G 20: Das Klirren der Dinge als Beifall

In der Elbchaussee. Screenshot Video, YouTube

Und das Feuer zur Feier des Selbst. Brennende Autos und Narzissmus

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Am Donnerstag zeigte ein kurzer Video-Clip des Spiegel Bilder von ausgebrannten Porsches auf dem Freigelände eines Autohändlers in Hamburg. In der Überschrift war zu lesen, dass die Behörden einen Zusammenhang zum G-20 Gipfel prüfen. Ein Polizist sagt im Video, dass man mit "hoher Wahrscheinlichkeit von einem gestifteten Feuer (Hervh. d. A.) ausgehen kann".

Gestiftet? Eine Spende?

Das etymologische Wörterbuch von Kluge erteilt nähere Auskunft. "Stiften" hatte demnach mittelhochdeutsch zunächst die Bedeutung von "erbauen, gründen". (In "stiften gehen" scheint noch eine andere Bedeutung auf: "sich unauffällig entfernen".)

Wer sich über den Zusammenhang der Brandstiftung zum G-20-Gipfel weiterinformieren wollte, fand zügig bei "linksunten" eine Antwort. Auch hier gab es sprachliche Süßspeisen (bayrisch: Schmarrn):

Vielleicht in einer "Mischung aus Gelassenheit und Entschlossenheit" haben wir heute morgen auf dem Außengelände des Porsche Zentrums in Hamburg Eidelstedt zahlreiche original verpackte Luxuswagen trotz Security-Bestreifung in Brand gesetzt.

Lemmy Grillmaster

Immerhin: "in Brand setzen" ist da schon der bessere Ausdruck, weil dort die aktionistische Absicht mehr Gewicht bekommt als die beinahe schon spirituell anmutetende Rede vom "gestifteten Feuer". Doch wird auch beim Bekennerschreiben der spirituelle Aspekt gewürdigt, so ist von "Erbaulichem" die Rede:

Wir möchten mit diesem kleinen Luxus-Feuerchen die Herzen aller Freund*innen aus Europa erwärmen

Lemmy Grillmaster

Der nähere Begründungszusammenhang bietet dagegen "Abiturstreich"-Aktionsprosa im Rohstoff:

Bevor sie uns alltäglich im Straßenbild ankotzen, habe wir uns entschlossen, sie vorsorglich gleich im frisch ausgelieferten Neuzustand zu entsorgen. Vor dem Hintergrund einer gigantischen Obdachlosigkeit (nicht nur unter den Protestierenden zu Gipfelzeiten!) in einer Stadt mit den meisten und dicksten Geldsäcken widert uns der auf den Straßen zur Schau gestellte Reichtum an. Wir erwähnen in diesem Zusammenhang gern das aktuell im Bau befindliche Prestige-Projekt, in Hamburg ein neues Porsche-Protz-Zentrum zu errichten.

Lemmy Grillmaster

Der famosen Rede von den "erbaulichen Luxusfeuerchen", die dem Protzgehabe der dicksten Geldsäcke entgegenfunkeln, wurde dann allerdings grob unsolidarisch widersprochen. Ein Video, das seit heute Morgen kursiert, zeigt, wie eine schwarzgewandete Meute durch die Elbchaussee zieht, Scheiben von Geschäften und Klein- und Mittelklasse-Autos klirrend zertrümmert und Fackeln hineinwirft. Später gab es dann auch ein Bild, das ein Pflegedienstauto vor hochzüngelndem Feuer zeigt.

Es ist im Übrigen so, dass diejenigen Autobesitzer, die haftpflichtversichert sind, auf den Kosten des Vandalismus sitzen bleiben, es gibt keine Entschädigung; nur bei den Teil- und Vollkaskoversicherten sieht die Sache anders aus.

In der Elbchaussee. Screenshot Video, YouTube

Wozu Autos anzünden?

Und die Begründung der Gewalt? Das "Klirren ist der Beifall der Dinge", schreibt Elias Canetti in seiner bekannten Untersuchung über Meuten und Massen und ihr Verhältnis zur Macht ("Masse und Macht"). Die Zerstörer brauchen den Beifall der kaputt gehenden Dinge, um sich selbst zu vergewissern, dass hier etwas Starkes und Großes läuft. Der Lärm der Zerstörung, das Klirren von Scheiben zur Freude an der Zerbrechlichkeit der Dinge, sei wie die "kräftigen Lebenslaute eines neuen Geschöpfes", so der Schriftsteller.

