US-unterstützte Offensive auf Raqqa riskiert humanitäre Katastrophe

SDF bzw. YPG-Kämpfer bei Raqqa

Seit Donald Trump nehmen riskante Militäroperationen in Syrien und im Irak zu

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Noch immer herrscht Unklarheit, wer für die Bombardierung von Häusern in West-Mosul am 17. März verantwortlich ist, unter deren Trümmern am Mittwoch 100-200 Menschen begraben wurden. Das Pentagon gab zu, auf Anforderung von irakischen Truppen Stellungen des Islamischen Staat in der Gegend bombardiert zu haben, aber man untersuche den Vorfall noch. Angeblich habe der IS in die Häuser Zivilisten zusammengepfercht, auf die Dächer IS-Kämpfer postiert und Autobomben an den Häusern geparkt. Die seien angegriffen worden und hätten dabei großräumige Zerstörungen verursacht.

Falls tatsächlich hunderte Zivilisten bei dem Angriff umgekommen sind, wäre dies einer der fatalsten Angriffe. Man kann darüber streiten, ob der IS sich bewusst hinter Zivilisten verschanzt, um mit deren Opfer Propaganda gegen die Angreifer zu machen, oder ob Stellungen aus der Luft oder mit Artillerie angegriffen werden dürfen, auch wenn das Risiko wie in der dicht bevölkerten Altstadt von Mosul besteht, einen großen "Kollateralschaden" zu verursachen. Ersteres würde der Strategie der Terroristen entsprechen, denen Menschenleben, auch ihr eigenes, unwichtig ist, letzteres wäre ein Kriegsverbrechen.

Auf die angekündigte Untersuchung des Central Command wird man warten müsse, die Ergebnisse wird man sowieso vergessen können, falls US-Kampfflugzeuge dafür verantwortlich waren, würde es sich sicherlich um ein Versehen handeln. Nach einem irakischen Militär könnten unter Trump veränderte Einsatzregeln mit verantwortlich sein. Die irakischen Truppen könnten nun schneller Unterstützung aus der Luft anfordern und erhalten, genauere Prüfungen wie zur Obama-Zeit würden unterbleiben.

Das irakische Militär will jedenfalls nicht dafür verantwortlich sein. Es gebe keine Hinweise auf eine Bombardierung aus der Luft, hieß es vom irakischen Oberkommando. Das Haus, aus dem 61 Leichen geborgen woerden seien, sei zu 100 Prozent zerstört worden, die Wände seien von Bomben, die der IS gelegt habe, durchlöchert worden, es gebe aber keine Löcher oder andere Hinweise auf einen Luftschlag. In der Nähe des Hauses sei eine gewaltige Autobombe gefunden worden. Der IS habe Familien in das Haus gezwungen und dann von dort aus die vorrückenden Truppen beschossen. Zudem seien sie mit Autobomben, die von Selbstmordattentätern gesteuert wurden, gegen die Truppen vorgegangen, die aber dennoch Stadtteil unter Kontrolle gebracht hätten.

Staudamm von Tabqa. Bild: SDF

Raqqa-Offensive und der Tabqa-Damm

Die Frage bleibt also weiterhin offen. Allerdings könnte in Syrien bald eine gefährliche Situation für sehr viel mehr Menschen entstehen. Dort haben vergangenen Mittwoch amerikanische Kampfhubschrauber SDF-Kämpfer und vermutlich US-Spezialeinheiten bei Tabqa in der Nähe von Raqqa hinter die Linien des Islamischen Staats abgesetzt, um den Tabqa-Damm am Euphrat zu erobern und damit in Vorbereitung der Offensive Raqqa weiter abzuschließen. Sie sollen den Damm erreicht und mittlerweile auch den Flugplatz erobert haben, aber es finden weiter Kämpfe statt, offenbar am Norden des Damms, die USA unterstützen die Operation mit Luftschlägen, Apache-Kampfhubschraubern und Artillerie.

Das Problem ist, dass der Damm, der Wasser und Strom für große Teile Syriens liefert, durch die Kämpfe beschädigt werden könnte. Angeblich ist der Wasserstand seit Januar um 10 Meter höher gestiegen. Sollte der Damm brechen, könnten Hunderttausende von Menschen flussabwärts, etwa in den Städten Deir ez-Zor und Raqqa, gefährdet werden. Nach Berichten ist durch das Bombardement bereits die Stromversorgung des Damms ausgefallen, aber wegen der heftigen Kämpfe könnten nicht genügend Arbeiter eingesetzt werden, um diese wiederherzustellen. Ein SDF-Sprecher versichert, es gebe keine unmittelbare Gefährdung für den Damm, der aber teilweise weiter vom IS Kontrolliert wird.

Der IS warnt, dass der Damm wegen der Bombardierung jederzeit brechen kann und soll die Evakuierung von Raqqa angeordnet haben, was natürlich strategisch motiviert ist. Allerdings hatte der UN-Nothilfekoordinator OCHA bereits davor gewarnt, dass ein weiterer Anstieg des Wassers oder Beschädigungen des Damms "katastrophale humanitäre Implikationen in allen Gebieten flussabwärts" haben könne. Bislang bestand die Angst, dass der IS den Damm sprengen könnte. Für die von den USA unterstützte Raqqa-Offensive wäre es ein Fiasko, wenn es zu einer humanitären Katastrophe durch eine Beschädigung des Damms käme.