Lautloses Sterben der Falter und Wildbienen

Foto: Seb.v. Roos

Übernutzte und überdüngte Böden, Monokulturen ohne Blühpflanzen, intensive Forstbewirtschaftung engen Lebensräume für Insekten ein. Ein Ausweg aus dem ökologischen Desaster wäre eine naturnahe Landbewirtschaftung

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Früher einmal schwirrten von Mai bis Oktober zahlreiche Falter der Goldenen Acht von Blüte zu Blüte. Auf naturnahen blütenreichen Wiesen fanden die Raupen ausreichend Nahrung: Luzerne und Klee - Pflanzen, die es auf heutigen Äckern kaum noch gibt. Mit der intensivierten Landwirtschaft schwindet ihr Lebensraum, weshalb der Falter in Nordrhein-Westfalen und einigen anderen Bundesländer bereits auf der Roten Liste steht.

Nicht nur die Goldene Acht, Insekten verschwinden quer durch alle Arten mit weit reichenden Folgen für Böden, Bestäubung sowie die gesamten Ökosysteme. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zu Insekten in Deutschland vom Juli 2017 hervor.

Der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN) zu Folge sind weltweit rund 18.000 wirbellose Arten vom Aussterben bedroht. Von 7.802 der bearbeiteten Insektentaxa gelten 946 Arten als gefährdet, 792 als stark gefährdet, 552 sind vom Aussterben bedroht und 311 sind in unbekanntem Ausmaß gefährdet. Unterm Strich sind 358 Arten ausgestorben oder verschollen. Fast 38 Prozent der in den aktuellen Roten Listen betrachteten Insektenarten gelten als ausgestorben oder bestandsgefährdet.

Das Ergebnis von Langzeitstudien, die von 1982 bis 2017 an ausgewählten Versuchsstandorten durchgeführt wurden, lautet ganz ähnlich: Hier war die Insektenbiomasse um bis zu 80 Prozent zurückgegangen. Als Ursachen benennen Experten die Intensivierung der Landwirtschaft mit all ihren Monokulturen sowie die Veränderung der Lebensräume.

Verschwinden die Insekten, verringert sich auch das Nahrungsangebot für Vögel und Fledermäuse. Laut nationalem EU-Vogelschutzbericht von 2013 leiden vor allem diejenigen Vogelarten, die während der Brutzeit vorwiegend Kleininsekten und Spinnen fressen. Ohne diese Nahrung sind ganze Vogelpopulationen im Bestand gefährdet. Etliche Vogelarten, die sich von Großinsekten (Libellen, Heuschrecken, Tagfalter, große Käfer) ernähren, befinden sich schon seit Jahren auf dem Rückzug.

Einige Beispiele sind Ziegenmelker, Wiedehopf oder Neuntöter. Bereits vor Jahrzehnten waren in Deutschland Schwarzstirnwürger und Blauracke verschwunden. (Letztere wurde im Sommer im Spreewald wieder gesichtet.)

Schmetterlinge verlieren ihren Lebensraum

Laut dem European Grassland Butterfly Indicator der Europäischen Umweltbehörde sind 30 Prozent aller untersuchten Schmetterlingsarten zurückgegangen, etliche sind ausgestorben. Für die Auswertung wurden von 1990 bis 2015 Daten von 17 Tagfalterarten in 22 Ländern zusammengetragen. In einer ähnlichen Studie aus Großbritannien, für welche Daten von 1995 bis 2014 ausgewertet wurden, konnte nachgewiesen werden, dass die Falter vor allem in urbanen Bereichen verschwinden.

Deutschlandweit gelten 80 Prozent aller Falterarten als gefährdet. Allein in Brandenburg sind 20 Schmetterlingsarten ausgestorben. Glaubt man Hartmut Kretschmer vom NABU Brandburg, so war der Baldrianscheckenfalter vor sechzig Jahren noch ein typischer Bewohner feuchter Niedermoorwiesen..

Foto: Seb. v. Roos

Doch dieser Wiesentyp ist selten geworden, weshalb auch der Falter verschwindet. Dem Schmetterlingsforscher gelang es immerhin, einige Exemplare des Goldenen Scheckenfalters zu retten und mit ihnen weiterzuzüchten. Nur deshalb konnte die Art in Brandenburg vor dem Aussterben gerettet werden.

