NGOs vor der libyschen Küste: "90% der Einsätze werden von Rom ausgelöst"

Rettung im Rahmen der Operation Triton. Bild: Irish Defence Forces / CC BY 2.0

Die Seenot-Retter sehen sich einer Diffamierungs-Kampagne ausgesetzt. Interview mit Hans-Peter Buschheuer von Sea-Eye

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Die NGOs, die vor der libyschen Küste Seenot-Rettung betreiben, stehen seit Monaten in der Kritik. Ihnen wird, knapp gefasst, zweierlei vorgeworfen: Dass sie ein Pull-Faktor für Migranten sind und, ihnen eine aktive Rolle im "Schleuserwahnsinn" unterstellend, dass sie sogar aktiv mit den Schleusern- und Schleppern zusammenarbeiten.

"Der Beginn einer neuen Strategie"

Größere Öffentlichkeit bekam der Vorwurf der Zusammenarbeit durch einen Artikel der Financial Times im Dezember 2016. Er berief sich auf vertrauliche Berichte der Grenzschutz-Agentur Frontex. Aus einem ging nach Angaben der Zeitung hervor, dass "Migranten vor der Abfahrt klare Hinweise auf die präzise Richtung gegeben wurden, der zu folgen sei, um NGO-Schiffe zu erreichen".

Ein weiteres Zitat aus einem anderen Frontex-Bericht unterstellte sogar noch eine engere Zusammenarbeit. Dort wurde "festgestellt", dass es einen "ersten berichteten Fall" gebe, "wo die verbrecherischen Netzwerke Migranten direkt an Bord eines NGO-Schiffes brachten". Zudem übten die Frontex-Berichte Kritik an der mangelhaften Zusammenarbeit mit den NGOs. Diese würden die geretteten Migranten dazu instruieren, nicht mit Frontex oder den italienischen Behörden zusammenzuarbeiten.

Frontex reagierte kurze Zeit später auf den FT-Bericht und widersprach der Kernbehauptung: "Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir an keiner Stelle unseres Berichtes behaupten, dass "die NGO-Schiffe mit Schleusern und Schleppern zusammenarbeiten (im Original: 'colluding with smugglers')".

Ein Artikel des US-Mediums Intercept vom April dieses Jahres, der auf den Orginalbericht von Frontex verlinkte, hielt der Aussage des FT-Bericht entgegen, dass der Frontex-Bericht kaum Nachweise für die Behauptung enthält. Und: Den Behauptungen, die er aufstelle, würden Aussagen der Retter widersprechen.

Die Bedingungen für die Rettungsarbeiten vor der Küste Libyens seien angespannt und riskant, so der Bericht. Die Lage sei schwer zu durchschauen. Zitiert wird Ruben Neugebauer, Sprecher der NGO Sea-Watch, mit der Voraussage:

Die Anklage, die von Frontex kommt, ist kein Zufall. Wir sind der Überzeugung, dass dies der Beginn einer neuen Strategie ist, die NGOs zu kriminalisieren und eine ein öffentliches Bild der NGOs aufzubauen, wonach sie mit den Schleusern und Schleppern zusammenarbeiten.

Ruben Neugebauer

Bei einem Deutschlandfunk-Interview im Mai wurde Neugebauer noch deutlicher: "Ja, Frontex hat jetzt gerade noch mal gesagt, dass sie uns eigentlich nie kritisiert haben, das haben wir schriftlich vom Frontex-Chef. Was da im Prinzip im Moment passiert, ist, dass eine Hetzkampagne gegen uns gefahren wird."

"Linke NGOs schiffen Hundertausende illegale Migranten nach Europa"

Seither haben sich die Anklagen gegen die NGOs verschärft. In extremer Form, wie sie zum Beispiel die Identitäre Bewegung vorbringt, wird ihnen vorgeworfen, dass die "durch Spenden finanzierte linke Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Hunderttausende(!) illegale Migranten nach Europa schiffen". Sie würden "auch nicht davor zurück (schrecken), dafür mit kriminellen Menschenhändlern zusammen zu arbeiten".

Politiker halten sich zwar mit solchen Zerrbildern des politischen Fiktions-Kinos zurück, zielen aber ebenso auf den "Sündenbock" NGO mit Vorwürfen, die ebenfalls eine Zusammenarbeit unterstellen, auch wenn dies nicht direkt gesagt wird, sondern unterstellt. So äußerte der deutsche Innenminister de Maizière vor gut einer Woche:

Die Italiener untersuchen Vorwürfe gegen NGOs: Zum Beispiel, dass Schiffe ihre Transponder regelwidrig abstellen, nicht zu orten sind und so ihre Position verschleiern. Das löst kein Vertrauen aus. Mein italienischer Kollege sagt mir auch, dass es Schiffe gibt, die in libysche Gewässer fahren und vor dem Strand einen Scheinwerfer einschalten, um den Rettungsschiffen der Schlepper schon mal ein Ziel vorzugeben.

Thomas de Maizière

Zu diesen Vorwürfen, die eine indirekte Zusammenarbeit ("Position verschleiern") zwischen NGO-Schiffen und Schleppern argwöhnen, kommen andere, die mutmaßen, dass die Schlepper ein leichtes Spiel mit den "Migranten-Taxis" vor der Küste haben.

Mit Vessel Trackern zu den "Taxis"?

Ein Beitrag, der vor Kurzem bei Tichys Einblick erschienen ist, verweist suggestiv, weil nicht präzise belegt, auf die Möglichkeit sich via Internet, über "Vessel Tracker", über den Aufenthaltsort von NGO-Schiffen vor der Küste zu informieren und folglich, so der nicht eindeutig formulierte, aber nahe gelegte Schluss, könnten Schlepper und Schleuser den Kurs der Schlauchboote mit den Flüchtlingen auf die "vesselfinder"-Info ausrichten.