einzelperson Güney beschränkt, wo doch aus den Untersuchungsakten und der Anklageschrift hervorgehen soll, "dass es sich bei dem Mord um eine organisierte Tat handelt, hinter der nicht nur eine Einzelperson steht, sondern der türkische Geheimdienst MIT"?

Alles sieht danach aus, dass die Verfahrenseröffnung verhindert werden sollte. Es drängt sich der Verdacht auf, dass wegen des Gesundheitszustandes des Angeklagten auf Zeit gespielt wurde, damit sich die Eröffnung des Verfahrens von selbst erledigt. Die Erkenntnisse über die Machenschaften des türkischen Geheimdienstes wären in der Verhandlung zutage gekommen und hätten mit Sicherheit einigen medialen Staub in Europa aufgewirbelt.

Mutmaßlicher MIT-Agent in Hamburg festgenommen

Am 16.12.2016, also exakt an dem Tag, an dem in Frankreich der MIT-Agent stirbt, berichtet die Zeit, dass tags zuvor die Bundesanwaltschaft einen mutmaßlichen Agenten des türkischen Geheimdienstes festnehmen ließ, der im Auftrag der türkischen Regierung Kurden in Deutschland ausspionieren und zwei führende kurdische Politiker ermorden lassen sollte.

Der 31 - jährige Mehmet Fatih S. soll "im Auftrag des türkischen Geheimdienstes in Deutschland Informationen über Aufenthaltsorte, Kontaktpersonen und politische Tätigkeiten von in Deutschland lebenden Kurden sowie kurdische Einrichtungen in der Bundesrepublik verschafft haben".

Als Korrespondent des kurdischen Fernsehsenders "Denge TV" getarnt, konnte er sich detaillierte Informationen verschaffen. Die entscheidenden Hinweise, die zur Verhaftung führten gab Cansu Özdemir, die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburger Bürgerschaft. Schon im Sommer kursierten Gerüchte über die Mordpläne des Geheimdienstes, aber niemand wusste um die Identität des Spitzels.

Erst im September gab es konkrete Hinweise. Die Ehefrau des Agenten fand bei ihrem Mann Protokolle über die zwei einflussreichen kurdischen Aktivisten Remzi Kartal aus Brüssel und Yüksel Koc aus Bremen, die ermordet werden sollten. Sie wandte sich an die kurdische Zeitung Yeni Özgür Politika, die sich dann an Cansu Özdemir wandte. Özdemir informierte umgehend die Staatsanwaltschaft und die Innenbehörde.

Kein Einzeltäter

M. Fatih S. ist höchstwahrscheinlich, ebenso wie Ömer Güney in Frankreich, kein Einzeltäter. Denn es ist bekannt, dass der türkische Geheimdienst arbeitsteilig organisiert ist. In einem Killerkommando-Team trägt ein Agent die Informationen zusammen, einer führt die Tat aus und ein dritter leitet die Gruppe.

Ende November sollen laut bild.de zwei Männer aus der Türkei eingereist sein, die den Mordauftrag an Koc und Kartal ausführen sollten. Die ehemalige Ehefrau von M. Fatih S. ist sich sicher, dass eine Todesliste existiert. Es sei kein Zufall gewesen, dass er sich an diese beiden Personen herangemacht habe.

Weiter berichtet sie, er habe ihr 5.000 Euro pro Monat angeboten, wenn sie mitarbeitet. Der Bremer Kurdenpolitiker Yüksel Koc, einer der ausgespähten Opfer, weiß von 3 Agententeams, die sich seit April in Deutschland aufhalten sollen. Dies habe er auch den Behörden gemeldet.

Koc berichtet auch, dass M. Fatih S. vor zweieinhalb Jahren mit ihm ein Interview über seine Tätigkeiten für die kurdische Community gemacht habe. S. sei sehr seriös aufgetreten und er selbst habe sich bei dem Interview nichts gedacht. Nun ist Koc unter Aufsicht der Behörden. Aus Sicherheitsgründen lebt er nicht mehr dauerhaft in Bremen. Wenn er sich dort aufhält, muss er sich bei den Bremer Behörden an- und abmelden.

6.000 MIT-Informanten in Deutschland

In Deutschland wimmelt es von türkischen Spionen. Mehrere Medien berichteten im August, dass sich etwa 6.000 Informanten des MIT derzeit in Deutschland aufhalten. Das ist eine riesige Anzahl und sollte für die Bundesregierung Anlass zur Sorge sein. Vergleicht man die Anzahl der MIT-Agenten mit den damaligen Stasi-Agenten wird die Dimension deutlich: 1989 gab es in der BRD noch 3.000 Stasi-Spitzel

Insgesamt gab es im Zeitraum von 40 Jahren, von 1949 bis 1989 ca. 12.000 Stasi-Agenten die nach Angaben der Stasi-Unterlagenbehörde in Berlin in der BRD tätig waren. Also hat die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Hälfte der Anzahl von Stasi-Spionen aus 40 Jahren in Deutschland eingeschleust.