Wer hat Angst vor dem russischen Manöver Zapad 2017?

Bild: Russisches Verteidigungsministerium

Im Westen wird von 100.000 russischen Soldaten gesprochen, die an der "Suwalki-Lücke" an der von Nato-Battlegroups gesicherten "Ostflanke" der Nato aufmarschieren sollen, nach Russland nehmen 10.000 an dem lange geplanten Manöver teil

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Über die geplante russische Herbstmanöver Zapad 2017 zirkulieren schon längere Zeit Gerüchte und werden Ängste geschürt. Das schon lange angekündigte Manöver findet dort an der Ostgrenze der Nato-Staaten statt, in der die Nato-Strategen mit der sogenannten Suwalki-Lücke einen schwachen Punkt sehen, auf den es die Russen bei einem Konflikt abgesehen haben könnten. Mit der Besetzung dieser 100 km langen "Lücke" an der polnisch-litauischen Grenze zwischen der russischen Enklave Kaliningrad und Weißrussland könnten die russischen Streitkräfte die Landverbindung zwischen den baltischen Staaten und den europäischen Nato-Staaten durchschneiden (Von der Fulda-Lücke des Kalten Kriegs zur Suwalki-Lücke der Nato).

Ob man in der Nato wirklich glaubt, dass Russland in einem Landkrieg die baltischen Länder von der Rest-Nato separieren würde, muss man der Spekulation überlassen. Das Aufbauschen der Suwalki-Lücke könnte durchaus auch ein Informationsmanöver sein, um die Angst vor Russland zu schüren und damit größere Verteidigungsanstrengungen sowie den Ausbau der dauerhaften militärischen Präsenz an der Ostgrenze zu begründen.

Im Juni probten Nato-Truppen der Enhanced Forward Presence Battle Group Poland an der Suwalki-Lücke jedenfalls schon mal deren Verteidigung (Nato-Truppen übten die Verteidigung der "Suwalki-Lücke"). Der Oberkommandierende der europäischen US-Streitkräfte, Generalleutnant Ben Hodges, sagte, dass die Lücke wegen der Geografie kritisch sei: "Es ist nicht unvermeidlich, dass dort ein Angriff stattfinden wird", äußerte er sich gewunden, "aber wenn sie geschlossen würde, gäbe es drei Alliierte im Norden, die potenziell vom Rest des Bündnisses isoliert wären." Nach Hodges sei es für die Nato entscheidend, ihre Einsatzbereitschaft zu demonstrieren: "Wir müssen zeigen, dass wir die Verbündeten unterstützen können, um die Lücke offen zu lassen."

Mit Zapad 2017 soll, wie man im Westen vermutet, nicht das von gegnerischen Kräften besetzte Weißrussland befreit, sondern in Wirklichkeit geübt werden, wie russischen Truppen in Litauen einmarschieren. Seit Monaten ist davon die Rede, dass um die 100.000 russische Soldaten am Militärmanöver teilnehmen werden, das für den September geplant ist.

Übung im Informationskrieg

Medien wie die Faz haben Ängste im Einklang mit der Nato geschürt. So wurde Ben Hodges mit der Warnung zitiert, die Russen hätten schon zweimal im Schatten großer Manöver Vorstöße unternommen, 2008 in Georgien und 2014 in der Ukraine: "Ihre Geschichte ist voll mit Beispielen dafür, dass sie sich nicht an Verträge halten", sagte Hodges. Und die Faz dazu: "Dachte der General nur laut nach oder hatte er Hinweise auf russische Planungen?"

Andere sprechen vom größten Manöver seit dem Ende des Kalten Kriegs und verweisen gleichfalls darauf, dass Russland Manöver zu Operationen in Georgien und in der Ukraine benutzt habe. Die Hintergründe der Konflikte und die Beteiligung des Westen oder der Nato werden dabei ausgeblendet, um die Bedrohungskulisse aufrechtzuerhalten. Hodgers schürt derweilen, von westlichen Medien unkommentiert, weiter Angstmeldungen, die zum operativen Geschäft von Militärs und Geheimdiensten gehören. Er bezeichnete nun die Manöver als "Trojanisches Pferd", um eben das zu machen, was die Nato auch in den baltischen Staaten gemacht hat, nämlich militärische Ausrüstung in Weißrussland für den Bedarfsfall zu hinterlassen. Er habe zwar keine Informationen, das Russland dies tatsächlich plane, aber man sagt es halt trotzdem mal, um es in die Welt zu bringen.

