Syrien: Der Anfang vom Ende des IS und der al-Qaida?

Auch Ahrar al-Sham kämpft gegen die SAA in der Umgebung Aleppos. Foto: Propaganda, Twitter

Wichtige Erfolge der syrischen Armee gegen den IS, al-Qaida im selbstzerstörerischen Konflikt, Russlands Militärstrategie geht auf

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Wer seit Ende September 2015 der kampagnenhaften Berichterstattung ausgesetzt war, wonach Russland die ganze Weltöffentlichkeit in Syrien an der Nase herumführte, müsste spätestens jetzt ins Nachdenken geraten: Der Kampf gegen den IS in Syrien hat gegenwärtig eine Dimension erreicht, die lange Zeit nicht möglich schien.

Kampf der syrischen Armee gegen den IS

Die syrische Armee und ihre Verbündeten haben in den vergangenen Tagen wichtige Siege gegen IS-Milizen im Osten Aleppos errungen. Ob es nun 25 Dörfer waren oder 23 Dörfer, die jüngst in der Offensive erobert wurden, hängt wohl vor allem von der Aktualität der Berichte ab.

Grundsätzlich sind sich die Berichte in einem wesentlichen Punkt einig: Der IS hat dem Vormarsch der SAA bislang kaum etwas entgegenzusetzen. Nun hat die syrische Armee hat zum ersten Mal seit fünf Jahren die Tabka-Talsperre (Assadsee) und damit den Euphrat erreicht.

Erobert wurde eine für die Versorgung wichtige Wasserpumpstation in Al-Khafsa. Die nächsten Ziele sind die Al-Jirah Airbase und die Maskana-Ebene westlich des Staudamms. Beide sind strategisch für den Zugang zum Gouvernat al-Rakka von Bedeutung. Schon ist von einer erneuten Offensive der SAA auf die Stadt Rakka die Rede.

Erinnert sei bei dieser Gelegenheit an Berichte und Geschichten, die eine Zusammenarbeit zwischen al-Assad und dem IS argwöhnten. Als Indiz dafür wurde häufig erwähnt, dass Assad den IS nicht angreife. Dem widerspricht, was die regierungsnahe al-Masdar-News gestern berichtete. Demnach habe die syrische Armee dem IS seit Mitte Januar über 1.000 Quadratkilometer des von ihm besetzten Territoriums abgetrotzt.

Auch aus Palmyra meldet al-Masdar gestern Erfolge gegen den IS. Mit Unterstützung russischer Hubschrauber und Jets seien wichtige Erhöhungen eingenommen worden. Bereits vergangene Woche berichtete die New York Times, gestützt auf Informationen der Nachrichtenagentur Sana, dass die syrische Armee die Kontrolle über die Stadt wiedererlangt habe.

Aus dem weiter umkämpften Deir-ez-Zor meldet die "IS-Medienagentur" Amaq zwar tödliche Angriffe des IS auf Positionen der syrischen Armee, doch wird andernorts von der Eroberung der Verbindungsstraße nach Rakka durch die SDF berichtet. Damit ist ein wichtiger Versorgungsweg des IS abgeschnitten.

Wir haben nun die Schlinge um die Daesh-Terroristen innerhalb Rakkas enger gezogen. Die von den SDF geführte Operation " Euphrates Wrath" wird weitergehen, bis die Terrorgruppe vollkommen in Rakka isoliert ist.

SDF

Man könnte dem noch einen kurzen Blick auf die Situation in Mosul hinzufügen. Auch dort sieht die Situation gegenwärtig für den IS nicht gerade erfolgreich aus. Die Zahl der von irakischen Truppen eroberten Wohnviertel am westlichen Ufer des Tigris wächst.

