Facebook sperrt nach Aufdeckung von Antisemitismus

Grafik: TP

CDU-Politiker beklagt Zensur - Twitter-Nutzer erinnern ihn an die Zustimmung seiner Partei zum NetzDG

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Felix Leidecker ist Vorsitzender der CDU-Jugendorganisation Junge Union in Mainz. Als er auf Facebook entdeckte, dass auf der Seite Freiheit für Palästina (die seinen Erkenntnissen nach "mutmaßlich" der Salafist Bilal G. betreibt) mit Äußerungen wie "die Lösung ist Gaskammer" von Gästen "zum Massenmord an Juden aufgerufen" wurde, dokumentierte er solche "Entgleisungen" in mehreren eigenen Posts und machte Facebook darauf aufmerksam. Daraufhin löschte das Unternehmen gestern nicht nur zwei antisemitische Freiheit-für-Palästina-Posts, sondern sperrte auch Leideckers Profil für 30 Tage.

"Ich kann", so Leidecker zur Bild-Zeitung, "nichts dagegen tun, kann auf meinen Seiten derzeit an keiner Debatte mehr teilnehmen". Für eine Stellungnahme dazu war in der Firma, die ihre Europazentrale in Irland hat, bislang niemand erreichbar.

[Update: Inzwischen hat Facebook die Sperre aufgehoben und spricht von einem "bedauerlichen Fehler", ohne jedoch darauf einzugehen, wie dieser zustandekam.]

Auf Twitter, wo der Mainzer JU-Chef nicht gesperrt wurde und seine Facebook-Sperre beklagte, machten ihn User darauf aufmerksam, dass seine Partei Heiko Maas' "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" (NetzDG) mit verabschiedete (vgl. Bundestag winkt Zensurgesetz durch). Das soll zwar erst am 1. Oktober 2017 in Kraft treten - aber viele User machen die Debatte darum für die Sperren verantwortlich, die in Sozialen Medien in Deutschland in den letzten Monaten spürbar zunahmen. Eine Twitter-Userin meinte: "Willkommen in der Realität der willkürlichen Zensur - Es geht nicht nur Ihnen so und es wird noch viel mehr Leuten so gehen."

Während bei Facebook der Umsatz weiterhin steigt, flaute das Nutzerwachstum beim Kurznachrichtendienst Twitter, der sogar Sammlungen von Polizeiberichten zensierte und so viele deutsche Nutzer zum Konkurrenten Gab.ai vergraulte, dass diese dort jetzt die zweitgrößte Gruppe nach den Amerikanern stellen (vgl. Nach dem NetzDG), im zweiten Quartal 2017 deutlich ab. Die Börse, die sich deutlich mehr monatlich aktive Nutzer erwartet hatte, bestrafte die Twitter-Aktionäre daraufhin mit einem Einbruch von über zehn Prozent auf unter 18 Dollar.

Judenfeindlichkeit hat viele Gesichter

Judenfeindlichkeit, wie Leidecker sie entdeckte, finden sich nicht nur online bei Salafisten, sondern auch offline und in anderen Gruppen: Zum Beispiel bei einem (inzwischen aus der Fraktion ausgetretenen) baden-württembergischen AfD-Abgeordneten (vgl. AfD: Antisemitismusstreit geht in die Verlängerung), bei den als Helden gefeierten Hamburger Schiiten, die den Edeka-Schlächter stoppten (wie der Getty-Fotograf Markus Hibbeler herausfand), oder im mit viel Steuergeld geförderten Münchner Eine-Welt-Haus, wo dem Stadtrat Marian Offman zufolge Referenten der israelfeindlichen Boykottinitiative "BDS" "die Hamas mit Aussagen zitierten, man würde ein neues Palästina auf den Trümmern Israels errichten."

Praktischer Antisemitismus kann sogar aus einem fanatisch übersteigerten theoretischen Philosemitismus resultieren, wie die Zeit diese Woche am Beispiel der jüdischen Buchhandlung Topics im Berliner Stadtteil Neukölln schildert: Dass diese im März eine Diskussionsveranstaltung zu den Schriften des "italienischen Kulturpessimisten und Rassentheoretikers Julius Evola" ankündigte, triggerte bei so genannten "Antideutschen" den Zensurreflex derart massiv, dass sie die beiden jüdischen Besitzer des Ladens (die beide Enkelkinder von Holocaustüberlebenden sind), so lange bedrohten, denunzierten und schikanierten, bis diese jetzt ihren Laden schließen mussten.

"Dass eine jüdische Buchhandlung in Neukölln nun wegen der Machttrunkenheit, Sturheit und Humorlosigkeit selbstgerechter Nachfahren der Täter pleiteging", so die Wochenzeitung dazu, "löste keine empörte Debatte in der Politik, den Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und den Kolumnen besorgter Deutscher aus."