Die Nato-Übung Noble Partner in Georgien hat gerade angefangen. Sie hat natürlich einen ganz anderen Zweck als russische Manöver. Bild: Nato

Die New York Times wiederholt gerade wieder die Befürchtungen, dass 100.000 russische Soldaten am Manöver teilnehmen könnten. Das sei eine "Übung zur Einschüchterung", wie man sie aus dem Kalten Krieg kenne, als würde die Nato nicht dauernd auch Übungen in Osteuropa und im Schwarzen Meer durchführen, um die militärischen Muskeln spielen zu lassen. Erstaunlich ist, wie einseitig die New York Times berichtet und damit vergleichbar zu einem russischen Staatsmedium wird:

Über den Eingriff Russlands in die Präsidentenwahl 2016 zur Unterstützung von Trump hinaus, was die Aufmerksamkeit in den USA gefunden hat, verlegte sein Militär in den letzten Jahren Truppen nach Syrien, nahm die Krim in Besitz und intervenierte in der Ostukraine, beunruhigte die baltischen Staaten mit plötzlichen Militärübungen und bedrängte Nato-Flugzeuge und -Schiffe.

New York Times

Die völlig unkritische Berichterstattung verweist in überheblichem Ton darauf, dass Russland nicht einmal nach den Sanktionen auf das "Säbelrasseln" verzichtet habe. Kein Wort dazu, wohin die USA Truppen verlegt hat, in welchen Ländern militärisch interviert wird und wurde, wo überall amerikanische Militärstützpunkte sind und welche militärischen Provokationen und Manöver die USA durchführen. Dafür wird General Tony Thomas, der Kommandeur der Spezialeinheiten, zitiert: "Die große Sorge ist", sagte der, "dass sie nicht wieder zurückgehen. Und das ist keine Paranoia." Konflikte und Risiken werden einzig Aktionen von Russland zugeschrieben. Das ist eher eine Berichterstattung wie aus dem Kalten Krieg.

In Litauen führt die Bundeswehr seit Januar übrigens das in Litauen stationierte, 1000 Mann starke Nato-Kampfbataillon (neudeutsch: Battlegroup) der EFP (Enhanced Forward Presence). Gerade wurden die Truppen erstmals ausgetauscht und nehmen 450 Soldaten des Panzergrenadierbataillons 371 aus dem sächsischen Marienberg mit 8 Leopard- und 14 Schützenpanzern den Posten in Litauen ein.

Russland hingegen beteuert, dass nicht 100.000, sondern etwas mehr als 10.000 Soldaten an dem Manöver teilnehmen werden: 3000 russische und 7200 weißrussische Soldaten. Betont wird, dass das Manöver keine Reaktion auf die Stationierung von Nato-Truppen an den Grenzen Russlands und Weißrusslands sei, auch wenn dies Sorgen bei beiden Regierungen auslöse. Russland agiert, wie zu erwarten, spiegelbildlich, wenn auch etwas weniger aggressiv.

Der russische Außenminister Lawrow hat schon im Juni die Befürchtungen als absurd zurückgewiesen, dass Russland im Zuge des Manövers plane, Litauen zu besetzen. Das wird wohl auch kaum jemand wirklich glauben. Russland verweist hingegen im Spiel des von beiden Seiten geführten "hybriden Kriegs", weniger martialisch ausgedrückt, der Propaganda, darauf, dass die Nato 40.000 Soldaten in 15 Übungen in Osteuropa und im Schwarzen Meer zwischen Juni und November einsetze. Russland habe der Nato genauere Informationen über Zapad 2017 gegeben als die Nato Russland über ihre Übungen.