Syrischer Dschihad in der Krise

Die dschihadistischen Rivalen des IS, al-Qaida in Syrien, stecken seit Wochen, seit ihrer Niederlage in Aleppo, in "Bruderkämpfen". Milizen der ehemaligen Bündnispartner al-Nusra-Front und Ahrar-al Sham bekämpfen sich. Zwar kursieren am heutigen Mittwoch Berichte, dass die neue al-Qaida-Allianz namens Hay'at Tahrir al-Sham und Teile der ehemaligen Ahrar al-Sham, die in einen kriegerischen Konflikt miteinander gerieten, nun zu einer Schlichtung gefunden haben, aber keiner kann im Augenblick sagen, wie lange Frieden und Einheit halten.

Die Berichterstattung im Westen unterschätzte die Präsenz und die Pläne von al-Qaida in Syrien in einer bemerkenswerten Einäugikeit. Geachtet wurde nur auf die Brutalität des militärischen Vorgehens von Assad und Putin. Das war im vergangenen Jahr und vor allem beim Kampf um Aleppo das große Thema der Berichterstattung über Syrien und der Kommentare (vgl. exemplarisch: Besonders Russland ist für die Morde in Aleppo verantwortlich oder Die Islamisten sind Aleppos letzte Hoffung).

Nun wird langsam, aber bei Weitem nicht alles, aufgeklärt. So belegt ein Artikel des Long War Journal, getragen von einem konservativen US-Think Tank, der bislang nicht als Putin-freundlich auffiel, dass der Westen die al-Qaida-Taktik in Syrien nicht richtig begriff. Anhand des Todes (durch eine US-Drohne) des al-Qaida-Führers Abu al Khayr al Masri erklärt Thomas Jocelyn ausführlich mehrere bemerkenswerte Punkte zur Strategie und den Verbindungen des al-Qaida-Netzwerks.

"Der gesamte Widerstand unter dem Dach von al-Qaida"

In aller Kürze: Auch Ahrar al-Sham ist Teil dieses Netzwerkes, auf Führungsebene gab es wichtige personelle Überschneidungen. Die von vielen Medien übernommene Meldung von der Abspaltung der al-Nusra-Front von der "Mutterorganisation" al-Qaida war keine Abspaltung, sondern Teil eines Konzepts, das auf Tarnung der Absichten angelegt war. Der neue Name (Jabat Fatah al-Sham), den sich die al-Nusra-Front gab, sollte Möglichkeiten für das langfristige, große Ziel eröffnen: nämlich den gesamten Widerstand gegen al-Assad unter das Dach von al-Qaida zu bringen.

Die westlichen Medien, die immer nur unterschiedslos von "Rebellen" schrieben oder sprachen, waren diesem Plan, der auf die Errichtung eines Kalifats in Syrien ausgerichtet war, förderlich, zumal immer wieder auch Personen zitiert wurden, die behaupteten, dass Ahrar al-Sham oder auch die al-Nusra-Front die Interessen der Syrer vertreten und sich sogar aus "normalen Syrern rekrutieren".

Man kann aus alldem ohne große Übertreibung den Schluss ziehen, dass das Gros der westlichen Berichterstattung al-Qaida auf den Leim ging und deren Strategie nicht richtig einzuschätzen wusste oder dies bewusst nicht wollte. Daraus erklärt sich zu einem wichtigen Teil, aber nicht vollständig, die große Empörung über Russlands so genanntes "Täuschungsmanöver".

Kurz nachdem Russland militärisch in Syrien eingriff, war der Konsens darüber groß, dass Putin und seine Führung den Westen zum Narren halte, da sie nicht, wie angekündigt, einen Kampf gegen den IS führten, sondern gegen die syrische "Opposition", einzig um die Position Assads zu stärken.

Aus Sicht Russland ging es, ebenso wie für die syrische Regierung, darum, gegen "Terroristen" zu kämpfen. Etwa anderthalb Jahre später sieht es so aus, als ob die langfristige Strategie Russlands doch zuletzt genau diesen Ansatz, um es im Managerjargon zu sagen, "zielführend" verfolgt hat.