Dass es so leicht ist, sie hervorzurufen, steigert ihre Beliebtheit, alles schreit mit einem und den anderen mit (…) Ein besonderes Bedürfnis nach dieser Art des Lärms scheint zu Beginn der Ereignisse zu bestehen, da man sich noch nicht aus allzu vielen zusammensetzt und wenig oder gar nichts geschehen ist. Der Lärm verheißt die Verstärkung, auf die man hofft, und er ist ein glückliches Omen für die kommenden Taten.

Elias Canetti, Masse und Macht

Das Feuer, fügt Canetti am Ende seiner Ausführungen über "Zerstörungssucht" hinzu, sei das eindrucksvollste Mittel. Es zerstört auf unwiderrufliche Weise. "Die Masse, die Feuer legt, hält sich für unwiderstehlich." So könnte man im Feuer der brennenden Autos so was wie ein konstituierendes Element der Gruppe sehen: eine Selbstbestätigung.

Wiederholungsschleifen, niemals über "Krawall" hinaus

Es sind ja nicht die ersten Autoverbrennungs-Aktionen, man kennt sie als immer wiederkehrendes Element auch bei Krawallen in Frankreich. Bezeichnend ist, dass es immer bei den Anfängen bleibt, die große Sache folgt eben nicht, die Aktionen bleiben in der Zerstörungsphase stecken, die sie dauernd wiederholen. Jahr für Jahr.

Weil die kommenden Taten ausbleiben, da dafür auch kein Plan vorliegt, bleibt der Block der Autobrandstifter im ewigen Loop, der das Omen beschwört und berauscht sich am Beifall der klirrenden Scheiben und der Straßenfeuer mit den großen Rauchwolken, die sich bald verziehen.

Den Schaden haben dann andere wegzuräumen. Da gab es schon fortschrittlichere Proteste gegen wirklich harte Tyrannenregime, wo Protestierer mit den Besen in der Hand dafür sorgten, dass der Protest, der sich gegen die Herrschaft richtet, nicht von solchen Abfall-Themen abgelenkt wird. Der Tahrirplatz wurde saubergehalten und das wichtige daran: Das war nur eine Nebensache, damit die Hauptsache sichtbar bleibt.

Dem gegenüber steht eine vollkommen Selbstbezogenheit der Zündler, die wahrscheinlich auf ein Narzissmus-Problem zurückgeht, weil sie dauernd den Neuanfang einer Gruppenbestätigung suchen, anstatt über eine Strategie nachzudenken, die mehr überzeugen könnte als nur den kleinen Kreis von Fans, die sich am Event erbauen.

Polizei: Schon bei der kleinsten Begegnung auf Aggression gestimmt?

Um Missverständnissen vorzubeugen, der Ärger über einen narzisstisch in sich selbst gefangenen Event-Vandalismus soll nicht relativieren, was die Polizei an Brutalitäten demonstriert.

Am Aufschaukeln der Gewalt wirkt sie selbst beträchtlich mit, sie initiiert das Geschehen auch, wie manche Videos bloßstellen.

Screenshot Video "Polizei stürmt schwarzen Block", YouTube

Schon im Kleinsten, bei der leichtesten sozialen Begegnung - wenn etwa Demonstranten, wie gestern auf dem Live-Video aus Hamburg von RT zu verfolgen, gar nicht angesprochen, sondern angeschrieen und aggressiv weggeschubst werden, obwohl es sich nicht um einen Block, sondern um vereinzelte Umstehende handelte - zeigt sich, dass von der Seite dieser Vermummten Aggressionen ausgelebt werden, die zur Gruppen-Selbstbestätigung dienen, aber nicht der "freiheitlich demokratischen Grundordnung".

Angesichts der Zwillen, mit denen auf Polizisten geschossen wird ("Ist schon Krieg?"), fragt man sich aber auch, wo die kritische Wahrnehmung bei solchen Aussagen bleibt:

Das Vorgehen der Polizei ist von Aggressivität und Eskalationsbereitschaft geprägt. Die Vermummung von ein paar Demonstranten dient nur als Vorwand, um legitimen Protest zu zerschlagen. Die Strategie ist offenbar, jeglichen Protest mit Hilfe von vermummten Polizeispezialeinheiten zu ersticken.

Ulla Jelpke