Dazu kommt, dass viele Arten als Spezialisten auf ganz bestimmte Pflanzen und Biotope angewiesen sind. So bestäuben Dickkopffalter mit ihren langen Rüsseln Blühkräuter mit engen, langen Kelchen, wie Rotklee oder Kuckuckslichtnelken, in die die Bienen mit ihren kurzen Rüsseln nicht hineinkommen.

Hohe Stickstoffeinträge gefährden Biotope

Zwar sind Generalisten wie Tagpfauenauge, Zitronenfalter, Ochsenauge oder Schachbrettfalter im Futter weniger wählerisch. Außerdem kommen sie besser mit Veränderungen in ihrer Umwelt zurecht. Doch auch ihre Lebensräume schrumpfen. So sind nahezu 65 Prozent aller hierzulande existierenden Biotope entweder gefährdet oder bereits vollständig vernichtet, wie aus der Roten Liste gefährdeter Biotoptypen von 2017 hervorgeht.

Besonders dramatisch ist die Situation von Offenland- und extensiven Grünlandbiotopen, denn diese leiden unter zu hohen Stickstoffeinträgen aus Industrie und Landwirtschaft. Die Nährstoffe fördern das Wachstum von Löwenzahn, Disteln und Sauerampfer, welche wiederum die Futterpflanzen verdrängen, auf die die Raupen der Schmetterlinge angewiesen sind. Außerdem wirft die schnell wachsende Vegetation zu viel Schatten, was die wärmeliebenden Schmetterlinge gar nicht mögen.

Der Biogeograf Jan Christian Habel von der TU München untersuchte Datenmaterial zu Schmetterlingen, welches aus einem Zeitraum von 200 Jahren stammt. In einer Studie wiesen er und sein Team nach, dass Habitat-Spezialisten selbst in Naturschutzgebieten aussterben.

Denn der Luftstickstoff macht auch vor Fauna-Flora-Habitat-Schutzgebieten nicht halt. Diese sind oft so klein und isoliert sind, dass nur ein Austausch zwischen den Biotopen die einzelnen Populationen retten könnte. Allerdings verlassen die Schmetterlinge ihre Habitate kaum, sind diese doch wie kleine Inseln inmitten riesiger Agrarwüsten - und damit für die Falter eine zu große Barriere, um sie zu überwinden. Ein Ausweg könnten ökologische Korridore sein, Grünstreifen, die den Schmetterlingen das Wandern ermöglichen.

Insektizide vergiften Wildbienen

Deutschlandweit gibt es 561 Wildbienenarten, davon 380 Nest bauende Wildbienenarten allein in den westlichen Bundesländern. 39 Arten sind bereits verschwunden bzw. ausgestorben. Auch unter den Wildbienen gibt es Spezialisten, denen die Futterpflanzen abhanden kommen. Die Brut einiger Unterarten der Scherenbiene zum Beispiel ernährt sich ausnahmslos von Pollen der Blauen Glockenblume.

Eine andere Art ist auf den Pollen und Nektar diverser Hahnenfußgewächse angewiesen. Verschwinden Glockenblume bzw. Hahnenfußgewächse von den Wiesen, ist das Aussterben der Scherenbienen besiegelt.

Foto: Susanne Aigner

Mit Hilfe von Insektiziden werden Schädlinge bekämpft, ohne die damit verbundenen Auswirkungen auf anderen Organismen zu berücksichtigen. Namentlich die Neonicotinoide stehen seit einiger Zeit in Verdacht, Wildinsekten zu vergiften.

Der namhafte Bienenforscher Randolf Menzel fand heraus, dass nur wenige Nanogramm je Tier ausreichen, um ihr Gedächtnis zu zerstören, so dass sich die Bienen in der Landschaft nicht mehr zurechtfinden.

Darüber hinaus wiesen britische Wissenschaftler nach, dass die Insektizide Hummeln sogar in ihrer Fortpflanzung beeinträchtigen. Ein Experiment mit 319 befruchteten Hummelköniginnen ergab, dass diejenigen, die den mit Thiamethoxam belasteten Sirup fraßen, früher und weniger Eier legten als die unbelastete Kontrollgruppe, in der sich 26 Prozent mehr Königinnen fortgepflanzt hatten. Würde die Substanz weiter angewendet, erhöht sich das Risiko für die Hummeln aussterben, fürchten die Experten.