Plädoyers im NSU-Prozess: Bundesanwaltschaft kann vieles nicht erklären

Grafik: TP

Mit ihrem Festhalten an der Drei-Täter-Theorie leistet die Anklagebehörde schon jetzt einen Offenbarungseid

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Tag zwei der Plädoyers im NSU-Prozess. Die Bundesanwaltschaft breitet die Puzzlestücke ihrer Drei-Täter-Theorie aus - und scheitert. Viele grundlegende Fragen kann sie nicht beantworten. Dass das Kerntrio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe bis zuletzt zusammen agierte, kann als belegt gelten. Nur, welche Taten es zu verantworten oder alleine zu verantworten hat, ist ungelöst. Und damit auch, wer noch als Täter oder Helfer in Frage kommt.

Oberstaatsanwältin Anette Greger beschäftigte sich am zweiten Plädoyertag zunächst intensiv mit dem Innenleben des Trios. Ihr ging es vor allem darum nachzuweisen, dass die Angeklagte Beate Zschäpe, entgegen ihrer Selbstentschuldigung, "bis zuletzt" aktiver Teil der Gruppe war und arbeitsteilig bestimmte Tätigkeiten durchführte, wie die Beschaffung eines gefälschten Reisepasses für Uwe Böhnhardt noch im Juni 2011.

Dass Zschäpe nicht die harmlose, schwache Frau war, emotional von den beiden Männern abhängig und unfähig, sich von ihnen zu lösen, obwohl sie, wie sie es in ihrer Einlassung im Dezember 2015 vortragen ließ, stets hinterher von den Morden erfahren habe, kann inzwischen als Allgemeingut gelten. Ein weiterer Nachweis kann zwar nicht schaden, die eigentlichen Fragen, sind aber andere und gehen weiter: Wurden die möglicherweise insgesamt 29 Taten tatsächlich nur von den dreien verübt? Zehn Morde, drei Sprengstoffanschläge und vielleicht 16 statt nur 15 Raubüberfälle.

Auch die aktive Beteiligung des Trios an den NSU-Verbrechen kann aufgrund eindeutiger und einer Vielzahl von Indizien als belegt gelten. Zschäpe und die anderen Angeklagten sitzen deshalb zu Recht, wo sie sitzen. Nicht belegt ist allerdings die alleinige und ausschließliche Täterschaft des Trios. Handelte es in einem größeren Zusammenhang? Gab es eine Vermischung verschiedener Kriminalitätsszenen? Und vor allem: Welche Rolle spielte der Verfassungsschutz in dem Gesamtkomplex?

Kategorisch ausgeschlossen

Wer ihn aber kategorisch ausschließt, wie es die Bundesanwaltschaft tut und zahllose profunde Belege für eine Verstrickung des Geheimdienstes negiert, kann die Mordserie nicht lösen. Ihr bleibt nur, alle Puzzlestücke ihrer Ermittlungen durch das Nadelöhr der Drei-Täter-Theorie zu zwängen. Die Bundesanwaltschaft versucht das seit über fünf Jahren und scheitert wiederholt. So auch jetzt die BAW-Vertreterin Greger in ihrem Part des Behördenplädoyers. Unfreiwillig lieferte sie Belege für die Oberflächlichkeit, Löchrigkeit und Mutwilligkeit ihrer eigenen Theorie.

Warum zog die Gruppe im Sommer 2000 von Chemnitz, wo sie nach ihrem Untertauchen von einem rechtsextremen Umfeld unterstützt worden war, nach Zwickau um? Antwort Bundesanwaltschaft (BAW): Weil sie sich von der Chemnitzer Szene distanzieren wollte. Aber: Beide Szenen hingen eng zusammen. Interessant wiederum ist, dass das Morden mit der Ceska-Pistole nach dem Umzug nach Zwickau begann.

Warum fielen für die letzte Wohnung in der Frühlingstraße in Zwickau so niedrige Verbrauchsdaten für Strom und Wasser an, wenn dort drei Personen gelebt haben sollen? Antwort BAW: Wegen der häufigen Abwesenheit der zwei Männer. Nur: Wo waren sie und was taten sie?

Nach dem Polizistenmord von Heilbronn im April 2007 wurden keinerlei Taten mehr verübt. Also auch in den ersten dreieinhalb Jahren nach dem Umzug in die Frühlingstraße nicht. Antwort BAW: Im Mietzeitraum Frühlingstraße seien nur noch Beschaffungstaten begangen worden. Jedoch: Erst im September 2011 kam es mit dem Banküberfall in Arnstadt nach über drei Jahren wieder zu einer Beschaffungstat. Und die nächste am 4. November 2011 in Eisenach war die letzte.

Die Wohnung in der Frühlingstraße 26 in Zwickau habe die Terrorgruppe mit Überwachungskameras gesichert, so die BAW. Tatsächlich wurde die Überwachungstechnik erst im Sommer 2011 installiert. Drei Jahre lang legten Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe offensichtlich keinen Wert darauf. Warum auf einmal im Sommer 2011? Gab es einen Anlass? Hatte sich etwas verändert?

2001 oder 2002, genauer kann es die BAW nicht sagen, habe der Angeklagte Holger Gerlach den dreien eine Schusswaffe nach Zwickau gebracht. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits drei verschiedene Schusswaffen eingesetzt. Warum also noch eine weitere?